24. Dezember 2012 Johannes 1,14 - Pfr. Mathias Rissi Joh 1,14
Heiliger Abend - Niederweningen
Und das Wort ward Fleisch und zeltete unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.
Johannes 1 14
Liebe Gemeinde
Fürchtet Euch nicht – große
Freude!
Das ist die Mitte der Weihnachtsbotschaft.
Und Weihnachten ist angekommen.
Das Radio spielt Weihnachtslieder – zugegeben, manchmal haben sie mit der frohen
Kunde im Evangelium nicht mehr viel zu tun. Aber Weihnachten ist da. Und das TV
zeigt rührende Filme.
Es geht ihnen vielleicht gleich wie mir: Erinnerungen an Weihnachten in
Kindertagen werden wach. Schöne Gedanken – Ja, zum Glück gibt’s Weihnachten, das
gehört einfach zum Leben.
Da ist etwas geschehen, das uns Menschen ganz besonders betrifft und berührt. Es
berührt eine Sehnsucht tief in uns drin.
Denn voll Sorgen und Furcht
– so sind wir sozusagen von Natur aus.
Gewiß ist das Leben schön, aber nicht immer gleich schön oder immer nur schön.
Es ist immer auch Arbeiten, Erfolg und Mißerfolg und ein sich Auseinandersetzen
mit den Möglichkeiten und Gefahren des Lebens.
Die sorgenvollen Gedanken blenden wir gerne aus. Das geht gut, wenn man gesund
und stark ist und wenn die Wirtschaft blüht.
Und doch: Wer kennt nicht die Angst, verloren zu gehen und unterzugehen.
Ganz einfach und grundsätzlich gesagt geht darum:
Wir wollen nicht verloren gehen und haben doch im Letzten nicht die Macht, uns
zu retten.
Darum sagt Jesus zum nächtlichen Besucher Nikodemus und zu uns heute Nacht, daß
Gottes Liebe nicht zulassen will, daß wir Menschen verloren gehen.
Kommt diese Botschaft bei
uns noch an? Hören wir sie so radikal, wie die Christenheit der ersten
Generation vor bald 2000 Jahren?
Weihnachten gehört doch einfach dazu mit dem Tannenbaum und dem Fondue Chinoise
oder Schinkli und den Geschenken.
Könnt es sein, daß wir die Geschichte viel zu oft gehört haben und nun für die
radikale Aussage kaum mehr empfindsam genug sind.
Deshalb erzähle ich Ihnen heute eine Begebenheit, die mir mein Vater vor Jahren berichtete.
In den Sechzigerjahren
war eine Zürcher-Gruppe von der Jungen Kirche in den Cevennen in Südfrankreich.
Sie halfen das halbverfallene Pfarrhaus und einen Gemeinderaum instand zu
stellen. Dabei lernten sie den Pfarrer Mercoiret von Leuzières kennen. An
einem Abend nach getaner Arbeit berichtete dieser ein Erlebnis aus jungen
Jahren. Nach dem Studium ging er als Missionar in den Tschad, damals eine
französische Kolonie. Er gelangte zu einem Stamm, welcher zuvor noch keinen
Kontakt mit Europäern gehabt hatte. Deshalb war die Verständigung auch recht
schwierig. Aber mit Händen und Füßen und etwas gutem Willen klappte es schon.
Der Franzose wurde freundlich in der Dorfgemeinschaft aufgenommen. Die ersten
Wochen und Monate waren ausgefüllt mit gemeinsamen Arbeiten. Der Pfarrer brachte
sein Wissen im Garten- und Brunnenbau ein. Mit einfachsten Mitteln konnte da und
dort ganz erstaunliches zuwege gebracht werden. Und ganz nebenbei lernte er die
Sprache dieses Stammes. Es war für beide Teile eine gute, freundschaftliche
Zusammenarbeit.
In vielen Monaten schließlich hatte Pfr. Mercoiret sich gut eingelebt. Da
gelangt er an den Chef des Stammes: »Ich danke euch für
die gute Zusammenarbeit und die Freundschaft, die ihr mir gegeben habt. Nun muß
ich Euch aber noch etwas wichtiges sagen. Ich bin nämlich nicht nur hier, um mit
euch auf den Feldern und an den Häusern zu arbeiten und Brunnen zu graben. Ich
bin nämlich auch ein Botschafter des höchsten Gottes und habe eine ganz wichtige
Botschaft an euch auszurichten!«
Der Chef des Stammes
beruft sofort seinen ganzen Stamm zu einer Versammlung ein. Erklärt den Leuten,
daß der Franzose eine wichtige Botschaft des höchste Gottes zu verkünden
habe, und erteilt dem Pfarrer das Wort.
Die wichtige Botschaft des höchsten Gottes ist ganz einfach: »Ich bin hier,
um euch zu sagen, daß ihr euch freuen dürft, weil Gott zu den Menschen gekommen
ist. Als ein Kind in einfachen Verhältnissen.«
Die Leute schauen den Pfarrer groß an und der Chef unterbricht ihn:
Wann soll das geschehen sein?
Vor
über 1900 Jahren - als der Vater des Vaters des Vaters
des Vaters des Vaters des Vaters....« versuchte der Pfarrer zu
erklären,
was eine so lange Zeit sei.
»Ist das wirklich wahr, ich muß es genau wissen!«
Natürlich! das sei gewiß und wahrhaftig die Wahrheit.«
»Warum lebst du jetzt schon über ein halbes Jahr und sagst
uns das erst jetzt? Und
dabei ist dies das Wichtigste. Du mußt nämlich wissen, vor vielen,
vielen Jahren da
wohnte Gott in unserem Volk. Das war eine ganz gute Zeit.
Aber unsere Vorfahren
waren wie wir. Die Menschen waren schlecht - schließlich ist es
Gott verleidet. Er hat
uns verlassen, vor vielen Generationen. Seither plagen wir
uns durchs Leben. Es geht ja
auch so. Für uns ist es schon ganz normal geworden, daß Gott
nicht mehr da ist. - Aber
manchmal wir erinnern uns daran, daß es einmal anders war.
Einmal im Jahr feiern wir
ein großes Fest - würdig und prächtig, aber auch voll
Traurigkeit - wir erinnern uns
daran, daß Gott uns verlassen hat. - Und nun berichtest du
uns die größte
Freude! Gott ist Mensch geworden, um wieder bei den Mensch –
BEI UNS – zu sein!!!«
Für jene
Menschen war es nicht religiöser Kulturimperialismus, was der französische
Freund berichtete. Sie haben die unerhörte Botschaft vernommen. Sie
hatten darauf gehofft – was sage ich, sie hatten offenbar nicht mehr darauf
gehofft.
Traurig sind ihre Tage ins Land gegangen – sie sind aufgestanden, haben
gearbeitet, sich abgemüht und sind Abends müde zu Bett gegangen. Und haben
wehmütig daran gedacht, wie gut es doch hätte sein können, wenn Gott in ihrer
Mitte wäre.
Und nun ist da Jesus, dieses
hilflose neugeborene Menschlein, es trägt die Hoffnung der Rettung der Welt:
Jawohl der erhabene, allmächtige, meist rätselhafte und ferne Gott ist radikal
anders geworden als die Götter in den Religionen der Menschen.
Er erbarmt sich der Menschen in ihrer Verlorenheit. Er sucht unsere Nähe, er
teilt unsere Hinfälligkeit, unsere Sorgen, aber er freut sich auch mit uns über
alles, was gelingt. Er macht uns zu Schwestern und Brüdern – die in Liebe und
Achtung miteinander verbunden sind.
Kehren wir zum Schluß
nochmals in den Tschad zurück:
Ich stelle mir vor, daß jener Volksstamm von dem Tag an ganz anders an die
Arbeit ging. Die Arbeit war zwar die gleiche, die Probleme und die Freuden des
Lebens auch – aber die Gewißheit: Gott erkennt uns, liebt uns, Gott ist bei uns
zu jeder Stunde, in jedem Hoch und in jedem Tief genau so – das verändert den
Alltag.
Bleibt nur zu hoffen, daß jenes Volk im Tschad, und genau so auch wir, acht
darauf haben bis heute und das Vertrauen auf den gegenwärtigen Gott pflegen. Es
wäre doch schlimm, wenn die Menschen vor lauter Gewohnheit Gott vergessen
würden.
Da ist es doch gut, alle Jahre wieder Weihnachten zu feiern. So soll es auch aus unserer Mitte am Schluß des Gottesdienstes mit dem strahlenden »O du fröhliche« hell in die Welt hinausklingen – und in die Tiefe unseres eigenen Herzens hinein: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue, freue dich, o Christenheit.
Amen
Pfr. Mathias Rissi
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