Predigt am Sonntag vor der Passionszeit

Meilen, Sonntag Sexagesima, 19. Februar 2012

Lukas 4,1-13   -  Pfr. Mathias Rissi

 

 

Die Versuchungsgeschichte  Lukasevangelium 4,1-13

1 Jesus aber, erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte vom Jordan zurück und wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt, 2 wo er während vierzig Tagen vom Teufel versucht wurde. Und an diesen Tagen aß er nichts, und als sie vollendet waren, hungerte ihn. 3 Der Teufel aber sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sage diesem Stein, er solle zu Brot werden. 4 Und Jesus entgegnete ihm: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch.

5 Und er führte ihn hinauf und zeigte ihm alle Königreiche der Welt in einem Augenblick. 6 Und der Teufel sprach zu ihm: Dir werde ich ihre Pracht und all diese Macht geben, denn mir ist sie übergeben, und ich gebe sie, wem ich will. 7 Wenn du nun niederkniest vor mir, dann wird sie ganz dein sein. 8 Und Jesus entgegnete ihm: Es steht geschrieben: Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.

9 Und er führte ihn nach Jerusalem und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich von hierhinab. 10 Denn es steht geschrieben: Seine Engel ruft er für dich herbei, dich zu behüten, 11 und: Auf Händen werden sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt. 12 Und Jesus entgegnete ihm: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. 13 Und als der Teufel jegliche Versuchung vollendet hatte, ließ er von ihm ab bis zu gelegener Zeit.  

 

 

Liebe Gemeinde

«Es gibt viel zu tun – packen wir es an!» So hieß vor einigen Jahren der Slogan eines Mineralölkonzerns. Und der stimmt gewiß auch heute noch. Es gibt viel zu tun, also legen wir los. Das würden wir jetzt von Jesus erwarten nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer. Aufbruch ist angesagt – und Jesus geht in die Wüste?
Nicht wahr, das ist eine spezielle Geschichte mit dem Fasten und der Begegnung mit dem Teufel. Hat Jesus später davon berichtet? Ich kann es mir nicht so gut vorstellen. Jesus hat sonst nie großes Aufheben um seine Person gemacht. Und Wanzen, die ihn hätten belauschen können, gab’s damals noch nicht. Viel Zeichenhaftes und Beispielhaftes steht in dieser Geschichte und es wird gut sein, fein darauf zu achten und sich nicht an dem Seltsamen zu stoßen.

Es fällt auf: Jesus wird nach der Taufe vom Geist in die Wüste geführt und fastet dort eine Zeit lang. Die 40 Tage geben einen Hinweis: Diese Zahl erscheint auffällig in einem bestimmten Zusammenhang. Sie bezeichnet in der Regel eine Frist, genauer eine Vorbereitungszeit.[1] Jesus befindet sich mit der Taufe auf der Schwelle zwischen dem unscheinbaren Leben als Zimmermann und seinem öffentlichen Wirken in den drei letzten Lebensjahren. 40 Tage dazwischen sollen ihn vorbereiten. Ohne das wäre er umgeben von einem Zuviel an Lärm, Eindrücken, Fragen – Wie, schon damals? Ohne Fernseher, Reklametafeln, Straßen-, Bahn- und Fluglärm, ohne Musikberieselung beim Einkaufen? Wenn er das brauchte, wieviel mehr werden wir Stille nötig haben.
Es gilt, sich auf das, was not tut, zu beschränken. Nehmen wir nur einmal die Kirche. In den Medien sind die schlecht besuchten Kirchen leider ein Dauerthema. Dabei sind wir so aktiv und vielseitig. Die Versuchungsgeschichte jedenfalls rät uns dazu, ganz persönlich, aber auch als Gemeinde darauf zu achten, daß wir uns nicht verzetteln und erkennen, was not tut!

Drei Versuchungen treten an Jesus heran, drei Ermahnungen lesen wir daraus ab und drei Ermutigungen wollen sie sein.

Die erste: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sage diesem Stein, er solle zu Brot werden.  Worauf Jesus entgegnet: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch.
Aus Steinen Brot! Den Hunger der Armen stillen! Das wäre es doch gewesen. Achtet Jesus die soziale Frage gering? Das wäre fatal. Zu oft wurden doch in der Weltgeschichte die Armen auf ein besseres Jenseits vertröstet. Vergessen wir nicht: Laut Information des SECO, des Staatssekretariats für Wirtschaft, sind 10% der Bevölkerung arm. Vielleicht sind sie «Working poor». Sie haben zwar eine Arbeit, kommen aber trotz aller Anstrengungen auf keinen grünen Zweig. Sie leben mit weniger als dem Existenzminimum! Sie kennen Hunger und Verzicht! Umgekehrt haben nur 10% der Bevölkerung in den vergangenen Jahren an Kaufkraft zulegen können – wir andern krebsen alle zurück. Für den sozialen Frieden ist es von zentraler Bedeutung, den Hunger der Menschen zu stillen und für gesicherte Verhältnisse zu sorgen. Die römischen Kaiser wußten das. Sie gaben dem Volk panem et circenses! Brot und Gladiatorenkämpfe! – und das Volk war zufrieden und hat seine Kaiser gefeiert. – Warum tut Jesus das nicht auch? Das ist doch etwas vom Gemeinsten, wenn man Hungernde retten könnte, aber man tut es nicht. Und Jesus tut es nicht.
Nun, uns fehlt es nicht an Lebensmitteln. Bei uns zeigt sich der Hunger noch ganz anders: Aus Spekulation, Finanzkonstrukten und Schuldenwirtschaft sollen Milliarden gewonnen werden: Der Materialismus und die Gier bezeichnen unseren Hunger. Das «täglich Brot», um das wir bitten, ist uns Menschen offenbar nie genug.
Wenn es aber mit dem Brot, der materiellen Seite des Lebens, zum Stimmen kommen sollte, müssen die Orientierung und der Maßstab stimmen! Bei Matthäus: Das geschieht durch Gottes Wort!
Heutzutage fällt es auf, wenn Prominente sich zum christlichen Glauben bekennen. So hat das der «Wetten daß»-Moderator Thomas Gottschalk getan. So etwas ist doch Privatsache. Promis und Sportler für Jesus, das fällt auf. Neustes Beispiel: der Schauspieler Denzel Washington, der vor zwei Wochen in Berlin den Preis «Die goldene Kamera» erhielt, bekennt: «Ich habe die Bibel immer dabei.» Er lese jetzt bereits zum dritten Mal das Neue Testament und verstehe es von Mal zu Mal besser. Oder der Rapper Bligg, der in unserer Gemeinde wohnt. In seinem Titel «Zeig mir dä Wäg» ringt er um das Vertrauen zu Gott. In einem Interview wurde er gefragt: «Was würdest du lesen, wenn du mehr Zeit hättest?» Seine Antwort: «Die Bibel.» Ich wünsche ihm, daß er sich diese Zeit nehmen kann. All die Prominenten, die sich Christus anvertrauen – ich weiß, ihr Glaube ist nicht besser als der unsrige – aber dieses Bekennen beeindruckt viele zu Recht: Da sind lebensfrohe, erfolgreich Menschen, welche es geschafft haben, weit herum bekannt und anerkannt zu werden. Sie sagen jedoch, nicht der Erfolg habe ihre Sehnsucht nach Anerkennung, Geborgenheit und Liebe gestillt, sondern erst Jesus Christus.
Liebe Brüder und Schwestern – wir glauben auch und wir tun das vielleicht schon seit Jahrzehnten. Es könnte sein, daß es heute aber not tut, nicht nur zu glauben, sondern zu bekennen in einer Welt, die allmählich einsieht, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. – Jesus jedenfalls wählt diesen Weg und geht uns voran. Das macht Mut, es ihm gleich zu tun.

Die zweite Versuchung liebäugelt mit der Macht, dem Herrschen. «Wenn ich die Macht habe, dann mache ich es besser!» Wieviele Herrschaftskandidaten haben das nicht schon versprochen. Menschen erliegen der Versuchung – nicht nur dieser Tage in Deutschland. Aber Jesus erliegt der Versuchung der Macht nicht. Er ist nicht der Teufelskerl, der alle Register zieht und bei dem sich bald alle Teufelskreise immer schneller drehen. Er wählt den andern Weg. Im Kopf wüßten wir es, warum. Darum, Jesus, mach uns Mut, dem Dienen mehr zuzutrauen und sag es uns noch mal, dein Wort: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen.
Später, als die Jünger darum stritten, wer der Größte sei, zitiert der Evangelist Jesus mit den Worten: Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Macht über sie haben, lassen sich als Wohltäter feiern. Unter euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch werde wie der Jüngste, und wer herrscht, werde wie einer, der dient.
[2]      Er selber ist diesen Weg gegangen.

Die dritte Versuchung auf der Zinne des Tempels: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich von hier hinab!  Sie ist wohl die perfideste Versuchung, weil sie echtem Gottvertrauen zum Verwechseln ähnlich sieht! Denn: Mit meinem Gott überspringe ich Mauern,[3] so bekennen Menschen der Bibel ihren Glauben. Und haben sie nicht glaubend den Schritt getan: Abraham, Petrus, Maria …? Der Unterschied ist der, daß sie es aus Gehorsam taten und nicht, um Gott herauszufordern.
Man stelle sich Jesu Erfolg vor: Mit dem Sprung wäre er ein Star! Welch ein Glaube! Welch ein Gott! Die echten Gläubigen würden alle ihren Glauben unter Beweis stellen, es Jesus gleich tun und von den Kirchtürmen springen. Man könnte klar zwischen den Angsthasen und den wahrhaft Glaubenden unterscheiden. Stellen Sie sich vor: ich hätte für heute den Stunt in den Medien angekündigt: Pfr. Rissi tritt den Gottesbeweis an und springt um 10 Uhr vom Kirchturm. Die Leute wären gekommen, um mich springen zu sehen – in den Tod! Und wenn ich dann doch weich gelandet wäre, dann hätten sie 1000 Tricks vermutet und Ausreden gesucht, um nicht an den Gott glauben zu müssen, der seine Hand ausstreckt, um uns zu retten. Wir wissen und werden es am Schluß des Gottesdienstes singen: Du kannst nicht tiefer fallen, als nur in Gottes Hand – aber das ist kein Freibrief, Gott herauszufordern.
Mir hat letzthin jemand bekannt: Heute danke ich Gott für die von ihm nicht erhörten Gebete – er weiß es besser. Das Christentum wäre eine Religion der kühnen Kirchturmspringer, der Edlen und der Fanatiker geworden. Aber wir? Wären wir auch dabei?

Nein, Jesus ist den andern Weg gegangen, den Weg in die Passion, ins Leiden und in den Tod am Kreuz: Genau dadurch ist er der Bruder und Hohepriester für dich und für mich! So ist er zum guten Hirten geworden, welcher auch im finstern Tal bei dir ist, so daß du sprechen kannst: …und ob ich schon wandelte im finstern Tal, ich fürchte kein Unglück, denn du bis bei mir! Da, wo jeder andere kneift, da ist er geradlinig und treu geblieben, eben ganz bei uns. Und darum gibt es keine gute Stunde, welche nicht er uns schenkte, und keine schwere, in welcher nicht er bei uns wäre. Es gibt keine Freude, die er nicht kennte, und kein Leid, das er nicht mit uns teilen würde. Diese Ermutigung wächst aus der dritten Versuchung Jesu.

Mit diesen drei Ermutigungen gehen wir in diesen Tag hinein und in die Passionszeit, die am kommenden Sonntag beginnt, als eine Zeit, die uns lehrt, von ihm zu leben. Es gibt viel zu tun! Packen wir es an und stellen das zweitrangige dorthin, wo es hingehört. Christus ruft auch uns zu: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
Amen


[1] 40 Tage lange dauerte die Sintflut, 40 Jahre war Israel in der Wüste, bis es ins gelobte Land einziehen durfte. 40 Tage war Mose auf dem Gottesberg, um die Gebote zu empfangen. Der Prophet Jona gab der bösen Stadt Ninive 40 Tage Zeit zur Buße. 40 Fastentage (ohne die Sonntage, die erinnern an Ostern, deshalb gab’s den Sonntagsbraten) lagen früher vor Ostern und 40 Tage nach Ostern ist Himmelfahrt.

[2] Luk 22,25f:

[3] 2. Sam. 22,30 und Psalm 18,30

Pfr. Mathias Rissi

 

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