Predigt zum Eidg. Dank-, Buß- und Bettag
18. Sept. 2011
Kirche Meilen ZH - Pfr. Mathias Rissi
Er erzählte aber das folgende Gleichnis: Es hatte einer in seinem Weinberg einen Feigenbaum stehen. Und er kam und suchte Frucht an ihm und fand keine. Da sagte er zu dem Weinbauern: Seit drei Jahren komme ich nun und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. Hau ihn um! Wozu soll er auch noch den Boden aussaugen? Der aber antwortet ihm: Herr, laß ihn noch dieses Jahr, bis ich rings um ihn umgegraben und Mist ausgelegt habe. Vielleicht bringt er in Zukunft doch Frucht; wenn aber nicht, dann laß ihn umhauen. Lukas 13,6-9
Liebe Gemeinde
Mit einer ganz guten Nachricht kann ich heute beginnen: Wir dürfen uns als Feigenbaum Gottes verstehen. Dabei denke ich an den Feigenbaum, den wir draußen vor der Kirche beim Abschied von Stückelbergers gepflanzt haben. Heute steht der kleine Baum prächtig da und trägt schöne Früchte, die bald reif sein werden.
Mit
dem Feigenbaum im Gleichnis steht es allerdings anders. Er bringt schon das
dritte Jahr keine Früchte. Schon im Alten Testament haben die Propheten das
Gottesvolk gern mit dem Feigenbaum verglichen. Am heutigen Dank-, Buß- und
Bettag dürften und sollten sicher auch wir uns so ansprechen lassen. Immerhin
sind wir die Nation, deren Verfassung beginnt: Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Mit diesen Worten haben schon unsere Vorfahren sich als Volk in die Obhut Gottes
begeben. So fragen wir heute: Der Feigenbaum Schweiz – wie ist er gediehen seit
dem letzten Jahr? Zugegeben, es war ein verrücktes Jahr. Die Dauerthemen sind
aktuell geblieben. Die Schere zwischen arm und superreich hat sich weiter
geöffnet. Die Liegenschaftspreise in unserer Gemeinde verhindern eine weiterhin
gut durchmischte Bevölkerung. Der Mittelstand steht unter Druck. Der Staat spart
auf Kosten der Schwachen. Die Solidarität ist einer Entsolidarisierung gewichen.
Dazu kam im März die Katastrophe von Fukushima, aber auch die hoffnungsvolle
Idee, der Atomausstieg sei möglich.
Und dann die Frankenstärke. Wir könnten ja stolz darauf sein, daß unser Land wie
ein Fels in der Brandung steht. Andere träumen von der Schuldenbremse, die wir
schon längst eingeführt haben (und die neben positiven Folgen auch zum Sparen an
fragwürdigen Orten geführt hat). Aber als wir meinten, die Bankenkrise
glimpflich überwunden zu haben, da schwappte die Euro-Krise zu uns über und
trieb den Franken in mörderische Höhe. Und vergangene Woche: während in Bern die
Parlamentarier dem Regelwerk für die Banken die Zähne ziehen, verspielt ein
Banker über zwei Milliarden Franken.
Wer das alles berücksichtigt, kommt gewiß ins Staunen, daß wir da bisher
davongekommen sind.
Nun – es ist einfach und billig, auf die Zocker zu zeigen. Bei uns im Kleinen wäre ja genau gleich zu fragen: Wie sieht es mit dem Feigenbaum des eigenen Lebens aus? Trägt er Früchte? Oder sind bei uns vielleicht nur die Verluste weniger groß, weil wir nicht im großen Casino der Financiers mitspielen und bei uns alles einige Nummern kleiner ist. Jeremias Gotthelf sagte in seinem bekannten Wort an den Schweizer Schützenverein: »Im Hause muß beginnen, was leuchten soll im Vaterland.« Ist die Gier nicht auch in unserem Leben manchmal das Leitmotiv? Und wir lassen unsere Ideale links liegen. Und der Feigenbaum trägt nicht Frucht.
Als erstes ist da der Besitzer. Er schaut den Baum an. Da sind keine Früchte – so beschließt er: Hau ihn um! Der wird nie besser!
Aber
da ist ein Zweiter, der Weinbauer, der bittet: Laß ihn noch dieses Jahr! Bis
ich rings um ihn umgegraben und Mist ausgelegt habe.
Ja, lohnt sich das denn? Wozu soviel Mühe? Der Weingärtner ist eben der
Überzeugung, der Feigenbaum brauche nicht die Radikalkur sondern besondere
Aufmerksamkeit. Liebe und Sorge könnten ihm aufhelfen. Er sieht das eben anders,
als die heutige Geschäftswelt: Da wird gefällt, wer nichts taugt und nur zur
Last fällt. Da wird entlassen, wenn die Zahlen kurzfristig nicht stimmen. Aber
mittel- und langfristig kann so nichts gesund wachsen. So gesehen hat der
Weinbauer schon recht: Der Feigenbaum braucht nicht Härte sondern Zuwendung. Er
braucht einen Einsatz, der über das Normalmaß hinausgeht.
Wir fragen: Wer ist dieser Gärtner? Sind das wir? Ja, gewiß auch. Wir sollen uns
wie der Gärtner um den Baum kümmern: um den Feigenbaum unseres Lebens, unseres
Volkes, um den Feigenbaum Menschheit und Solidarität. Wenn es aber schon im
Kleinen hapert, dann überfordert uns die Aufgabe.
Darum
– dieser Weinbauer, wie kein zweiter, ist Christus. Jesus Christus bemüht sich
um den fruchtlosen Feigenbaum.
Er tritt für ihn ein, ganz persönlich: Laß ihn noch dieses Jahr!
Er will umgraben mit seinem Wort der Verheißung.
Er will düngen – heute im Abendmahl mit Brot und Wein.
Welche wunderbare Nachricht ist das, daß Christus uns nicht aufgegeben hat, sondern zu uns steht, auch wenn unsere Bilanz mager ist. Dankbar merken wir, daß jeder Tag eine Chance ist, und auch dieses Jahr eine Chance dafür ist, daß wir uns am Maßstab Gottes orientieren! Daß wir menschlich und solidarisch leben. Daß wir als von Christus gehegte und gepflegte und geliebte Menschen endlich unsere Angst und Gier in die Schranken weisen.
Und noch ein Drittes: Der Gärtner im Gleichnis tut nichts anderes, als Fürbitte zu leisten. Wir erwähnten, daß die Bundesverfassung mit frommen Worten beginnt. Aber der Staat kann selber nicht beten. Das sollen dafür wir tun, stellvertretend für den Staat und stellvertretend für alle, die den guten Weinbauern nicht kennen. Ich bin der tiefen Überzeugung: Der Staat braucht Christen, Frauen, Männer, Jugendliche, die hartnäckig wie der Weinbauer im Gleichnis Gott an den Christus erinnern. Menschen, die Gottes Erbarmen erbitten und an seine Geduld appellieren.
Gewiß braucht der Staat aber auch solidarische, kritische Bürger. Wenn viele den Eindruck haben, in Bern regiere wie überall auf der Welt das Geld. Wer hat denn das Parlament gewählt? Wer in Bern regiert – das verantworten wir! Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit sorgfältig zu prüfen, ob die Männer und Frauen, die sich fürs Parlament aufstellen lassen, Entscheidungen treffen, die zukunftsfähig sind. Ob der Feigenbaum Schweiz Früchte trägt, hängt davon ab, ob sie Entscheidungen treffen, die nicht alle Lasten unseren Nachkommen, der Jugend von heute, aufbürden. Das erhöht vielleicht die Chancen der Wiederwahl und garantiert Nebeneinkünfte. Aber der Besitzer könnte schließlich finden: Hau den Baum um. Da ist zuviel Egoismus, Angst und Gier.
Die ist uns seit frühester Zeit eingepflanzt. Damals, als die Menschen es schwer hatten zu überleben, mußten sie alles, was sie kriegen konnten, «zäme ramisiere». Heute ist es anders. Wir wissen, daß alles endlich ist. Dabei müssen wir nicht auf ein fernes, kosmisches Weltende warten, die aktuellen Gefahren und der Raubbau bedrohen uns ganz akut. Wir wissen, daß quantitatives Wachstum tödlich ist und daß wir umschwenken müssen. Heute ist diese Gier erkannt als die größte Gefahr.
Wenigstens als Kirche möchten wir da mit unserem Gottvertrauen ein Modell von Verantwortung und Solidarität leben. Aber auch uns gelingt das oft mehr schlecht als recht. Nur – haben wir eine Alternative, etwas Besseres? So wollen wir uns auf den verlassen, der verläßlich ist. Er gräbt auch für seine Kirche mit dem Wort der Verheißung um und düngt seine Gemeinde heute mit seinen Gaben Brot und Wein: Gott selber, der Weinbauer Christus, traut uns viel zu und läßt uns nicht im Stich.
Amen
Pfr. Mathias Rissi
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