Gottesdienst am Ostersonntag, 17. April 2022, in der Kirche Greifensee  -  Pfr. Mathias Rissi

 

Ich tue euch, liebe Brüder und Schwestern, das Evangelium kund, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr es genau so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe - wenn nicht, wärt ihr umsonst zum Glauben gekommen. Denn ich habe euch vor allen Dingen weitergegeben, was auch ich empfangen habe: daß Christus gestorben ist für unsere Sünden gemäß den Schriften, daß er begraben wurde, daß er am dritten Tage auferweckt worden ist gemäß den Schriften und daß er Kephas [d.i. Simon Petrus] erschien und dann den Zwölfen. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben, einige aber entschlafen sind. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Zuallerletzt aber ist er auch mir erschienen, mir, der Mißgeburt. Ich bin nämlich der geringste unter den Aposteln, der es nicht wert ist, Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Durch Gottes Gnade aber bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben; nein, mehr als sie alle habe ich gearbeitet, doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist.                                                                               1. Korinther 15,1-10

 

Liebe Gemeinde

Ostern ist das größte und zentrale christliche Fest. Mit Glanz und Halleluja feiern wir es, mit fröhlichen Lieder und Musik. Es ist das ganz Besondere, Herausragende – Warum?
Vergleichen wir es mit den andern Festen:
Mit Weihnachten – Kinder werden geboren, das sagt die Erfahrung. Nun es ist schon noch etwas anderes, wenn das Evangelium sagt: Gott kommt als Mensch zu den Menschen. Aber geboren werden, das kennen wir.
Mit Karfreitag – Menschen sterben, auch das sagt die Erfahrung. Nun es ist schon etwas anderes, wenn das Evangelium sagt: Gott unterwirft sich dem Menschenschicksal. Er selber erleidet den Tod. Aber sterben müssen alle, das wissen wir.
Ostern hingegen – da gibt es für uns Menschen keine Erfahrung, die uns das Ostergeschehen einzuordnen hülfe. Christus ist auferstanden (die Gemeinde antwortet hier jedesmal mit dem Ruf:) Er ist wahrhaftig auferstanden!,– das ist einzigartig und jenseits aller unserer Vorstellungskraft.

Mir gefällt darum dieser älteste Auferstehungsbericht in der Bibel. Von Paulus bezeugt, Jahrzehnte vor den spektakulären Osterberichten der Evangelien.
Paulus versucht die Auferstehung gar nicht zu beschreiben, sondern er legt das ganze Gewicht auf die Wirkung. Er beschreibt nicht das leere Grab, oder die Gottesboten, die den verstörten Anhängerinnen und Jüngern Jesu beim leeren Grab ein hilfreiches deutendes Wort geben.
Nein, er zählt auf, wem der Auferstandene begegnet ist. Er listet auf, wer alles ein bekennender Zeuge des Auferstandenen geworden ist, all die Jünger und Männer.
Geht, fragt sie! Zu Paulus' Lebzeiten leben noch viele von ihnen!
Aber sind die auch zuverlässig? Sie waren doch alle schon zu Lebzeiten Anhänger Jesu. Könnten sie also nicht voreingenommen sein?

Darum fügt Paulus als jüngsten und unverdächtigen Zeugen sich selbst ein: Christus ist auferstanden - Er ist wahrhaftig auferstanden! aber Paulus war nicht dabei. Er ist als überzeugter Gegner Jesu Christi sogar negativ voreingenommen. Die Auferstehung war längst geschehen – aber Paulus hatte sich ihr grimmig verschlossen. Darum bezeichnet er sich hinterher als Mißgeburt. Jörg Zink übersetzt diesen wichtigen achten Vers mit der »Mißgeburt« Paulus so:  Zuletzt erschien er auch mir, der viel zu spät zum Glauben und zum Leben kam. - Zum Glauben und zum Leben kommen! Darum geht es an Ostern! Ganz persönlich.

Christus ist auferstanden - Er ist wahrhaftig auferstanden! und ist Menschen begegnet und hat sie verändert.
Paulus ist einer wie wir. Anders als Maria Magdalena und anders als Simon Petrus ist Paulus Jesus nicht zu Lebzeiten begegnet. Sondern erst später dem Auferstandenen. Da ging es ihm so, wie es uns geht. Damit ist er quasi unser Vorläufer. Er erfuhr erst Christus den Auferstandenen in seiner Wirkung. Er mußte den Widerstand aufgeben.

Unser Glaube fängt nicht dort an, wo der Verstand aufhört, sondern da, wo unser Widerstand aufhört. Es ist letztlich nicht die Frage, ob wir die Auferstehung zu denken vermögen. Was kann denn unser Verstand schon ausrichten? Als ich ein Junge war, da herrschte in unserer Kultur ein naiver Wissenschaftsglauben vor – ein Widerspruch in sich selbst.
Früher unterschieden die Menschen noch nicht zwischen Denken und Glauben. Dies änderte sich dann mit der Aufklärung, als der Mensch mit dem Verstand Dinge und Geschichten analysierte, die zuvor einfach waren, wie sie aussahen: beispielsweise, dass die Erde eine Scheibe sei und dass sie die Sonne um die Erde bewege.
Das führte zu einem Machtkampf zwischen Religion und Wissenschaft. Die Kirche hat den Konflikt munter befeuert. Ich erinnere nur ans Beispiel von Galileo Galilei, der von Rom gezwungen wurde – gegen seine besseren Argumente und Einsicht – zu widerrufen, dass die Erde sich um die Sonne dreht.
Seither bekämpfen sich Glauben und Wissenschaft.
Man »glaubte« eben, mit dem Menschenverstand alle Rätsel rational klären zu können.
Gut an meiner Jugendzeit war, dass die heutige Esoterik damals keine Chance hatte. Wenn ich denke, welchen aberwitzigen Ideen Menschen heute nachhängen können...
Zum Glück sind wir inzwischen bescheidener geworden. Selbst die Wissenschaftler stehen dazu, daß mit jeder gelösten Frage sich gleich ein Dutzend neuer Rätsel auftut. Und unser Verstand mag sowieso nur das zu messen und beschreiben, was sich in den Dimensionen Raum und Zeit abspielt. Aber es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich dem entziehen.
Allein schon die Fragen zeigen, dass der Mensch beides braucht, Glauben und Verstand, um Mensch zu sein: Was? Wie? Wann? Wieviel?– so fragen Naturwissenschaftler. Ihre Gegenstände sind messbar. Wenn ihnen jedoch die Fragen gegegnen: Warum? Wozu? Was ist der Sinn? – lehnen sie ab: Das ist nicht unser Metier. Aber: Glauben und Verstand sie gehören beide zum Menschen! Gerade wir als denkende Glaubende und als glaubende Denkende sind herausgefordert beide neu in Beziehung zu setzen.

Es ist also heute nicht mehr die Frage, ob unser Denken die Auferstehung bewältigt, sondern die Frage der Hingabebereitschaft, ob wir zum Glauben an den Auferstandenen und damit zu einem Leben aus der Kraft der Auferstehung Jesu Christi finden. Sonst würde alles beim Alten bleiben: wo wir nur bekommen, was wir vergängliche Menschen selber erreichen können. – Oder eben das andere: Wir erfahren, so wie Paulus es erfahren hat: Christus ist auferstanden - Er ist wahrhaftig auferstanden! – für dich und mich und öffnet uns die Augen dafür öffnet, das Leben auf einem ganz neuen Hintergrund zu entdecken.

Ich denke an jenen Mann, der mir einmal gesagt hat: »Wissen sie, ich habe eigentlich vieles von der christlichen Religion mitbekommen. Und auch danach gelebt. Und wenn ich abends zu Bett ging mit dem Bewußtsein, niemandem absichtlich geschadet zu haben, fühlte ich auf der besseren Hälfte der Menschheit. Aber dadurch, daß ich Christus, den Lebendigen, im Glauben kennengelernt habe, sieht alles anders aus: Es war früher schon auch gut, aber im Grunde genommen ist es schade um jedes Jahr, das ich ohne diese Gewißheit gelebt habe.«

Ich will es mit einem Vergleich sagen: Als ich 1974 mein erstes Motorrad kaufte, da sah ich in dem Ladengeschäft auch eine gute Motorradjacke: Strapazierfähig, gut gepolstert und garantiert wasserdicht. Aber es war ein Sonnentag wie heute und ich dachte mir, meine normale Jacke würde es auch tun, und kaufte für Regenwetter eine Nylon-Regenjacke. Damit fuhr ich ganz gut – bis zur ersten größeren Ausfahrt. Da regnete es, und wie! Bis auf die Haut durchnäßt wärmte ich mich dann im Walensee-Restaurant bei einem Tee auf und es grauste mir vor der Weiterfahrt…  Da dachte ich an den Regenschutz im Schaufenster. Der schönste Regenschutz im Schaufenster nützt nichts wenn es regnet. Und genau so wenig nützt die schönste Religion und der liebste Jesus im Museum, im Schaufenster der Lebensphilosophien nichts. Paulus weiß und provoziert: Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist euer Glaube nichtig, dann seid ihr noch in euren Sünden, also sind auch die in Christus Entschlafenen verloren. Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, dann sind wir erbärmlicher dran als alle anderen Menschen.[1]

Paulus hat ja genau das entdecken müssen. Mit seiner Schaufensterreligiosität hatte er aufgetrumpft, gemeint, perfekt zu sein; alles stehe zum Besten. Aber der Auferstandene hat ihm die Augen geöffnet: Wie armselig stand er mit seinem Leben vor Gott da, wenn er nur bekommen könnte, was er verdient hatte. Nach der Begegnung mit dem Auferstandene wollte er nur noch von sich wegblicken auf Christus, nicht mehr bekommen, was ein Mensch verdient, und wenn er der beste aller Menschen wäre, sondern sich beschenken lassen von der Gnade Gottes, die Versöhnung, Leben und Heiterkeit schenkt.

Ehrlich: Auch ich will von Gott nicht bekommen, was ich verdiene, sondern, was er mir schenken will.
Mit dem Vergleich mit dem Regenschutz ist nämlich auch klar festgehalten: Schlechtwetter gibt es auch bei Christen. Sie haben nicht weniger Probleme oder Leid als andere, aber im Leben und im Sterben sind sie gehalten von dem, der den Tod überwunden hat. Denn wir kennen Jesus Christus, der für uns in Leid und Not standgehalten hat. Der also ganz bei uns ist. Und wir bekennen: Christus ist auferstanden - Er ist wahrhaftig auferstanden! Ja: er lebt! Auch heute versöhnt, heilt, tröstet er und trägt unsere Sorgen und unsere Schmerzen mit.
Das gibt neuen Mut, vielleicht fast Übermut. Der Volksmund meint: Übermut tut selten gut - aber manchmal tut er gut!!
Hören wir Paulus: Und seine Gnade an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben; nein, mehr als sie alle habe ich gearbeitet,  so beschreibt er begeistert die Wirkung des Auferstandenen – um im nächsten Moment klar zu stellen: doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist.

Ich fasse zusammen: Wir glauben nicht, weil vor tausendneunhundertzweiundachtzig Jahren, am 9. April des Jahres 30 n.Chr., an Ostern etwas Spannendes oder Geheimnisvolles geschehen ist, sondern, weil heute vom Auferstandenen die Kraft ausgeht, die Dir und mir den Glaubensmut weckt und Dein und mein Leben verwandelt und umgestaltet. Christus ist auferstanden – Er ist wahrhaftig auferstanden!

Amen


 

[1] 1. Kor 15,17-19

Gebet:

Jesus Christus, auferstandener Herr!
Dich loben und preisen wir.
Du hast Dich uns ganz geschenkt als Mensch und Bruder
treu in Freud und Leid, ja bis in den Tod.
Verloren wären wir, wenn wir uns nur auf uns selber verlassen könnten.
Wie oft sind wir hinter dem zurückgeblieben,
was Du uns doch zugetraut hättest.
Aber Du hast uns gesehen und nicht aufgegeben.
Mit Geduld bist Du uns eh und je begegnet.
Du trägst unsere Last und schenkst Frieden und Versöhnung.
Ja, Deiner Gnade bedürfen wir.
Deine Treue hat den Tod in die Schranken gewiesen.
Leben hast Du uns verheißen. Schon jetzt, nicht erst nach dem Tode.
So bitten wir Dich: Stärke uns im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe.
Erweise Dich in unserem Leben als der Lebendige,
erfülle uns, daß die Menschen um uns herum in unseren Gesichtern und in unseren Taten den Glanz Deiner Gegenwart und Gnade erkennen können.
Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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