Pfingstpredigt in Niederweningen, 19. Mai 2013, von Pfr. Mathias Rissi
Und ich
werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen zum Fürsprecher
geben, der für immer bei euch bleiben soll: den Geist der Wahrheit, den
die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht erkennt; ihr
erkennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde
euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. Eine Weile noch,
und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch
ihr leben werdet.
Johannes 14,16-19
Warum feiern wir Pfingsten? – Liebe Gemeinde, wir gehören zu den glücklichen, die das wissen. Bei Straßenumfragen sieht das eher peinlich aus. Bei der älteren Generation mag es noch angehen, aber bei den Jüngeren möchte ich lieber nicht fragen. Offenbar hat die Mehrheit keine Beziehung zum Pfingstfest und tut sich schwer mit seiner Bedeutung. Liegt es daran, daß Pfingsten weniger anschaulich ist als Weihnachten, Passion und Ostern.
Ist es so fremdartig, daß ein Pfarrer am Mittwoch vor Pfingsten seinem Sigristen (Küster) eine weiße Taube übergab mit der Bitte: »Wenn ich zum Ende der Predigt laut ausrufe ’Komm Heiliger Geist und erfülle uns’ – dann läßt Du sie fliegen.« Der Sigrist willigt ein. Wie nun der Pfarrer im Pfingstgottesdienst zum Schluß seiner feurigen Predigt die Arme hochreißt und ausruft »Komm, Heiliger Geist, und erfülle uns…« - Aber keine Taube fliegt auf. - »Komm, Heiliger Geist, und erfülle uns…« Verzweifelt blickt der Pfarrer zum Sigristen und ruft ein drittes Mal »Komm, Heiliger Geist, und erfülle uns« Da kommt’s ganz kleinlaut von der Sigristenbank: »Der Heilige Geist ist von der Katze gefressen worden.«
Die Taube, züngelnde Feuerflammchen
auf den Apostelhäuptern – gewiß sind diese Bilder für Heiligen Geistes vielen
Zeitgenossen fremd. Aber so fremd ist der Heilige Geist doch gar nicht, daß wir
Tauben fliegen lassen müßten. Denn was Geist ist, das wissen wir sehr wohl.
Mir hat der Kampfgeist Schweizer Eishockey-Nati in Stockholm gefallen, mit dem
sie gestern die Amerikaner im Halbfinal besiegt haben. Wir sprechen vom
Sportgeist, Teamgeist, vom Geist der Freiheit und der Freundschaft, von großen
Geister und von kleinen. Wir kennen den Geist der Wahrheit, aber leider auch die
Geister des Mißtrauens und der Angst.
Und den Heiligen Geist der Pfingstkirchen. Vor gut hundert Jahren lasen Christen in einer Bibelschule in Topeka, Kansas, die Berichte von Pfingsten und von den Geistesgaben und sehnten sich danach, dies auch zu erleben. Am Abend des 31.12.1900 begannen sie inbrünstig um ein Pfingstwunder zu beten, bis in den Morgenstunden des Neujahrstags eine Teilnehmerin die »Taufe im Geist« erfuhr und begann »in Zungen zu reden«. Viel Eindrückliches geschah und geschieht in den Pfingstkirchen seither. Aber auch seltsames und Befremdliches, wenn beispielsweise gesagt wird, erst wer in Zungen rede, sei richtig bekehrt. Paulus betete selber auch in Zungen, aber nur für sich allein. In der Gemeinde, so meinte er, will ich, um auch andere zu unterweisen, lieber fünf Worte mit meinem Verstand sagen als tausend Worte in Zungen. (1. Kor. 14,19)
Und weil Ekstase nicht nur in der Begegnung mit Gott erlebt wird, sondern auch in Hysterie, mit Drogen oder Psychotechniken, lassen wir Reformierte die Finger davon – obwohl uns da dann schon auch etwas abgeht.
Dennoch steht »Spiritualität« bei uns ganz hoch im Kurs. Dieses Wort hängt zusammen mit spiritus sanctus, dem Heiligen Geist.
Hören wir darum auf Jesus: Sein Wort wird uns führen und Klarheit finden lassen.
Ganz zentral geht es in Jesu Worten um Abschied. Abschied ist immer schwer. Die Angst, jemanden zu verlieren ist für viele schrecklich. Nicht umsonst spricht Jesus vom Schicksal von Waisen. Ich erinnere mich noch, wie mich einmal mit etwas zehn, zwölf Jahren eine große Angst überkam, als beide Eltern an einem Abend weg waren. Wenn sie nun verunfallten und nicht mehr heimkämen! Und ich wäre dann der Älteste in der Familie gewesen…
Jesus weiß um sein Sterben, daß er
umgebracht werden wird, und daß er die Jünger zurücklassen wird. Aber sein Geist
soll weiter wirken.
Da möchte ich gleich zu Beginn ein Mißverständnis ausräumen. Wenn die
Angestellten einer Firma nach dem Tode ihres Patrons sagen: Wir werden den
Betrieb in seinem Geiste weiterführen – dann ist das etwas ganz anderes als was
Jesus mit dem Heiligen Geist anspricht. Denn Jesus Christus wird selber da sein
im Geist Gottes.
So verheißt vor allem erstens den
Fürsprecher, zweitens den Geist der Wahrheit, der kommt und in den
Glaubenden bleibt, und drittens verheißt er, selber zu kommen, anders als
er bisher da war und nur gerade den Menschen in nächster Nähe begegnen, sie
heilen, versöhnen und lehren konnte. Kinder fragen: Kann denn Gott allen
Menschen auf der Welt zuhören, wenn so viele gleichzeitig beten? Dann merken
wir, wie unser Denken so ganz bestimmt ist von unseren Daseinsbedingungen. Wir
sind fixiert darauf zu einem Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort zu sein.
Spätestens wenn der Lehrer einen Träumer mahnte: wo bist den du wieder, dann
merkten wir es. Aber bei Christus ist durch die Auferstehung dieser Rahmen
gesprengt und es ist die Botschaft von Himmelfahrt, dass alle überall gleichen
Zugang zu Christus habe.
Und viertens verheißt er Leben
Also: Wer, wie, was ist der Heilige Geist?
Zuerst der Fürsprecher: der Anwalt, er macht meine Sache zu der seinen. Er verteidigt mich und rettet mich aus der Bredouille. Denn es gibt leider ehrlich gesagt immer wieder etwas, das gegen uns spräche. Der heilige Geist ist der Tröster, der daran erinnert, daß Jesus Christus für uns einsteht: als der gute Hirte, der auf die saftigen Weiden des Lebens führt, aber auch in den finstern Tälern des Lebens da ist, wo alle andern lieber kneifen.
Weiter ist der Heilige Geist der
Geist der Wahrheit. Die Wahrheit hat es oft schwer bei uns. Vor Gericht muß
man die Zeugen eigens belehren: die ganze Wahrheit zu sagen und nichts als die
Wahrheit. Denn im Leben triumphiert oft die Lüge. Die Wahrheit wird geschönt,
geschminkt, verschwiegen oder ausgeschückt. Der heilige Geist erinnert an die
Wahrheit, daß Gott seine Menschen liebt, auch wenn er nicht alles bejahen kann,
was wir tun.
Die Welt kann den Geist der Wahrheit nicht haben, weil sie Jesus nicht
als den Christus erkennt, weil sie sich weigert, die Wahrheit über sich selber
ehrlich und schonungsloszu erkennen und Christi Gnade anzunehmen.
Schließlich bedeutet der Heilige Geist Leben: Er gibt Freude und Mut. Ohne den Heiligen Geist meinen Menschen, sie hätten ihr Glück oder Pech verdient, oder es sei einfach Zufall. Uns aber öffnet Gottes Geist das Leben und sein Geheimnis neu. So können wir darin seine Gegenwart, sein Leiten und Wirken erkennen.
So gewiß wie Jesus damals Menschen
getröstet, vergeben, gestärkt, ja geheilt hat, so gewiß tut er das auch heute.
Es erfahren Menschen Versöhnung, Heilung, Glauben, Hoffnung, Liebe – kraft des
Heiligen Geistes, kraft des gegenwärtigen Christus.
Der Heilige Geist tröstet uns angesichts unserer Fragen, Sorgen, Nöte und
vielleicht sogar Verzweiflungen. Er gibt Dir und mir die feste Zusage. So weiß
ich: Ich bin in Gottes Hand geborgen! Was mir auch zustößt: Ich bin nicht
benachteiligt, nicht allein gelassen und nicht vergessen.
Pfingsten ist das Fest des Trostes!
Der heilige Geist führt Menschen
zusammen, er stiftet Gemeinschaft. Vor Pfingsten gab es keine christliche
Kirche. An Pfingsten fand der erste christliche Gottesdienst statt. Mit welcher
Zuversicht und Kraft hat der Heilige Geist dieses kleine Häuflein von Aposteln
engagiert, daß sie ihr Glaubenszeugnis bis an die Grenzen der damals bekannten
Welt hinaus trugen.
Pfingsten ist das Fest der Gemeinde, der Kirche!
Ich bin dankbar für das Leben der Gemeinde, die Aufbrüche, die wir gemeinsam
wagen. Von ihm begleitet, gestärkt, begnadigt und begnadet! Daß wir im Kleinen
wie im Großen seine Zeugen sind!
Wir besitzen ihn nicht. Denn der
Geist ist wie der Wind, der weht, (Joh 3,8) wo er will. Aber er hat versprochen
bei uns zu wehen. Ja, Christus selber ist es, der sein Leben und Wirken, der
sich selber uns schenkt.
Es ist nicht unsere Glaubensstärke unsere Widerstandsfähigkeit oder unser
eigener Wille, der uns zu Gott führt. Gottes Gegenwart ist eine Realität, die an
uns geschieht.
So feiern wir Pfingsten in großer
Freude und Dankbarkeit. Durch so viele Irrungen und Verwirrungen hat der Heilige
Geist, den Menschen und der Kirche durch die Jahrhunderte die Treue gehalten.
Vielleicht haben wir es heute besonders nötig, als Kirche im Umbruch.
Wir brauchen Mut, um Gemeinde im Aufbruch zu sein, da wo etliche meinen, wie
seien Gemeinde auf dem absteigenden Ast. Er wird uns führen, daß wir nicht nur
zusammenwachsen, sondern zusammen wachsen!
Und auch ganz persönlich: vielleicht
ist jemand heute in unserer Mitte in Not, Sorge oder verzweifelt. Da will der
Tröster genau eines tun: Er will trösten und ermutigen so, daß Du und ich sagen
und bekennen können: Ich bin in Gottes Hand geborgen. Er kennt mich. Was mir
auch zustößt, mein Fürsprecher läßt mich nicht im Stich. Selbst im Extremsten.
Ich darf Mut und Hoffnung schöpfen für meinen weiteren Weg.
Und wenn wir heute im Abendmahl das Brot teilen und den Wein aus dem Kelch
trinken, dann ist das das Zeichen für die geistliche Gegenwart Christi, der
spricht: Ich lebe und auch ihr werdet leben.
Amen
Pfr. Mathias Rissi
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