Gottesdienst am 27. Juni 2021 in der Kirche Wil ZH
Pfr. Mathias Rissi - Johannes 15,1-7
Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich euch gesagt habe. Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich heraus keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr es nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen wie die Rebe und verdorrt; man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden.
Johannes 15,1-7
Liebe Gemeinde
Wer bin ich? - Ich bin Mathias Rissi, Jahrgang 52, nach vierzig Jahren im Pfarramt pensioniert, fünffacher Großvater, fahre Fahrrad- und Motorrad, liebe Gemeinschaft mit Freunden, machte so gern Konfirmandenlager auf Hausbooten…
So
nennen wir, wenn wir gefragt werden, eine Anzahl von Eigenschaften. Und das
Resultat ist eine Selbstdarstellung. Aber eigentlich ist es mir unangenehm,
meine Eigenschaften und Vorzüge hervorzuheben. Ich bin anders erzogen worden:
Man stellt sich nicht in den Vordergrund! In einem Brief darf der erste Satz
nicht mit »ich« beginnen. Überhaupt sollte dieses Wort möglichst vermieden
werden. So haben ganze Generationen das »ich« weggelassen: »Habe nach der
Schulzeit bei der Familie Doktor gedient« oder »Habe den Beruf eines
Elektromonteurs gelernt, habe dann geheiratet« - so schrieben gelegentlich
ältere Menschen ihren Lebenslauf für ihre Beerdigung ohne ein einziges »Ich«.
Heute macht man’s bei WhatsApp-Nachrichten wieder so, aber nicht aus
Bescheidenheit, sondern für mehr Tempo beim Schreiben. Aber nur dort, denn die
Jungen lernen es, zu sagen, was sie können und wer sie sind. Man nennt dies
»Kompetenzmanagement«. Das ist im Berufsleben bei den Bewerbungen eine wichtige,
gute Sache.
Aber es gibt ein Problem dabei. Sich in gutem Licht darstellen: da geht es so oft um Leistungen, Verdienste und Taten, da wird materialistisch gedacht. So kam es wohl auch zu folgender anekdotischen Gegebenheit: Beim Abschied nach dem Trauergespräch sagte einer der beiden Söhne zum Pfarrer: »Ist das nicht eigenartig: jetzt ist unser Vater mit 80 gestorben. Er hinterläßt uns beiden je Fr. 80'000.-« Ein paar Tage später in der Abdankung war's als der Pfarrer sagte: »Er verstarb im Alter von 80000 Franken…« Da heißt es, aufgepaßt: Wie rasch bewerten wir Menschen nach ihrer Leistung. Achtung: Zuviel Ego ist nicht gut.
Doch
da sagte ausgerechnet Jesus schon vor bald 2000 Jahren diesen steilen Satz:
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm,
der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Das mit dem Weinstock tönt schön – jedoch: Ohne mich könnt ihr
nichts! Klingt das nicht sehr arrogant? – Stimmt es denn, ist Jesus so
entscheidend wichtig? Viele kommen doch ohne ihn aus und bringen es im Leben
auch auf einen grünen Zweig. Mir sagten Leute schon, sie kämen zwar nicht oft
zur Kirche, aber sie lebten nach dem Motto »Tue Recht und scheue niemand!« - Da
muß ich doch zugestehen, wenn alle so dächten, müßte es auf unserer Welt
wirklich besser aussehen. Aber vielleicht wird der gute Satz oft etwas verdreht
zu: »Scheue Recht und tue nie was!«…
Ist
Jesus so wichtig?
Mir kommt ein Erlebnis in den Sinn. Ich hatte die Gelegenheit die wunderbare
königliche Tempelanlage von Doi Su Tep in Chiang Mai, Thailand, zu besichtigen.
Ein junger Student, als Kind war er bei den Mönchen in der Schule gewesen,
erklärte mir detailliert alle Eigenheiten und Bräuche in dieser buddhistischen
Tempelanlage: wieso die Leute Räucherstäbchen schwenken, Lose mit Horoskopen
kaufen, wieso sie in einer Reihe von Schalen in jede Schale eine Münze als
Spende für die Mönche legen, er berichtete von den sitzenden und liegenden
Buddhas und warum die Leute Blattgold auf die Buddhastatuen reiben. Und warum
alles so bunt und reich geschmückt ist. Dies alles würden die Gläubigen machen,
um die Götter gnädig zu stimmen und in einem nächsten Leben eine bessere
Existenz zu haben.
Ich dankte ihm für seine Ausführungen und fragt er ihn dann, ob er wisse, welche
Religion wir hätten. Er verneinte. Wir seien Christen, sagte ich und, ob er
diese Religion kenne? Er verneinte. Ob er von mir etwas davon erfahren wollen,
fragte ich. Ja, das wollte er.
Wieder
zu Hause in der Schweiz fragte ich dann die Konfirmanden, was sie wohl diesem
nur sieben Jahre älteren jungen Mann gesagt hätten, der noch nie etwas vom
christlichen Glauben erfahren hatte: Was ist kurz zusammengefaßt das Wesentliche
am christlichen Glauben? Yannik meldete sich und sagte es mit ganz einfachen
Worten: Daß Gott an uns glaubt! So einfach ist die Antwort und so genial. Ja,
das macht den Unterschied: Gott glaubt an dich!
Ähnlich hatte ich es auch dem Mönch und Reiseführer gesagt: Alles, worum er sich
ein Leben lang bemüht mit unserem sicheren Ausgang, - das alles bekommen du und
ich geschenkt.
Alle
anderen Religionen lehren: Du mußt gottesfürchtig sein, Gutes tun und perfekt
Gottes Willen erfüllen – dann wirst du vielleicht von Gott belohnt.
Das Evangelium sagt das Gegenteil. Nicht du mußt an Gott glauben, sondern Gott
glaubt an dich. Welchen Schub gibt es Menschen, die das erfahren: Gott glaubt an
dich. Diesen Unterschied macht Jesus Christus.
Das
Problem war auch Luther bekannt, daß Menschen ohne Christus auskommen: »Wir
wissen sehr wohl, daß Kinder zeugen und ziehen, Land und Leut regieren, und
dergleichen, bei den Heiden und Ungläubigen ja so gut und besser sein mögen,
denn bei den Christen, und daß die Heiden auch dasselbige leibliche Leben und
Wesen und allerlei Gaben, wie wir haben…« Dann erklärt er jedoch: »Sie
sehen dann nicht weiter als auf sich selbs und ihren Stand oder Werk« und
nennt damit das Problem: »… und wissen nicht, was das heißt in Christo sein!«
Sie sind wie wir normale Menschen, aber sie schauen nur auf sich, darauf,
was sie leisten – und vergessen, daß sie in Frage Gestellte sind. In Frage
gestellt durch allerlei Not und Sorge, die sich nicht einfach lösen lassen:
Spannungen mit andern, Ärger an der Arbeit, Angst, Unsicherheit, Müdigkeit,
Krankheit, Schwäche – ich muß da nicht einmal Beispiele zitieren, denn Sie
finden gleich beim einen oder andern Begriff Ihre eigenen Gedanken wieder.
Menschen kennen nicht nur ihre großartigen Möglichkeiten, sondern auch ihre
Defizite und Enttäuschung, Ungenügen und vergebliche Hoffnung.
… und manchmal sind wir wirklich gräßliche Egos – ein hoffnungsloser Fall.
Uns stellt sich die gleich Frage, wie dem Buddhisten: Wie soll ich es schaffen,
so fehlerlos und edel durchs Leben zu kommen? Bei uns Christen erst recht, wenn
wir an den Anspruch des Doppelgebotes der Liebe denken.
Da
wird es zentral, Jesus Christus zu hören: »Ich bin der Weinstock, ihr seid
die Reben. Ich bin’s für euch!«
Professor Eduard Schweizer, mein verehrter Lehrer im Neuen Testament, hat uns
das zu Studienzeiten so erklärt:
Diese »Ich-bin«-Worte Jesu sind nicht arrogante Selbstdeklaration. Sie sind
vielmehr Antwort auf eine Situation, auf eine Frage. Hier sind Menschen in
Gefahr, in der Hoffnungslosigkeit zu verdorren. Drum werden sie auf den
Weinstock hingewiesen.
Genauso ist es auch bei allen anderen »Ich-bin«-Worten. Nehmen wir nur als
Beispiel, wenn Jesus sagt: Ich bin die Tür. Ich stelle mich jene Menschen
vor. Sie fühlen sich wie in einem Gefängnis. In einem Raum ohne Ausgang.
Gnadenlos halten Krankheit und Tod sichere Ernte. Nein! sagt Jesus. Er, der
Auferstandene, ist die Tür, die aufgeht und Licht und Luft in den muffigen Raum
hinein läßt und den Menschen den Weg ins Leben öffnet.
So
wollen wir es auch beim Weinstock verstehen: Ihr braucht Lebenssaft – Ich bin
euer Weinstock.
Ja, woher denn sonst soll unser Leben Kraft bekommen, woher unsere Kirche Mut
und Klarheit.... wenn wir uns abnabeln? Ich bin überzeugt, daß es der Momente
genug gibt, die uns unsere Christus-Bedürftigkeit klar vor Augen führen. Wie die
Reben am Weinstock sind wir. Sie bekommen den Saft vom Weinstock!
Vielleicht fragen jetzt einige: Wie kommen wir dazu? Was müssen wir tun? Das ist falsch gefragt: denn wir sind schon drin in diesem geistlichen Stoffwechsel und dran an diesem Weinstock. Ich erinnere an Zachäus. Jener verachtete Oberzöllner, der mit den römischen Feinden gemeinsame Sache gemacht und Zollstellen gepachtet hatte und nun seine eigenen Landsleute mit Wucherzöllen ausnahm. Als Jesus den (in den Augen des Volks und der Frommen zu Recht) Geächteten auf einem Baum sitzen sah, winkte er ihn herunter und lud sich zu einem Fest bei ihm ein. Dieser Zachäus merkte, was es heißt, vom Weinstock her Lebenskraft zu bekommen: Die Liebe, Versöhnung und Freundschaft Gottes, die ihm in Christus entgegen kam, hat ihn noch am gleichen Tag gewandelt. Nicht nur das Unrecht beheben, sondern das Geschehene vierfach gutmachen, das tat er von da an. Wenn wir also fragen: Wer bin ich? dann tun wir gut daran, nicht auf unsere »Stand oder Werk« zu schauen, sondern mit Luther zu sagen: »Ich bin getauft und durch Christi Blut gewaschen… so habe ich auch sein Wort, daß Christus für mich gestorben ist und auferstanden… Meine Heiligkeit, Gerechtigkeit und Reinigkeit kompt nicht aus mir,… sondern ist allein aus und in Christo, welchem ich eingewurzelt bin durch den Glauben«
Wenn das die Krankheit unserer Zeit ist, daß wir und unsere Mitmenschen zu wenig wissen, wer Christus ist, dann brauchen wir jetzt am nötigsten diese Aufklärung!
Im Marketing spricht man vom USP – »unique selling proposition«, das einzigartige Verkaufsargument. Welches Argument zeichnet unsere Firma gegenüber allen Konkurrenten als einmalig aus? Gewiß ist die Kirche keine Firma und das Evangelium kein Verkaufsartikel, aber die Frage nach dem USP ist auch hier keine Nebensache. Ist es die Nächstenliebe? – Wohl kaum, die gibt’s auch anderswo. Sind es die Diakonie, ethisches Reflektieren, korrektes Arbeiten, schöne Kultur, gepflegte Traditionen – nein, denn das alles gibt es hoffentlich auch in andern Religionen oder bei Atheisten. Unser USP ist der Weinstock! Von ihm kommt das Leben. Das sollen die Gemeinde, die Kirche, die Mitglieder bekennen. Alles andere ist Geschenk und Frucht. Letztes Jahr hat eine Konfirmandin dies glasklar erfaßt, als sie mir riet, im Unterricht »noch mehr von Jesus zu bringen« (dabei hatte sie mir doch vor einem Jahr unmißverständlich gesagt gehabt, daß sie nicht an Gott glaube…)
Bis jetzt haben wir der ersten Blickrichtung dieses Bibelwortes unsere Aufmerksamkeit geschenkt: von draußen nach drinnen, von der Dürre zum Lebenssaft. Die zweite Blickrichtung weist von drinnen nach draußen: Die Reben bringen Frucht! Es sind nicht die Früchte der Rebschosse, sondern Früchte des Weinstocks, die da an den Rebschossen wachsen. Darum ermahnt Jesus eindringlich: Bleibt drin! Achtmal steht das Verb »bleiben« in diesen sieben Versen. Bleibt in mir, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Bleiben, das heißt für uns als Einzelne, in unseren Gedanken und unserem
Vertrauen der Beziehung zum Weinstock Raum zu geben und sie im Gebet zu pflegen.
Zugleich aber rückt auch die Gemeinschaft ins Rampenlicht! Wir sind alle Reben
an diesem Weinstock, ja die verschiedenen Kirchen und Denominationen sind
Rebschosse am Weinstock Jesus Christus. Was uns verbindet, das ist ja nicht der
gemeinsame Wille eine Gemeinde zu gründen, sondern daß wir durch den Weinstock
Christus schon verbunden sind. Hier fließt das lebensspendende Wasser, hier
geschieht Wachstum. Hier wachsen die Früchte – das geschieht fast automatisch:
Aufmerksamkeit für den Nächsten, Diakonie, Freude am Gestalten, ethisches
Handeln – es geschieht aus Freude und Dankbarkeit.
Und es ist von einer unerhörten Verheißung getragen: Wenn ihr in mir bleibt
und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt, und es
wird euch zuteil werden
Zum
Schluß fasse ich zusammen: Diese drei Buchstaben. I C H sind doch ganz wichtig:
aber nicht mehr als Pronomen der ersten Person im Singular, sondern als
Anagramm: Iesus Christus!
Also was kann uns Besseres passieren, als daß Jesus groß herauskommt!
Schon Johannes der Täufer hatte gesagt: Er (Jesus) muß wachsen, ich aber
geringer werden. (Joh 3,30)
Am Anfang hatten wir gefragt: Wer bin ich? und kritisch reagiert. Christus sagt aber: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. – Ich muß mir und Gott nichts beweisen, nicht mehr sein Gefallen erkämpfen…
Aber
ich lebe aus ihm: von Gott genährt, geliebt, getragen. Von Gott ermächtigt und
ausgestattet, Frucht zu bringen.
Nicht Leben in Angst wegen des Ungenügens, sondern in Dankbarkeit. Sogar da, wo
wir mit den steilen Erwartungen aus der Bergpredigt ringen – auch das gilt es
voll Dankbarkeit und Freude zu wagen, denn – Er glaubt an Dich!
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