Predigt in Wasterkingen, 7. März 2021  - Predigt Pfr. Mathias Rissi

 

Wer ist dieser Jesus? Prediger, Lehrer, Heiler, Influencer? Was ist sein Geheimnis?

Es waren aber einige Griechen unter denen, die hinaufzogen, um am Fest teilzunehmen. 21 Die traten nun an Philippus heran, der aus Bethsaida in Galiläa war, und baten ihn: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus geht und sagt es Andreas; Andreas und Philippus gehen und sagen es Jesus. 23 Jesus aber antwortet ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben liebt, verliert es; und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es bewahren ins ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.

Johannes 12, 20-26 

Liebe Schwestern und Brüder

Diese fremden Menschen wollen Jesus sehen. Sein Ruf hat sie neugierig gemacht. Wenn sie schon einmal in Jerusalem in seiner Nähe sind, wollen sie diesen berühmten Mann kennenlernen.

Bis heute ist es so geblieben, daß Menschen sich für Jesus interessieren. Meine Konfirmanden fasziniert es, daß es einem da gelungen ist, nach 2000 Jahren immer noch in aller Munde zu sein. Wie macht er das? Was ist sein Geheimnis?

Vom Schriftsteller Heinrich Böll wird erzählt, er sei aus seiner katholischen Kirche ausgetreten und trotzdem regelmäßig zur Messe gegangen. Auf seine Inkonsequenz angesprochen soll er gesagt haben, er sei ausgetreten, weil er all das Unrecht, das die Kirche in 2000 Jahren begangen habe, nicht ertragen könne. Aber er möchte nicht wissen wie die Welt aussähe, in welcher in den vergangenen 2000 Jahren Christen nicht am Werk gewesen wären. Und Böll fährt wörtlich fort: »Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. [...] Ich glaube an Christus, und ich glaube, daß [damals in den 50-er Jahren] 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser Erde verändern könnten.« (Aus: Heinrich Böll, Eine Welt ohne Christus. In: Karlheinz Deschner, Was halten Sie vom Christentum?  München (List) 1957, S. 21 f.)

Wer ist dieser Jesus? Ein begnadeter Prediger, ein Heiler, ein Influencer oder der Superstar, wie im Musical? – jetzt hat er Gelegenheit, den Griechen und uns sein Geheimnis zu offenbaren.

Er tut es. Jesus redet von Verherrlichung -  und meint Leiden und Sterben. Ist das nicht seltsam. Dabei könnte er groß herauskommen, aber er erzählt vom Weizenkorn. (Später hat auch Paulus im großen Auferstehungskapitel 1. Kor. 15 vom Weizenkorn geschrieben: Ein Bild für die Auferstehung.) Hier bei Jesus geht es nicht in erster Linie um die Auferstehung, sondern vielmehr um die Vervielfältigung: Jetzt können ihn nur ein paar Menschen «haben», eben die Umstehenden. Nach dem das Weizenkorn gestorben ist – nach Kreuzigung und Ostern – ist Jesus aber überall, »wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind« (Matth. 18,20).  Dieses Ersterben des Weizenkornes ist also etwas ganz Gutes, aber zugleich auch schrecklich; gewiß alles andere als ein leichter Weg.

Jesus ruft in die Nachfolge. Der dänische Theologe Sören Kierkegaard unterschied zwei Sorten Christen: Die Nachfolger und die billigere Sorte: die Bewunderer. Die Nachfolger gehen mit und leiden gegebenenfalls mit. Ein Bilderbuchbeispiel für den Bewunderer ist jener Freund. Er ist Naturwissenschaftler und sehr belesen. Er kenne die verschiedenen Religionen der Welt. Er selber könne aber prinzipiell nicht glauben als Wissenschaftler, meint er. Aber eins müsse er sagen. Von allen Religionen sei die christliche mit Abstand die beste. Nicht unbedingt was die Menschen daraus gemacht hätten, aber die Lehre Jesu und die Idee seiner Vergebung, das sei einfach genial. Mein Freund ist soo nahe dran, aber er bleibt ein Bewunderer. Das Weizenkorn muß auch im Leben der Nachfolger ersterben. Daran entscheidet sich, ob wir das Leben bewahren oder verlieren. Nun ist im Vers 25 vom Leben die Rede. Unsere Übersetzung verbirgt die Tatsache, daß der Urtext zwei verschiedene Wörter verwendet: yuch (psychē) und zwh (zoē). Also: Was soll in unserem Leben Vorrang haben? Wer sein Leben (psychē) lieb hat, der wird es verlieren; und wer sein Leben (psychē) in dieser Welt haßt, der wird es bewahren ins die ewige Leben (zoē).   Psychē meint meine ureigenen Interessen, während zoē das Leben in einem umfassenden Sinn bezeichnet.

Was heißt die psychē lieben? Da kommt mir eine klein Anekdote in den Sinn: Ein Pfarrer war zu einem Trauergespräch bei zwei Brüdern. Gemeinsam besprach man die Abdankung des Vaters. Beim Hinausgehen meinte schließlich einer der beiden Brüder: »Ist das nicht ein Zufall: jetzt ist unser Vater mit 80 gestorben. Er hinterläßt uns beiden je Fr. 80'000.-« Ein paar Tage später in der Abdankung beim Lebenslauf war's, als der Pfarrer sagte: »... verstarb im Alter von 80'000 Franken…«

Es könnte ein Ausdruck von psychē-Lieben sein, daß jemand sich sehr an den Besitz klammert. Dabei: Was wir erringen, müssen wir hergeben - Noch keiner konnte etwas mitnehmen!

»Gott? Bitte gerne, solange er mich nicht stört!« - »Und Christsein? Warum nicht, solange ich mich im Leben nicht einschränken muß.« Ist diese Mentalität nicht weitverbreitet? Das Grundübel ist: Der alte Adam und die alte Eva sind leidensscheu. Ich geb's ja zu, ich auch. Wenn der Zahnarzt mir eine Spritze verabreichen will, will ich jeweils nicht gleich als Feigling dastehen. Darum frage ich gerne: »Würden sie an meiner Stelle jetzt eine Spritze haben wollen?« Ich bin jeweils sehr froh, wenn er Ja sagt…

Psychē lieben, könnte heißen: Ich habe alles unter Kontrolle. Ich verlasse mich nur auf meine Ressourcen.

Das Wort vom Hassen ist wirklich schwierig. Will Gott uns etwa an der kurzen Leine halten? Unser Glück schmälern? Will er, daß Christen so durchs Leben gehen, daß sie eben an allem etwas weniger Freude haben als die andern, die nicht nach Gott fragen? Gewiß nicht! ganz im Gegenteil.

Ich probiere positiv zu Formulieren, was das heißen könnte: Die psychē hassen:

·     Ich will nicht ertrotzen, was mir nicht gehört

·     Und das Geschenkte will ich nicht verachten.

Vielleicht buchstabieren wir in diesen Tagen wieder ganz neu, was das Jesuswort bedeutet: Wer sich ans Leben klammert, kann nicht leben.
Es nimmt uns den »Schnuuf« – seit einem Jahr starren wir gebannt auf das Virus, wir sind wie gelähmt – die Auswirkungen auf das Leben sind katastrophal.
Jesus erinnert uns daran: Wir müssen wieder sterben dürfen, damit wir leben können.

Jesus spricht ja von dem, der zoē wählt: Wer sich nicht festklammert, bekommt Luft zum Atem. Wer über den »Tellerrand« der eigenen Möglichkeiten hinausblickt, der entdeckt neuen Lebensraum. Er kann nur gewinnen!

Früher dachte man dabei vorallem ans Jenseits, dort werde es einmal wirklich schön und gut sein. - Es ist aber falsch, diesen Gewinn erst und nur im Jenseits anzusiedeln. Wir denken manchmal: das zeitliche Leben, darin sind wir jetzt, und das ewige Leben, das kommt dann einmal. Jesus sieht, wie sie zusammenhängen: Ja, jetzt schon ist in diesem ewigen, guten Leben, wer sein Vertrauen auf Jesus Christus setzt und seine Schritte nachvollzieht. So sagt Jesus: Er wird sein Leben bewahren ins ewige Leben.

Es ist schon etwas ganz Schwieriges, das zu verstehen. Ein großes Wagnis, sich darauf einzulassen. Niemand sage, er habe es begriffen, denn jedes Mal, wenn von uns diese Schritte in gehorsamem Vertrauen verlangt werden, Schritte durch Leiden, durch Ersterben, jedes Mal kommt es uns dann ganz schwer an, daran zu glauben, daß wir das Leben bewahren, indem wir es loslassen.

Aber wenn wir es versucht haben, dann haben wir erfahren, daß Christus dort Leben gibt, wo wir fürchteten, es zu verlieren.

Es ist gewiß wahr: Du wirst freier, reicher, fröhlicher, wo du nicht dich selbst suchst und meinst, sondern Jesus dienen willst.

Wo Jesus ist, da sollen auch seine Diener sein: im freien Hergeben und Dienen und im ewigen Leben.

Vor etlichen Jahren in einem Wintergebirgskurs war ich mit andern Soldaten am Fuß des Piz Kesch auf dem Gletscherfirn. Hinter uns die rund 250m hohe Steilflanke zum Berggipfel: weglose Felswand und Eis. Der Bergführer: »Wir machen uns jetzt bereit: Steigeisen anziehen, anseilen und Eispickel in der Hand. - Wer will unten bleiben?« Mit ein paar anderen streckt auch der Rissi auf. Dem ist das Herz in die Hose gerutscht. Aber der Bergführer meint: »Du kannst das schon, ich nehme dich ans Seil.« Am Seil des Bergführers bin ich jene Flanke hochgekraxelt, das erste Mal im Leben mit Steigeisen und Pickel. Ich habe mich auf ihn verlassen.  Immer nur in  seinen Fußtritten. Mir wurde nicht einmal schwindlig. Oben die Aussicht und das Gefühl: fantastisch! Das hätte ich allein nie geschafft!

Das ist der Unterschied zwischen Jesus und den Gurus und Influencern und das ist sein Geheimnis: Sie weisen den Weg und lassen sich verehren. Er geht den Weg in letzter Konsequenz. Er geht ihn voraus. Im Leben, wo du manchmal nur noch eine unüberwindbare Felswand siehst. Und dann auch im Sterben und in der Auferstehung. Das ist sein Geheimnis: Er nimmt dich ans Seil und du bist gerettet.

Stellen wir uns noch einmal die Alternativen vor:

Ein »Psychē«-Leben ohne Christus ‑ eine schreckliche Vorstellung: leeres Glück und ein ewiges Verlorensein! 

Ein »Zoē«-Leben mit Christus aber, ein Leben als Weizenkorn - das wird vom Vater geehrt, sagt Jesus, was heißt: Er läßt dieses Leben aufgehen, es kann wachsen, blühen, sich entfalten und Frucht bringen.

Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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