24. April 2002 Palmsonntag   Johannes 12,12-19  - Predigt Pfr. Mathias Rissi

Als am folgenden Tage das Volk, das zahlreich zum Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem komme, nahmen sie Palmzweige und zogen hinaus ihm entgegen und riefen: «Hosianna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn» und [der] der König Israels [ist]! Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: «Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin.» Dies verstanden seine Jünger zuerst nicht; aber als Jesus verherrlicht war, da erinnerten sie sich, daß dies über ihn geschrieben stand und daß man ihm dies getan hatte. Das Volk nun, das bei ihm war, bezeugte, daß er Lazarus aus der Gruft gerufen und ihn von den Toten auferweckt hatte. Deshalb ging ihm das Volk auch entgegen, weil sie gehört hatten, daß er dieses Zeichen getan habe. Da sagten die Pharisäer zueinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet. Siehe, die [ganze] Welt ist ihm nachgelaufen.

Liebe Gemeinde

Es ist erst wenige Wochen her, da haben wir am Fernsehen eine ähnliche Sache wie jene vor den Toren Jerusalems sehen können. Die Bilder zeigten eine überquellende Menschenmenge im Flughafen Kloten. Mit Fahnen und Glockengeläut wurde Simon Ammann empfangen: «the Swiss Harry Potter», wie ihn die Amerikaner nannten, der unscheinbare Zauberer mit seinem schlotternden Mantel. Ein Happyend: Die Schweiz bejubelte ihren Goldmedaillen-Star.

Äußerlich ganz ähnlich, vor knapp 2000 Jahren, da erging es Jesus Christus so.

Die Volksmasse bewundert ihn. Gerade erst hat er das Kommando in die Grabhöhle des Lazarus hineingerufen: Lazarus, hierher, heraus! Und der Verstorbene ist herausgekommen. Der Ruf dieser Tat eilt nun Jesus voraus. Jetzt bereiten sie ihm den Empfang, der ihm gebührt. Jesus Christ Superstar! – der Titel zieht ja auch heute wieder.

Es würde nicht erstaunen, wenn Jesus sich dem Trubel entzöge, wie er es bisher immer getan hatte, wenn die Leute ihn hochleben ließen. Aber diesmal läßt er geschehen, den «seine Stunde» 1)  ist da.

Was will die Volksmenge? Das Volk bewundert die Tat. Wie oft haben sie ihn schon auf den Schild heben wollen. Einmal ganz ausdrücklich, als Jesus in der Einöde dafür sorgte, daß Tausende genug Brot bekamen. (Joh. 6,1ff ). Da wollten Sie ihn zum König, zum Brotkönig, machen. Aber er entzog sich der Menge und flüchtete sich in die Stille auf einen Berg.

Das Volk am Palmsonntag rechnet fest mit Jesu Thronbesteigung, denn er hat alles zum König. So rufen sie ihn zum König aus: Hosianna! 2)  Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

Das Volk möchte immer gerne einen König, einen freilich, der die Probleme löst, der «es schafft»! Wenn die Leute doch nur mit offenen Augen geschaut hätten, der innere Widerspruch hätte ihnen auffallen müssen: Es ist doch eigentlich ein Bild zum schmunzeln: auf einem Esel reitet der König einher! Gar unköniglich! Man muß ja gar nicht zu ihm aufschauen! Sollte etwa das Volk sich ich auf den auf dem Esel verlassen? –  Ist auf den Verlaß, besteht nicht eher die Gefahr, mit ihm unterzugehen? Im Zweifelsfalle nähmen wir lieber das Roß statt des Esels!

Es gibt ein Wort Jesu, welches das Geheimnis des Palmsonntags vor dem Karfreitag aus­deutscht: „Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben ver­liert um meinet­willen, der wird es finden!” (Markus 8,35)  Die Palmsonntagsleute wollen einen Helden bewundern, aber nichts riskieren.

Das ist aber recht unrealistisch. Denn das Leben ist nicht eine Perlenkette von Heldentaten und Erfolgen, sondern manchmal muß man recht «unten durch».

So erging es mir in der vergangenen Woche im Militär im Gebirgskurs. Nach zwei wunderschönen Sonnentagen, stürmte es am Dienstag und schneite wagrecht. Wir mußten natürlich trotzdem hinaus. Die Pflicht in Gestalt des Kommandanten rief! Es kam, wie es kommen mußte: Die Besteigung des Daubenhorns mußten wir wegen des Wetters und der Lawinengefahr abbrechen. Wir marschierten zum Gemmipaß. Für die Rückkehr zur Hütte benötigten wird dann aber statt einer über zwei Stunden. Der Schnee hatte sich in Regen verwandelt und schließlich hatten fast alle, wie ich, bis zu den Knöcheln Wasser in den Schuhen. – Zwangsläufig folgte eine halbtägige Pause, bis Männer und Ausrüstung wieder brauchbar waren. Unangenehm genug!

Aber so ist das Leben: Nicht nur die Gipfelstürme und Erfolge, es gehören auch die Abstiege und das Leiden dazu. Schön wär's,  wenn alles Schwere im Leben sich so einfach lösen ließe, wie das Trocknen von Schuhen und Kleidern. Doch da gibt es vieles für uns Unüberwindliches.

Wer die Fortsetzung der Palmsonntagsgeschichte kennt, weiß, wie der Einzug Jesu seltsam verebbt: Jesus besteigt nicht den Davidsthron in Jerusalem und er jagt nicht die Römer mit Schimpf und Schande davon.

Trotzdem, am Palmsonntag läßt Jesus es geschehen, obwohl das selbe Volk, wenn er gebunden vor Pilatus steht, seine Meinung von ihm ändern und rufen wird: «Kreuzige!» «Ans Kreuz mit ihm!» schreit das Volk in seiner Enttäuschung, weil Jesus nichts für sie gewonnen hat. Haben sie nicht verstanden, daß er nicht der Strahlemann für die Erfolgreichen sein will. Den brauchen sie nämlich gar nicht. Haben sie nicht verstanden, daß er nicht Erfolg und Ruhm sucht – die sind angenehm, aber immer auch flüchtig.

Jesus reitet hinein in die größte Niederlage. Er stirbt den Tod am Kreuz. Und gerade dadurch macht ihn der Vater zum König aller Könige, und nicht bloß zu einem Nachfolger auf dem Davidsthron in Jerusalem. Die Leute wollten den kleinen König, der im Moment «geschwind» etwas hilft.

Er wurde und ist der große König nicht nur des Volkes Israel, sondern der König der Völker, der Engel und Gewalten.

Wir wollen dem Volk seinen Irrtum nicht vorhalten. Auch die Jünger damals haben nicht verstanden, was geschah.  Erst später erkennen sie: Wort in Erfüllung gegangen, das besagt, daß der letzte große König einst in Jerusalem einziehen werde: ... arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.  3)  (Sacharja 9,9).  Erst nach Ostern, haben die Leute erkannt, daß Jesus dieser letzte König ist.

Wir feiern heute einen Palmsonntag «nach Ostern». Wir, heute, erkennen, daß er einziehen will in unser Leben, einziehen und nicht nur vorbeigehen!

Wir haben heute Florian und Franzisca getauft. Die Taufe ist, salopp gesagt, nicht mit einer Fahrt durch die Autowaschstraße gleichzusetzen, welche man dann hinter sich läßt. Sie meint vielmehr ein Leben in der Verheißung und in der Verpflichtung und in der Gewißheit, daß Jesus Christus mit uns lebt. So stellt auch die Palmsonntagsgeschichte an uns alle die Frage: Schaust du zu und winkst mit dem Palmwedel? Oder gehst du mit, mit dem König? Läßt du dich von dem leiten, der das Leben nicht nur vom hohen Roß herab beherrscht, von dem der dich erkannt hat und liebt?

Es ist, auch wenn wir von Ostern wissen, heute nicht einfacher zu glauben als damals, es ist nur anders: Der heutige Palmsonntag 2002 ist ein Palmsonntag nach Ostern: So wollen wir dem König den Platz geben, der ihm gebührt: im Feiern des Gottesdienstes, in der Taufe, und morgen und jeden Tag – damit uns am Palmsonntag, durch den Karfreitag hindurch das Osterlicht leuchte, und mit ihm Hoffnung, Geduld und neue Kraft in unser Leben und unsere Gemeinschaft hinein.        Amen

Pfr. Mathias Rissi

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1) bei Johannes immer wieder der Inbegriff für die entscheidende Stunde des Heils, Jesu Erhöhung ans Kreuz
2) Hosianna = Gib Heil! Hilf doch!
3) Apropos Tierschutz: «Füllen einer Eselin» ist eine Eigentümlichkeit der hebräischen und aramäischen Sprache: Auch der Mensch wird gleicherweise bezeichnet: «Sohn eines Menschen». Kind seiner Eltern bleibt man auch im Erwachsenenalter. So meint «Füllen einer Eselin» durchaus eine ausgewachsenes Tier, welches Jesus ritt.

 

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