25. Dezember 2007  Johannes 3,16   -  Pfr. Mathias Rissi  

Weihnachten - Predigt zur Kantate von Dietrich Buxtehude: Das neugeborne Kindelein

 

 

Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.  Johannes 3,16

 

 

Liebe Gemeinde 

 

Wunderbare Musik hat Dietrich Buxtehude komponiert. Kein Wunder, daß Johann Sebastian Bach nach Lübeck zum großen norddeutschen Meister reiste, um von ihm zu lernen – aber nicht wahr: der Text dieser Kantate ist ein bißchen gar niedlich!
Der Fachmann sagt: Natürlich
, so klingt lutherische Orthodoxie! Aber ein heutiger Textdichter würde damit keine Lorbeeren verdienen. Das Urteil der Kritiker wäre schonungslos: zu süß!

Wie können erwachsene Menschen bloß so ins Schwelgen kommen und das » herzeliebe Jesulein« besingen?

 

Gewiß geht es an Weihnachten um die Freude. Ungezählte Male haben sich Menschen in diesen Tagen »Frohe Weihnachten!« gewünscht. Mit viel Glitzern und Lichtern, mit Geschenken, die oft allein schon wegen ihrer Verpackung Verzückung auslösen, und mit weihnachtlicher Musik wurde die froheste aller Zeiten des Jahres besungen. Manchmal eben sogar krampfhaft fast beschworen – denn die Freude muß sich doch einstellen! Und wenn sie es nicht tut, dann ist die Enttäuschung um so größer.

 

Die tiefe Freude von Weihnachten hat aber einen andern, einen inneren Grund. Die Kantate tönt es an: Ist Gott versöhnt und unser Freund, / was kann uns tun der arge Feind?

Nun mag jemand einwenden: Ist das nicht selbstverständlich, daß Gott unser Freund ist? Er ist doch der Liebe Gott.

Nein: Die Erfahrung der Menschheit steht dagegen.

Das eine von den beiden bekanntesten Weihnachtsliedern weiß das: »O du fröhliche Weihnachtszeit. Welt ging verloren.« - Nun wollen wir, liebe Gemeinde, aber zu Weihnachten nicht unsere Verlorenheit ausmalen. Das könnten wir zwar stundenlang. Unsere Verlorenheit, die kennt jede und jeder zu Genüge. Und, seien wir da ganz ehrlich, was stellen Menschen nicht alles an, um nicht verloren zu sein, um sich des Glückes zu versichern!

 

Wir wissen, daß die Menschen von Natur aus Angst vor Gott haben. So haben es die Ethnologen und Religionswissenschaftler in allen Völkern der Erde gefunden.

Wie versuchen doch die Menschen, Gott oder die Götter des Universums oder das Übersinnliche zu besänftigen und für sich einzunehmen. Das geht selbst in unserer säkularisierten Kultur bis hin zu den absurdesten esoterischen Bräuchen - weil die Menschen Angst vor der Gottheit haben und sie gnädig stimmen wollen. Wie sehr das stimmt, erlebte ich in einer ersten Sekundarschulklasse. Als ich die Sprache des Neuen Testaments, Griechisch, anhand unseres Bibelverses zeigte und sagte: So sieht es der christliche Glaube, daß die Menschen Gott nicht mehr fürchten müssen, weil er sie lieb hat. – Da kam eine Woche später ein Mädchen zu mir und sagte mit Überzeugung: »Das stimmt nicht, was sie letztes Mal gesagt haben. Wir müssen Angst haben vor Gott!« Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: »Natürlich du bist eine Muslima. Und kennst Allah, wie groß und streng er ist. Wer ihn nicht fürchtet, der wird seinen Zorn erfahren.« Worauf das Mädchen mit heftigem Kopfnicken zustimmte. – Ja, die Menschen haben Angst vor Gott, weil sie ganz genau wissen, daß keiner vor ihm bestehen kann.

 

Dabei, was hat Gott nicht alles probiert um den Menschen zu zeigen, daß er sie doch lieb hat! Dem Abraham und der Sara, dem Mose, dem David hat er Vergebung geschenkt und nicht etwa ihre Taten oder ihren Mangel an Vertrauen vergolten. Er hat Propheten zum Volk gesandt mit Kritik, aber auch mir der Botschaft der Versöhnung – aber sie haben es nicht wirklich geglaubt! Sie konnten es nicht glauben! Aber immer wieder hat er ihnen vergeben und Gnade geschenkt –  aber immer haben sie dennoch Angst gehabt. Besonders deutlich zu erkennen ist das am Augustinermönch Martin Luther, der in seiner Zelle ringt und verzweifelt: »Wie kriege ich einen gnädigen Gott?« Ja, ein tiefes Mißtrauen kennzeichnet die Beziehung zwischen ernsthaften Mensch und Gott.

 

Und da sagt es Jesus im Johannesevangelium mit letzter Klarheit:  Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.

 

Wenn Mißtrauen regiert und das Vertrauen fehlt, braucht es eine vertrauensbildende Maßnahme: Man macht sich wehrlos und liefert sich aus. Man zeigt: ich habe keine Waffen versteckt und keine Rachemacht im Hintergrund, so war das im Kalten Krieg.[1] In einer ganz andern Kategorie ist die vertrauensbildende Maßnahme Gottes! Die Menschwerdung ist die vertrauensbildende Maßnahme Gottes!

Gott selber ist einer von uns geworden: ein Kind! Die Menschen müssen nicht mehr Angst haben.

Gott, der das Leben zu seiner eigenen Sache macht, Gott – ein Kind! Ein Mensch, eingeschlossen alle Freude und alles Leid, samt dem Tod! Wenn das nicht Zeit ist, die Angst vor Gott abzulegen, und Grund der Freude ist.

Darum erklärt der Liederdichter in der zweiten Hälfte der Kantate den Grund der Freude: Ist Gott versöhnt und unser Freund, / was kann uns tun der arge Feind? Das ist das eine, was uns dieser Vers heute Morgen mitgibt.

 

Und das andere steht in der zweiten Vershälfte: damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Es ist tatsächlich so: daß Weihnachten jene froh macht, die glauben.

Wer nicht glaubt, an dem perlt die Weihnachtsbotschaft ab, wie das Wasser an einer Ente. Ohne ihn ist Weihnachten immer in Gefahr, »e silbrigs Nienewägeli und e goldigs Nüteli« zu werden, wie mein Großvater zu sagen pflegte! Wenn nichts drin ist, kann man das Nichts zwar kaschieren. Bloß nützt aller Schmuck nichts und Menschen empfinden dann Weihnachten nur als ein Riesengeschäft, als emotionalen Betrug und als Belastung.
 

Dort aber wo Gottes vertrauensbildende Maßnahme ein Herz geöffnet hat, dort wird mitten im Leben Gottes Welt erlebt. Und die große, tiefe Gewißheit und Freude von Gottes Welt, die in unserer Welt Platz gegriffen hat, widerspiegelt sich in den Weihnachtsgeschichten, den Liedern, Geschenken, im feinen Essen und in der Freude des Wiedersehens. Für uns, die Gott vertrauen, wird das Leben ein neues: Ja, Jesus kann uns sogar sagen: Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist hinübergegangen aus dem Tod in das Leben. [2]

 

Kein Wunder konnten sich die Menschen des Spätbarocks so kindlich freuen.

Und heute freuen wir uns mit ihnen:

Das neugeborne Kindelein,

das herzeliebe Jesulein
bringt abermal ein neues Jahr

der auserwählten Christen Schar


Des freuen sich die Engelein

die gerne um und bei uns sein
und singen in den Lüften frei,

dass Gott mit uns versöhnet sei.


Ist Gott versöhnt und unser Freund,

was kann uns tun der arge Feind?

Trotz Teufel, Welt und Höllenpfort,

Herr Jesu, du bist unser Hort!

 

Du bringst das rechte Jubeljahr.

Was trauern wir dann immerdar?

Frisch auf, es ist jetzt Singens Zeit

Herr Jesu, du wendst alles Leid!

 

Amen


 

[1] Erinnern sie sich noch an die KSZE, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zur Zeit des Kalten Krieges? Als eine vertrauensbildende Maßnahme wurden z.B. feindliche Militärbeobachter zu den Manövern eingeladen, detaillierte Informationen über Truppenstärken und Bewaffnung ausgetauscht und klar signalisiert: Wir spielen mit offenen Karten, wir haben keine versteckten Waffen in Reserve. Wir zeigen unsere Verletzlichkeit.

 

[2] Joh 5,24

Pfr. Mathias Rissi

 

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