10. Mai 2014 Der Neue Abendgottesdienst Pfr. Mathias Rissi
Jesus und die Frau mit dem verkrümmten Rücken – Lukas 13,10-17
Liebe Gemeinde
Die Menschen waren zusammengeströmt, um Jesus zu sehen. Sie wollten ihn hören. Er legte die alten Schriften aus, aber wenn er redete erschienen sie in einem neuen Licht. Die Leute scharten sich um ihn und lauschten andächtig auf die Auslegung der alten Schriften. Ab und zu nickte wohl der eine oder andere zustimmend. Niemand beachtete die Frau mit dem krummen Rücken in einer Ecke des Raumes. Warum sollte man auch eine Frau beachten und krank war sie auch noch – der Synagogengottesdienst war ja ausschließlich Sache der Männer. Die Frauen waren nur hinten, meist hinter einer Abschrankung geduldet.
Aber schauen wir die Frau an. Ganz gebückt
und verkrümmt steht sie da. Welche Krankheit sie so niederdrückt, das sagt der
Bibeltext nicht. Ist es eine Verkrümmung der Wirbelsäule oder eine furchtbare
Depression, welche die Frau mit der Zeit niedergedrückt hat? Ich erinnere mich
eindrücklich an einen jungen Mann, der wohl wöchentlich zu meinem Vater ins
Pfarrhaus kam: Ein junger Arzt, der gleich nach dem Staatsexamen von einer
schweren Depression und Schizophrenie befallen worden war, so daß er seinen
Beruf gar nicht ausüben konnte. Wie er mit schleppenden Schritten daher kam,
tief gebeugt eintrat und mit leerem Blick grüßte. So kann auch seelisches Leiden
Menschen verkrümmen.
Zur Zeit Jesu hat man solche Krankheiten Dämonen zugeschrieben. Das war noch
lange Zeit später so. Der Begriff »Hexenschuß« klingt ja nicht gerade aufgeklärt
medizinisch, hat sich aber bis heute gehalten. Gegen eine solche Krankheit ist
offenbar kein Kraut gewachsen.
Was wir aber wissen, ist die Dauer der Krankheit. Achtzehn lange Jahre ist die Frau schon verkrümmt. Achtzehn Jahre konnte sie nicht aufrecht gehen. Das heißt auch, daß ihr schon achtzehn Jahre lang kaum jemand ins Gesicht geschaut hatte. Außer sie versuchte mühsam, das Gesicht dem Menschen, der sie ansprach, zuzuwenden. Aber wer mag schon mit einem Menschen sprechen, dessen Gesicht man nur mit Mühe sehen kann, der gebeugt vor einem steht und immer nur auf die Erde schauen muß und den Himmel, die Vögel, die Natur selten sehen kann?
Aber entgegen all diesen Erfahrungen: Jesus
sieht sie. Er entdeckt sie mitten im Getümmel. Er sieht ausgerechnet diese Frau.
Er bahnt sich einen Weg zu ihr mitten durch die Menschenmenge. Jetzt sehen die
Leute sie auch. Was will er wohl von dieser Frau, der Gekrümmten? Sie, die lange
Jahre unbeachtet war, sie steht plötzlich im Mittelpunkt.
Lukas berichtet: Als Jesus diese sah, rief er sie herbei und sprach zu ihr:
Frau, du bist von deiner Krankheit erlöst! Und er legte ihr die Hände auf.
Die Frau spürt: Für Jesus ist sie nicht abstoßend; er nimmt sie ernst, nachdem
die Menschen sie 18 Jahre lang beiseite geschoben haben. Und sie merkt, daß sie
sich wieder aufrichten kann. Sie sieht wieder die Menschen, ihre Gesichter, den
Himmel. Und sie ist glücklich zum ersten Mal seit 18 Jahren und sie preist Gott
und sie lobt ihn. Lukas berichtet: und sie wurde sofort gerade und pries
Gott.
Diese Geschichte ist erstaunlich: einmal,
weil wir solche Wunder selten erleben. Ja, weil wir sie Jesus kaum mehr
zutrauen. Natürlich war jene Zeit eine besondere Zeit: durch die machtvollen
Zeichen will Gott uns klarmachen, daß mit Jesus eine neue Zeit angebrochen ist:
Wo Jesus hinkommt zeigt sich eine Spur von Segen und Heil.
Zwar gibt es bis zum heutigen Tag Krankheit, Not und Tod. Die Machttaten Jesu
sollen aber Zeichen dafür sein, daß Not und Tod nicht mehr das letzte Wort haben
werden. Durch seinen Tod und seine Auferstehung ist ihre Herrschaft ein
Auslaufmodell geworden. Gewiß, manchmal sähen wir doch gerne heute schon etwas
mehr von der Macht Jesu und wir leiden darunter, daß wir trotz allem
Gottvertrauen Schweres tragen müssen. Vielleicht dürften wir ihm auch heute mehr
zutrauen. Aber Jesus hat uns ja gemahnt, daß wir unsern Glauben nicht auf
Wundern aufbauen sollten. Wenn er sagte: Selig sind die nicht sehen und doch
glauben.[1]
Das ist die Spannung, in der wir im Glauben leben und die wir aushalten müssen.
Erstaunlich ist weiter, daß die Frau gar nichts beigetragen hat: Kein Rufen, keine Bitte, kein Sündenbekenntnis, sie geht nicht einmal auf Jesus zu – wir hätten doch wenigstens ein nettes Glaubensbekenntnis erwartet, aber er kommt auf sie zu. Diese kleine Geschichte macht, wie kaum eine andere, Mut auf Jesus zu schauen. Wir haben ihm ja genau so nichts anzubieten, außer, daß wir ihn nötig haben, um im Leben und einmal im Tod ans Ziel zu gelangen.
Vielleicht will Lukas einen Tip für den
Alltag geben: Die kranke Frau schaute immer nur auf den Boden. Sie konnte ja gar
nicht anders. Aber wir könnten es. In jedem Leben gibt es Zeiten, in denen uns
Sorgen niederdrücken und wir vergessen aufzublicken zu Christus.
Die Naturwissenschaftler sagen bekanntlich, der aufrechte Gang sei ein
entscheidender Schritt in der Entwicklung der Menschheit gewesen. Das gilt aber
noch in einem viel tieferen Sinn: Gott will unseren aufrechten Gang! Daß wir
trotz aller Sorgen getrost in die Zukunft blicken – nicht als naive Optimisten,
sondern weil wir wissen, daß er, der dieser Frau den aufrechten Gang geschenkt
hat, auch zu uns spricht: Du bist erlöst! Oder wie er den Synagogenleuten
schließlich erklärt: mußte sie nicht von dieser Fessel befreit werden?
Er kann es auch uns sagen, weil er für alles, was uns von Gott trennt, am Kreuz
gestorben und auferweckt worden ist.
Also aufblicken zu ihm sollen wir und den aufrechten Gang bekommen. Sie kennen
vielleicht den Spruch jenes Patienten der sagte: Die waagrechte Lage im
Krankenbett hat wenigstens einen Vorteil, man kann so besser zum Himmel
aufschauen. Was hat unsere Welt heute nötiger, als Aufschauen, als Zuversicht.
Ein feines Beispiel für einen Menschen, der im Glauben an Jesus mit aufrechtem Gang nach vorne schaute, sehe ich im jüngeren Blumhardt. Er war im Pfarrhaus in Möttlingen aufgewachsen. Er hatte erlebt, wie die Menschen zu seinem Vater kamen, wie durch Gebet und Seelsorge Heilungen geschahen. Das war soweit gegangen, daß die Ärztekammer von Württemberg den Vater Pfr. Johann Christoph Blumhardt[2], den Älteren, der Kurpfuscherei verdächtigte. Blumhardt hat sich dann verpflichtet, in Zukunft mit keinem Kranken um Gesundheit zu beten, wenn er nicht ein ärztliches Zeugnis vorweisen konnte. Mit anders Ratsuchenden bete er nur noch um Vergebung und ein neues Leben. Er sagte dann, wenn dann trotzdem ein Kranker gesund werde, müßten sie halt beim lieben Gott reklamieren.
Christoph Friedrich Blumhardt[3], der Jüngere, wurde auch Pfarrer. Er erlebte Gottes Vollmacht und Liebe auf ganz andere Weise. Es war die Zeit, als die süddeutsche Sozialdemokratie bewußt kirchenfeindlich und gottlos war. Eines Tages trat er, zum Ärger vieler Kirchenleute in die Partei ein. Auf ihre Vorwürfe antwortete er, natürlich sei er betrübt über die Einstellung seiner neuen Parteifreunde. Aber er glaube, daß überall da, wo für die Armen und Bedrückten gekämpft werde, daß da unser Herr Jesus Christus am Werk sei, auch wenn die Leute es vielleicht gar nicht wüßten. Christus ist ja nicht nur in frommen Zirkeln da. Er ist der Herr der Welt. Das Zeugnis dieses Pfarrers vor 100 Jahren ist für uns eine Einladung, offener zu sein für Gottes Wirken auch in unserer, ja wirklich oft recht gottlosen Welt.
So denke ich, daß unser Bericht von der
Heilung der verkrümmten Frau für uns eine Einladung sein will und darf, auch
heute, uns aufzurichten und wieder neu zu vertrauen, daß unser Gott am Werk ist,
in der Welt, und in unserm Leben.
Daß wir es im Glauben hören, daß Gott
auch uns durch Jesus Christus sagt: Richte dich auf, du bist erlöst!
Amen
[1] Johannes 20,29
[2] z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Christoph_Blumhardt
[3] z.B.: http://www.heiligenlexikon.de/BiographienC/Christoph_Blumhardt_der_Juengere.html
Pfr. Mathias Rissi
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