Ufwind am 6. März 2004

Lukas 4,1-13   -  Pfr. Sabine Stückelberger

Und als Herodes Jesus sah, freute er sich sehr. Er wollte ihn nämlich schon seit geraumer Zeit sehen, weil er von ihm gehört hatte, und er hoffte ein Zeichen zu sehen, das von ihm vollbracht würde. So stellte er ihm mancherlei Fragen, er aber gab ihm keine Antwort. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten aber standen dabei und brachten schwere Anschuldigungen gegen ihn vor. Herodes aber und seine Soldaten verhöhnten und verlachten ihn, legten ihm ein Prunkgewand um und schickten ihn wieder zu Pilatus zurück.
Lukas 23, 8-11
 


Liebe Gemeinde

Das närrische Treiben der Fasnacht liegt eben erst hinter uns. Unzählige Kinder und Erwachsene genossen wieder für kurze Zeit die Möglichkeit, sich zu verkleiden und jemand ganz anderes zu sein. Einmal so richtig auffallen dürfen und die eigene Welt auf den Kopf stellen. Der Ernsthaftigkeit des Lebens fröhlich-lärmende Ausgelassenheit entgegensetzen, dem grauen Alltag mit knalligen Farben und Kostümen eins auswischen.
In dieser Narrenfreiheit liegt die Chance, für einmal eine andere Lebensrolle auszuprobieren – völlig legitim, ohne dass man sich deswegen schämen oder den Spott der anderen fürchten müsste.
Und die Narrenfreiheit gibt den nötigen Schutz, in der Öffentlichkeit Dinge zu tun oder zu sagen, die man sich sonst kaum getrauen oder sich verbieten würde. Neben allerlei Schabernack wird der Welt, in der man täglich lebt auch ein Spiegel vorgehalten. Da kommt einiges aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben kritisch und provokativ zur Sprache oder wird aufs Tapet einer Schnitzelbank oder Fasnachtszeitung gebracht.
Ja, das närrische Treiben der Fasnacht ist eine ver-rückte Welt, weil die sonst gängigen Massstäbe und Normen ver-rückt, verschoben und auch in Frage gestellt werden.
Um so irritierender ist es, wenn sich jemand ausserhalb dieser närrischen Zeit zum Narren macht. Der muss mit Spott rechnen und seine Narrenfreiheit erregt Ärger oder Anstoss.

Es mag Sie vielleicht erstaunen, dass auch Jesus schon öfters als Narr oder Clown dargestellt wurde, gewissermassen im Fasnachtsgewand. Jesus, als Narr: da ist ihm zum Beispiel eine gelbe Papierkrone schief auf den Kopf gedrückt, mit traurigen Augen und verschmierter Schminke, ein ohnmächtiger und einsamer Clown mit rotem Mund und Nase, einer, der nicht ernst genommen wird.
Der Vergleich ist auf den ersten Blick provokativ. Doch auf den zweiten Blick denke ich tatsächlich, dass sich Jesus in einem ganz ähnlichen Sinn zum Narren vor aller Welt gemacht hat.
Nur geschah das ja gerade nicht in der klar begrenzten Auszeit eines öffentlichen Karnevals, in der die Narrenfreiheit allseits toleriert und erwartet wird. Im Gegenteil - er hat sich vielmehr so vor aller Welt zum Narren gemacht hat, als trüge er sein Leben lang eine unsichtbare Narrenkappe oder Papierkrone.
Und das hat ihm so viel Unverständnis, Spott und Feindschaft eingebracht, bis er schliesslich gewaltsam zum Schweigen gebracht wurde, verraten, verhöhnt und gefoltert bis zum Tod am Kreuz.
Schon der greise Simeon weissagte Maria, dass der neugeborene Jesus zu einem lebendigen Zeichen bestimmt sei, dem widersprochen wird (Lk 2,34). Tatsächlich wurde er selbst in den Augen seiner engsten Verwandten zum närrischen Störenfried. Sie versuchten ihn einmal mit Gewalt heimzuholen, völlig überzeugt davon, dass Jesus den Verstand verloren habe (Mk 3,21).

Was macht ihn denn eigentlich zum verrückten Aussenseiter? In seiner Narrenfreiheit hält auch er aller Welt einen Spiegel vor und konfrontiert sie damit, wie zwiespältig und fragwürdig sie ist. Mit Wort und Tat stellt er immer wieder neu die religiöse Ordnung und das moralische Empfinden in Frage.

Deshalb gerät Jesus ganz besonders in Konflikt mit den Pharisäern und Schriftgelehrten. Rechtschaffen und fromm leben sie eifrig für die Sache Gottes, und befolgen peinlich genau die Heilige Schrift mit ihren Geboten. Sie tun dies aber, in dem sie sich klar von all jenen distanzieren, die nicht genau so leben wie sie.
Ihre eigene Welt ist in Ordnung und sauber, solange sie sich von der sündigen, unreinen Aussenwelt abgrenzen können.
O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner, so etwa kann ein Pharisäer beten (Lk 18,11).

Darum sind sie so empört und ausser sich über diesen närrischen Jesus, weil er allen Menschen zugewandt ist, besonders denen, die nach ihren Massstäben nichts gelten und auf jeden Fall zu meiden sind. In ihren Augen macht Jesus Gott und sein Gebot lächerlich und zieht ihn in den Schmutz der sündigen Welt.
In der Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten kehrt Jesus aber den Spiess um: er entlarvt gerade ihre Absonderung von den so genannt sündigen Menschen als Sünde, mit der sie sich zugleich von Gott distanzieren.
Jesus lebt und verkündet eine ganz und gar andere Botschaft. Er vertritt einen Gott, der die Nähe der Menschen sucht, die Distanz gerade überwindet und sich mit ihnen solidarisiert. Er steht ein für einen Glauben, der nicht auf Kosten der Menschlichkeit geht. Sein Gottvertrauen kennt eine andere Prioritätenliste: dass nämlich die Liebe, Barmherzigkeit und Gemeinschaft höher stehen als Reinheit, Moral und Gesetzestreue. So missachtet Jesus in seiner Narrenfreiheit der Liebe getrost das Sabbatgebot, wenn es um die Heilung und Befreiung eines leidenden Menschen geht.

In der Begegnung mit Herodes macht sich Jesus allerdings noch in einem anderen Sinn zum Narren. Herodes sieht in Jesus einen Superstar, einen Wundertäter, von dem er Sensationelles zu sehen erhofft. Aus purer Neugier freut er sich, Jesus endlich kennen zu lernen, der ihm als Gefangener vorgeführt wird.
„Zeig uns deine Macht, beweise, dass du Gottes Sohn bist, verwandle für uns Wasser in Wein, befreie dich selbst aus deiner elenden Lage!“, so etwa mag er Jesus bedrängt und versucht haben. Aber die wortreichen Versuche des Herodes beantwortet Jesus mit Schweigen. Er setzt seine Vollmacht nicht dazu ein, die Neugier des Herodes zu befriedigen oder sich selbst zu retten. Seine Worte, Taten und Wunder stehen nie im Dienst einer Selbstdarstellung als göttlicher Superman; sie sind weder Show noch Event für Sensationshungrige, sondern immer Zuwendung und Solidarität mit seinen Mitmenschen.
Jesu Schweigen ruft schliesslich bei Herodes enttäuschte Verachtung hervor. Jesus setzt den Allmachtsphantasien des Herodes seine Verwundbarkeit entgegen. Und das macht ihn in den Augen des Königs zu einem jämmerlichen, ohnmächtigen Narren, den man einfach nicht ernst nehmen kann.

In all diesem Nachdenken über Jesus bewegt und berührt mich das Geheimnis stets von neuem, dass ja in Jesus Gott selbst in die Welt kommt. Ja, dass sich in Jesus Gott selbst zum Narren vor aller Welt gemacht hat.
Und ich staune darüber, dass sich unser Gott eben nicht wie die Pharisäer und andere Fundamentalisten von unserer zwiespältigen Welt distanziert und in den himmlischen Höhen bleibt, unberührt vom Schmutz und Unrat menschlichen Lebens.
Denn Gott hat an uns den Narren gefressen und sich darum in die grösste Niedrigkeit begeben. Er hat sich für uns in den Schmutz des Lebens gestürzt, um uns in seine Nähe zurückzuholen. Diese Annäherungsversuche Gottes mögen nach den vernünftigen und emanzipierten Massstäben der Welt töricht erscheinen. Wir aber dürfen darüber närrisch froh sein, dass Christus, der Narrenkönig uns in seine Nachfolge ruft. Amen.
 

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