Wohnst Du noch oder lebst Du schon?

Ufwindpredigt - 20. September 2003 - Pfr. Mathias Rissi

Joh. 14 Vers 1-6

Johannes 14,1-6  Joh 12,1-6

 

Liebe Gemeinde

Wohnst du noch oder lebst du schon? So fragt - prima vista vielleicht etwas spitzfindig - das Möbelhaus aus Skandinavien, welches sich selber als «unmöglich» bezeichnet. Es sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen wohnen und leben. Das hören wir jedenfalls heraus. Leben will jeder, das ist eben mehr als bloß wohnen. Mit dem Bild des «Stubenhockers» wird Wohnen geradezu zum «Vegetieren» herabgemindert. Dabei ist Wohnen doch gar nicht übel: Die Wohnung verspricht Schutz und Geborgenheit, eben ein Leben in der vertrauten Umgebung.

Aber vielleicht ist es tatsächlich so, daß aus dem Wohnen heraus eine neue Lebensqualität erwachsen kann. Wir haben das letzthin bemerkt, als wir den uralten Teppich in der Stube - man konnte schon fast durch ihn hindurch auf den Fußboden sehen - durch einen neuen ersetzten. Jetzt haben wir ein ganz neues Lebensgefühl.

Natürlich: Glauben heißt Leben. Wenn wir aber genau hinschauen und hinhören beim Bibelwort heißt es beides: Wohnen (Vers 2) und Leben (Vers 6). Mag es auch wie ein Kontrast erscheinen, mir ist wichtig geworden, daß die beiden zusammengehören, gerade wenn es darum geht, die beiden Jesusworte zu verstehen.

 

Da steht der ganz bekannte Vers: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben! Niemand kommt zum Vater außer durch mich!  – Ein Vers, der herausfordert mit dem provokativen ICH. Es trägt einen Anspruch von Ausschließlichkeit in sich. Das kommt aber gerade heute bei vielen Zeitgenossen schlecht an, denn Toleranz ist großgeschrieben. Viele denken heute, es gebe doch auch noch andere Lebensphilosophien, die nicht schlecht seien. Auch wir Christen können sagen, daß es in andern Religionen und Weltanschauungen Aspekte gibt, welche uns beeindrucken. Zudem klingt es auch so überheblich, wenn jemand das Ego so herausstreicht. (Um redlich zu bleiben, müßten wir aber zugestehen, daß die Haltung heute weitest verbreitet ist: zuerst komme ich, dann noch mal ich und erst viel später die andern.) In den früheren Generationen war das vorangestellte Ich verpönt. In den selbstverfaßten Lebensläufen älterer Gemeindeglieder wurde öfter das Ich gar ausgelassen: z.B.: «Wuchs mit vier Geschwistern auf. Absolvierte die Schule, machte dann eine Lehre…» Sich selber in den Vordergrund zu schieben,  galt bis vor wenigen Jahrzehnten als unfein.

Und heute wird diese Praxis aus andern Gründen wieder geübt. Letzthin sandte ich einem meiner Kinder ein SMS über eine Jeans-Verkaufsaktion in einem bestimmten Geschäft. Ich schrieb: «...Gang go luege. Ich zal der's.» Der Sohn kam nachhause: «Hast Du die Jeans gefunden in meiner Größe?» Bei «Gang go luege.» hatte ich ihn gemeint. Er aber meinte, ich ginge schauen: «Ist doch klar, das Ich läßt man beim SMS aus Platzgründen weg!» Aus welchen Gründen auch immer, wenn man das «Ich» wegläßt – entstehen Mißverständnisse. Und wenn der Glaube und die Kirche dieses «Ich» weglassen würden, dann ginge das Zentrum verloren.

 

In Jesu Wort beansprucht das Ich Platz. Es wird gerne als eine herrschaftliche Aussage verstanden. Dann scheiden sich daran die Geister, wenn es bei Jesus um Himmel oder Hölle geht. Die einen drohen den andern mit diesem Vers: «Wehe, wenn du nicht diesen Weg beschreitest, kommst du nicht in den Himmel» Und die andern werfen der ersten vor kleinkarierte «Tüpflischiisser» (schweizerdeutsch für «Korinthenkacker»)  zu sein. Sie hätten sozusagen den Heiland in der Tasche und wüßten genau einzuteilen zwischen Geretteten und Verlorenen. Was ist aber da noch zu spüren von den großartig weit ausgespannten Armen Jesu?

Haben wir das Wort vielleicht falsch verstanden? – Wir sind gut beraten, die Jesusworte aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten!

 

Könnte das Wort: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben! nicht auch anders verstanden werden als eine herrische Deklaration? Z.B. so daß die Leute, wie wir es im Text ja auch lesen (Thomas im Vers 5), sagen: «wir wissen den Weg nicht!»  Und daß dies sehr oft im Leben wahr ist, daß wir den Weg nicht wissen, das ist keine großartige neue Erkenntnis, sondern sehr geläufig. Wenn Jesus aber zu fragenden Menschen spricht, dann bekommt seine Antwort einen andern Klang: Ihr sucht den Weg, die Wahrheit, das Leben? –  Ich bin's, für euch! Nehmt das Angebot an. So ist das Jesuswort eine große Einladung zum Vertrauen. Und das ist gewiß und wahr: wer auf Jesus Christus vertraut, der kann sein Leben aus Gottes Hand ganz neu in Empfang nehmen und unterwegs sein.

 

Hoffentlich tappen wir aber gerade dann nicht in die Falle, welche sich weit öffnet und eben «Tüpflischiisser» produziert. Denn sehr schnell kommen wir zum Schluß: Es ist richtig für mich, also ist es auch für alle andern richtig und die einzige Möglichkeit. Es ist durchaus denkbar, daß es im Leben ein «zu spät» gibt für wichtige Entscheidungen. Aber das liegt nicht in unserer Hand, genau um die Drohung und den Machtanspruch geht es hier nicht. Wenn wir das meinten, hätten wir das Bibelwort und seine Umgebung nicht richtig wahrgenommen.

Hier hat niemand den Heiland in der Tasche. Vielmehr: da ist gar nichts mehr in der Reserve!  Laßt uns dazu auf den Anfang des Evangeliums blicken: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh. 1, 14) Das griechische Wort für «wohnte» heißt genaugenommen «zeltete»! Gottes Mensch gewordenes Wort wohnte unter uns, d.h. es «zeltete», Gott schlug sein Zelt unter uns auf! Da ist also gar nichts von einer schroffen Felsenburg. Es ist kein triumphierender Christus. Darum sollen wir erst recht keine triumphierende Kirche sein. Bedenkt: Jesus sagt sein Wort von Weg, Wahrheit und Leben am Vorabend seiner Hinrichtung:

Ich bin der Weg – und er denkt an den Weg ans Kreuz: Jetzt hört der Weg auf, jetzt kommt nur noch Wüste und Leere. Da wird alles Philosophieren zu peinlicher Spekulation und führt nicht auf festen Boden.  Aber gerade da ist Christus der Weg, der hindurch führt, hinüber und herüber, von den himmlischen Räumen auf die Erde und von den irdischen Räumen in den Himmel. Und wenn ein Meer von Schuld und Tränen Himmel und Erde trennt, seit Christus vor dem Kreuz gesagt hat: Ich bin der Weg, wissen wir, daß es für Gott auch heute einen Weg gibt.

Er sagt: Ich bin die Wahrheit – Er sagt es am Vorabend des Tages, da die Lüge triumphieren wird, so wie sie in zusammengeballter Schwärze noch nie hat triumphieren können. Das Sprichwort meint zwar, Lügen hätten kurze Beine. Aber das täuscht. Abgesehen von Christus haben Lügen lange, entsetzlich lange Beine. Sie scheinen mit langen Schritten die Welt zu erobern. Aber hier ist ihnen die Grenze gesetzt. Es tut gut, sich nichts vorzumachen. Das Ende der Lüge ist da, wo Christus in Erwartung des Kreuzestodes sagt: Ich bin die Wahrheit.

Er sagt: Ich bin das Leben – und einen Tag später werden sie seinen Leichnam ins Grab legen. Wenn Jesus das sagt, dann gilt das auch heute für uns. An Christus glauben, das heißt: festhalten, daß er der Weg ist, wo es keinen Weg mehr gibt, daß er die Wahrheit ist, wo die Wahrheit am Kreuz hängt, daß er das Leben ist, wo Verwesungsgeruch sich ausbreitet.

 

Wenn wir das so erkennen können, dann wird unser eigenes Ich wirklich klein und bescheiden werden und die drei Buchstaben bekommen einen neuen tiefen Sinn: ICH steht dann nicht mehr für das Ego, sondern für Iesus CHristus

Ein Freund, der den frommen Augenaufschlag nicht beherrscht ;) hat mir erzählt: «Wenn ich zurückdenke an meine jungen Jahre: eigentlich ist es schade um jeden Tag, der damals nicht von Christus sein Licht empfangen hat. Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen.»

 

Damit kehren wir zum Schluß, wo wir von der Intoleranz abgekehrt sind, wieder an den Anfang zurück: zum Wohnen! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Das griechische Wort Wohnung heißt dem Wortstamm nach genommen genau: Bleibe! In meines Vaters Hause sind viele Bleiben – da ist Platz für viele, sicher für viel mehr, als unser enges Herz sich ausdenken kann. Zum Glück!

Nicht wahr: wir nehmen ja immer an, daß wir auf dem rechten Weg seien. Das ist genaugenommen relativ unverschämt!

Die nachfolgenden, anekdotischen Worte des Astronomen Johannes Keppler nehmen den Gedanken auf:

«Wenn wir dann in den Himmel kommen werden wir uns wundern:

Wer erstens alles da sei, den wir gar nicht hier erwartet hätten, und zweitens wer alles nicht da sei, den wir eigentlich ganz sicher hier erwartet hätten. Am meisten aber werden wir uns wundern, daß wir selber da sind.»

 

Herr, es ist unser Glück, daß du uns den Weg öffnest und nicht wir das tun müssen.

Denn wir verbauen in unserem Leben immer wieder so viel.

Du hättest alles Recht uns das vorzuhalten.

Aber Du bist voller Güte und Großzügigkeit. Dafür danken wir dir.

Hilf uns deine Weite entdecken und doch ganz auf deinem Weg sein.

Begleite uns durch unsere Tage und hilf uns sensibler zu werden, statt herrisch und selbstgerecht:
daß die Qualität des Leben, wie du es schenkst, sich in unseren Beziehungen und an der Arbeit aber auch in der Gesellschaft und Politik
, in den großen und kleinen Taten und Worten neu wirksam erweist.
Schenk uns durch deine Vergebung und deine Auferstehung Tag für Tag eine Bleibe in Glauben, Hoffnung. Liebe

Amen.

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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