2. Advent, 9. Dezember 2001 -  Pfr. Mathias Rissi

 

Jesaja 35,1-6 - Die Wüste soll blühen

 

Liebe Gemeinde

 

Die Wüste – allein dieses Wort! Es läßt Bilder vor den Augen aufsteigen: flimmernde Luft, aufgerissene Erdkrume, staubtrockenes Land, Sand und Felsen. Nur wenige ganz hartnäckige und widerstandsfähige Pflanzen halten der sengenden Sonne und dem scharfen Wüstenwind stand. Gewaltig und lebensfeindlich ist es hier: Nie wird hier Leben eine echte Chance haben. Und der Blick schweift hinaus ins Weite bis an den Horizont: diese Landschaft ist verloren.

 

Ja, es gibt Lebenssituationen, die wie eine Wüste sind – nichts geht mehr. Alles ist dürr geworden, ausweglos und hoffnungslos. Da wäre zwar schon Boden aus dem noch manches herauswachsen könnte. Aber es kommt nichts! Es fehlt am Lebenselixier. Wir suchen das Paradies. Aber die Hoffnung darauf ist uns vertrocknet.

Dabei ist es fast paradox: Bei aller Sehnsucht nach dem Paradies - die Wüste selber wäre ein Ort zum Leben, denn sie enthält alles, was man zum Leben braucht. Das wissen seit jeher die Nomaden und Völker der Wüste. Und modernste, geologische Erkenntnisse sprechen von unermeßlichen Reichtümern in der Tiefe unter der Wüste. Nicht nur Erdöl, sondern auch riesige unterirische Süßwasserseen wurden unter der ausgetrockneten Oberfläche der Libyschen Wüste ausgemacht. Und wenn es einmal regnet, dann sprießen sie innert Minuten um die Wette, all die Pflanzen, denen man äußerlich betrachtet jeden Lebensfunken schon abgesprochen hätte. – Wer aber nur auf die sichtbare Oberfläche blickt, erkennt von alledem nichts und sieht nur die lebensfeindlichen Umstände.

 

Auf der andern Seite fasziniert die Wüste uns Menschen aus dem Abendland. Für teures Geld werden Wüstenreisen gebucht: Meditation in der Einsamkeit, mit nichts als dem Schlafsack in der klaren Wüstennacht...  Zu allen Zeiten hat die Wüste die Menschen auch angelockt. Bei uns sind es die Eis- und Steinwüsten im Hochgebirge. Im Morgenland sind es die heißen, trockenen Wüsten. So pilgerte schon die Oberschicht aus Jerusalem in die Wüste zum Täufer Johannes. Und die Eremiten der frühen Kirchengeschichte ließen sich dort nieder. Heute da kommen eben die Touristen.

 

Woher rührt diese Sehnsucht nach der Wüste? – Unser  ganzer Überfluß und die Übersättigung haben uns nicht glücklich gemacht. Birgt vielleicht die Wüste die Chance, das Leben neu zu entdecken? Denn dort fern allem Überfluß ist Stille und Kargheit: alles, was unnütz ist, wird ausgeblendet, Glitzern und Glanz fehlen gänzlich. Ganz tief verborgen in der Sehnsucht nach der Wüste ist wohl der Wunsch, zurück zu den Urgründen zu kommen. In all dem Unwichtigen möchten wir das Entscheidende wieder entdecken.

 

Dann tauchen Erinnerungen auf: in der Rückschau sieht eben manches anders aus, als damals in der Notzeit. Hatte nicht jene Notzeit auch sehr gute Seiten? Sie einte die Menschen und stärkte die Solidarität untereinander. Der Glaube war verankert im Leben. So denken auch unter uns  Menschen, wenn sie sich der harten Zeiten des zweiten Weltkrieges erinnern.

 

Genauso ist die Wüste für die Israeliten zum Symbol geworden: Die vierzig Jahre, welche sie laut der Schrift in der Wüste unterwegs waren zum gelobten Land – im Rückblick wurde sie zu einer Zeit der wunderbaren Geborgenheit bei Gott, des «allein auf Gott geworfen Seins». Und später dann, als die mächtigen Babylonier die besiegten Israeliten in die Verbannung an den Euphrat und Tigris führten, da kam es ihnen wieder vor wie eine Wüstenzeit. Aber gerade in den Entbehrungen erfuhren der Glaube und das nationale Selbstverständnis eine ganz tiefe, neue Ausbildung.

Auch die Hugenotten, die Reformierten in Frankreich, von Ludwig XIV und seinen Nachfolgern grausamst verfolgt – sie  sahen sich als «L'église du désert». Sie erlebten diese «Wüste» als Ort größter Lebendigkeit und Hoffnung!

 

Aber wir wollen nicht mit der Wüste kokettieren. Es bleibt dabei, sie ist nicht Selbstzweck. Denn die Wüste ist ein uneingelöstes Versprechen. So gesehen ist Advent auch eine Wüstenzeit mit der Hoffnung auf das himmlische Wasser und das Blühen der Kreatur. Der Regen «vom Himmel» ist Gott selber. Daß er kommt, hat Jesaja verheißen: Der Messias, Jesus Christus. So flehen die Strophen des Liedes «O Heiland, reiß die Himmel auf».

 

Leben in der Wüste ist ein Leben im Advent: Ein Leben in der Hoffnung: Gott kommt auf uns zu. Dies ist nicht nur Zukunftsmusik, denn es ist geschehen. Unsere Hoffnung hat nämlich ein Pfand: Jesus Christus ist dieses Pfand. In ihm keimt in der Wüste Leben auf. Jesus Christus ist dieses lebendige Wasser und die strömende Quelle. Wo Jesus auftritt, tut sich in der Wüste eine Oase auf und die Prophezeiungen werden wahr, daß den Blinden die Augen aufgetan werden und die Zunge des Stummen frohlockt. Die Nähe Gottes wird durch Jesus auch heute erlebbare persönliche Wirklichkeit.

 

Von da aus wollen wir zum Schluß zwei Dinge mitnehmen:

- Zum Einen: Diese Welt lebt mit einer Verheißung, so wie die Wüste wird sie herrlich zum Blühen kommen, schöner und großartiger als in der besten Hochkonjunktur. Und Frieden wird sie regieren. Darum soll sich die Wüste freuen und die Steppe jubeln. Die Wüste wird ein Ende haben.

-  Zum Andern: Diese Bilder vom Paradies und Frieden sind noch nicht unsere Wirklichkeit und Gegenwart, sie sind uns voraus. Aber in unseren Herzen, im unscheinbaren Alltag, da läßt  Jesus Christus im Glauben jetzt schon die Wüste blühen. Und das ist Advent: Leben in Erwartung darauf und Erfahrung, daß auch heute und jeden Tag der Herr einzieht in dein und mein Leben, wie er es eben mit der Wüste tun wird.

Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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