...damit das Recht auf Nahrung kein frommer Wunsch bleibt
Ufwindgottesdienst zur Aktion Brot-für-alle
Meilen, 8. März 2008
- Predigt Pfr. Mathias Rissi 
Johannes 6,35 und die Speisung der 5000 Johannes 6,1-13

Johannes 6,35  (alle Bibelzitate sind der Neuen Zürcher Bibel von 2007 entnommen)

Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.                                                                                                  

 

Liebe Gemeinde

…damit das Recht auf Nahrung nicht ein frommer Wunsch bleibt. So heißt das Motto der Brot-für-alle-Aktion 2008

Das Wort von Jesus weist einerseits hin auf die Geschichte der Speisung der Fünftausend am Anfang des Kapitels[1]  – eine recht wundersame Geschichte. In der Einöde außerhalb der Dörfer Galiläas ist Jesus lange und intensiv für das Volk dagewesen. Als die Mägen knurren, fragt Jesus die Jünger: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese zu essen haben? Da ist weit und breit kein Bäcker, erst recht keiner, der fünftausend hungrige Mäuler sättigen könnte. Ein Kind bringt schließlich seinen Proviantkorb mit fünf Broten und zwei Fischlein – für fünftausend Männer! Jesus heißt die Leute sich setzen und das Essen wird ausgeteilt – und alle bekommen genug.
In unseren kritischen Ohren ist das eine wundersame Geschichte. Ich habe schon verschiedene Auslegungen dazu gehört. Sie haben mich nicht wirklich glücklich gemacht: Einer meinte etwa, Jesus habe das Zeichen zum Proviant-Auspacken gegeben und die Leute hätten dann eben Ihre Taschen und Körbe geöffnet und ihren Proviant geteilt und gegessen. Ich aber meine: So einfach geht das nicht. Im Zug der Aufklärung meinte ein Ausleger, Jesus habe eben gewußt, daß hinter dem Hügel eine Feldbäckerei (vermutlich der römischen Legion) gewesen sei. Auch diese Erklärung greift entschieden zu kurz. Wir nehmen dieses Bibelwort mit Staunen zur Kenntnis. Da muß etwas ganz Besonderes geschehen sein, aber was? Das finden wir nicht mehr heraus. Eins jedoch ist klar: Jesus will sie nicht gescheiter machen oder frömmer, wie Kirchenmenschen das vielleicht gerne sähen, nein: satt müssen sie werden! ... und da muß ein Wunder geschehen.

Wie gesagt: Jesus will die Hungernden satt machen! Und er spielt den Fall den Jüngern zu. Da fühlen auch wir uns angesprochen. Wenn täglich auf unserer Erde fünfundzwanzigtausend Menschen den Hungertod sterben, dann läßt uns das nicht reglos. Hier heute zu handeln ist auch unsere Aufgabe.

Zuerst klagen die Jünger, es sei nicht genug Geld da. Heute wäre genug Geld da. Aber andere Fragen erschrecken uns: Wir fühlen uns hoffnungslos überfordert vom riesigen Hungerproblem. Und haben wir nicht in der Vergangenheit so vieles falsch gemacht und durch die Aktionen in der Dritten Welt neue Probleme geschaffen? Die westliche Medizin hat die Überlebenschancen der Kinder und die Lebenserwartung gesteigert. Die Entwicklungsländer kämpfen mit Bevölkerungsexplosion, Kulturschock und Verelendung. Die westliche Kultur hat die alten dortigen Gesellschaften zerstört. So sagen jetzt Stimmen bei uns: Wir hören besser auf, mit der Entwicklungshilfe. Aber jetzt sich zurückziehen: das wäre, wie wenn jemand einen Blinden über einen gefährlichen Weg führen will und es dann selber hart am Abgrund mit der Angst zu tun bekommt: ›Ach ich bin nicht der gute Führer, für den ich mich hielt. Geh lieber selber weiter.‹ Das wäre, wie einem Blinden den Stock wegzunehmen. Wir wissen: Wir können heute nicht mehr zurück und dürfen uns auch nicht der Verantwortung entziehen.

Die Jünger hatten zu wenig Geld. Heute wäre genug da, habe ich vorhin gesagt, aber es reicht trotzdem nicht. Der Grund ist unser Hunger! Unsere Maßlosigkeit!
Es ist eine alte Tatsache: Mit dem Essen kommt der Appetit auf mehr. Und weil wir global verstrickt sind, leiden andere unter unserer Maßlosigkeit.

Darum ist es Zeit, daß die Hungrigen sich wehren und für ihr Recht auf Nahrung einstehen. Die Kleinbauern in Brasilien sagen: »Laßt uns das Land, auf dem wir etwas pflanzen können. Braucht nicht alles für euren Treibstoff. « Die Fischer in Indien sagen: »Laßt uns die Fanggebiete, die wir mit unseren Booten erreichen. Fischt nicht alles leer mit euren riesigen Netzen.« Die Eingeborenen im Urwald von Indonesien sagen: »Laßt uns den Regenwald, von dessen Früchten wir uns ernähren. Haut nicht alles um für euren Holzbedarf.«
In der Schweiz gilt das seit über 100 Jahren: der Wald bleibt erhalten! Wer Wald rodet, muß andernorts die gleiche Fläche aufforsten.

Warum sind wir Menschen nur so unersättlich? Ich bin sicher: dahinter steckt nackte Angst! Aber aller materielle Hunger ist nicht zu stillen! Alles Essen, die teuersten Ferien, der köstlichste Luxus – alles das reicht nicht. Wir müssen nicht Managergehalt verdienen, um zu wissen, daß man noch mehr haben möchte.

Da wäre wirklich Verzicht angebracht! In der Geschichte gibt es einen Lichtblick: ein Kind denkt anders, als ›selber essen macht satt‹ – es bringt fünf Gerstenbrote und zwei Fischlein in die Mitte. Und dann werden alle satt. Das ist ein Wunder, oder besser ein Zeichen! Denn auch ein paar Stunden nach dieser wunderbaren Speisung, wird sich der Hunger wieder melden.

Darum ist es jetzt Zeit, den Blickwinkel zu wechseln. Du und ich, wir sind zwei von diesen Fünftausend. Und Jesus hat uns gesehen und unseren Hunger erkannt!
Liebe Schwestern und Brüder, diese Geschichte kann nur richtig verstehen, wer den kennt, Jesus Christus, der etwas später sagt: Ihr habt Hunger? –  Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. 
Jesus Christus, das Brot des Lebens
, geht den Lebenshunger radikal an und überwindet die Angst der Welt[2]. Er macht es möglich, die Spannungen auszuhalten. Er hat es getan vor uns und für uns. Kreuz und Auferstehung sprechen uns Beistand zu. Jesus ist global verstrickt in unsere Welt bis hinein in unser Leben. Das Brot, das unseren Hunger stillt, ist sein Eintreten für uns. Sein Hineingehen in den Tod und seine Auferstehung weisen über unseren körperlichen Hunger hinaus auf das Grundproblem menschlichen Lebens: die Angst, nicht zu bestehen. Und alles was wir tun, um unserem Leben Sicherheit und Bestand zu verleihen, das läßt doch die Defizite (sprich: die Schuld) nur noch klarer zu Tage treten.

Martin Luther sagte und trifft damit den Kern dieser Geschichte: »Wenn eine Predigt geschieht, so geschieht immer ein Wunder, das noch größer ist als damals mit den 5000 Männern…«[3] Und er dachte bei der »Predigt« daran, daß Christus sich in der Verkündigung und als das Brot des Lebens schenkt.

Das Ziel der Geschichte ist also nicht, zu staunen, was für seltsame Zeichen und Wunder Gott tun kann. Das Ziel ist es viel mehr, einen Blick hinter die Kulissen des Gottesreiches: Gott will die Menschen satt machen. Nicht nur physisch, aber gewiß auch physisch! Und er will uns dabei brauchen. Ja, wir könnten jenem andern Christus Wort vom Licht den Satz nachbilden. Christus spricht zu denen im Dunkel: Ich bin das Licht der Welt [4] –  und weil er das Licht ist, mutet er uns, seinen Jüngern, zu: Ihr seid das Licht der Welt! [5]

Und so, wie Johannes nicht beim Wunder stehen bleibt, daß fünf Brote und zwei Fischlein für die Fünftausend reichen, so sollen auch wir nicht ungläubig dreinschauen und mit offenem Mund dastehen. So wechseln wir zum Schluß nochmals die Seite und hören sie wieder mit den Ohren der Jünger. Gott rechnet damit, daß wir zu tun haben. Jesus hat den Jünger das Einsammeln aufgetragen! Wir heute in der Kirche können dies bei der Kollekte ganz bequem tun.
Wie in der Physik gilt auch hier der Satz »actio = reactio«! Wer bei Christus diese Geborgenheit gefunden und den Hunger gestillt bekommen hat, kann er bei sich bleiben und sein Brot für sich allein kauen?

Amen


[1] Joh 6,1-13 Danach ging Jesus ans andere Ufer des Sees von Tiberias in Galiläa. Viel Volk aber folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Das Passa war nahe, das Fest der Juden. Als nun Jesus seine Augen aufhebt und sieht, daß so viel Volk zu ihm kommt, sagt er zu Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese zu essen haben? Dies sagte er aber, um ihn zu prüfen; er selbst wußte ja, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denar reicht nicht aus für sie, wenn jeder auch nur ein wenig bekommen soll. Einer von seinen Jüngern, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagt zu ihm: Ein Kind ist hier, das fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat, aber was ist das für so viele? Jesus sprach: Laßt die Menschen sich setzen! An dem Ort war viel Gras. Da setzten sich die Männer, etwa fünftausend an der Zahl. Jesus nahm nun die Brote, sprach das Dankgebet und teilte davon allen, die dasaßen, aus, so viel sie wollten, ebenso von den Fischen. Als sie aber satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren geht. Sie sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten übrig blieben, nachdem sie gegessen hatten.

[2] Joh 16,33 In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden

[3] Martin Luther, Evangelienauslegung, 4, Ausgabe Göttingen 1971, S. 231

[4] Johannes 8,12

[5] Matthäus 5,14

 

 

 

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