19. März 2006  Passionsreihe (VII)   Markus 14,66-72  - Predigt Pfr. Mathias Rissi

Liebe Gemeinde

 

In einer ganz kleinen Sache geht es um die Wahrheit. Ach da wird wohl eine Notlüge erlaubt sein. –  Ich erschrecke in Gesprächen mit Jugendlichen, wie sehr sich diese Mentalität ausgebreitet hat.  Daran ist wohl unsere Gesellschaft schuld, also wir alle.

Wenn jemand sich am Telefon verleugnen läßt: «Sag einfach, ich sei nicht da!» - Das wird dann gerne als ein Kavaliersdelikt abgetan.

Es soll auch Leute geben, die beim Ausfüllen der Steuererklärung versucht sind, einen Posten nicht einzutragen. Dafür gibt es alle paar Jahrzehnte eine Amnestie. – Kavaliersdelikte? Eigentlich geht es um mehr, es geht um alles oder nichts!

Gerade im Kontrast zur vorangehenden Bibelstelle, die wir vor zwei Wochen lasen, da fällt auf: Markus hat alles ganz unerbittlich aneinandergereiht: Kommen Sie noch einmal mit mir durch dieses vierzehnte Kapitel: Da ist zuerst das Abendmahl mit der Ankündigung des Verrates, es folgt der Treueschwur des Petrus; dann, wie sie einschlafen, als Jesus im Garten Gethsemane verzweifelt betet; der Judaskuß bei der Verhaftung und, daß alle fliehen.

Dann sehen wir den einsamen Jesus im Prozeß vor dem Hohen Rat. Er ist treu und besteht, wie vor zwei Wochen gesagt: ganz in der Tiefe der Ohnmacht bleibt er dabei, und er bekennt und beansprucht zum einzigen Mal, Gott unter den Menschen zu sein.

 

Und jetzt kommt Petrus dran. Im Hof am Feuer.

Die Frage schleicht sich an ihn heran. Sie ist kaum der Rede wert! Sie ist unverfänglich. Eine Magd stellt sie ihm. Nach dem damaligen Verständnis: «Nur» eine Magd! Was hatte Petrus zu fürchten, als sie sagte: «Auch du warst mit dem Nazarener Jesus.» Aber er stellt sich dumm und er besteht nicht: Der Hahn schreit! Da müßten bei Petrus alle Alarmglocken schellen: Hatte Jesus nicht von einem Hahnenschrei gesprochen[1], wenige Stunden zuvor?

Vielleicht tun sie es. Petrus zieht sich nämlich in eine dunklere Vorhalle zurück.

Aber die Magd läßt nicht locker, sie verfolgt ihn, wie ein Schatten.

Warum nur? Sie ist so geschwätzig. Vielleicht genießt sie es, einmal im Leben wichtig zu sein. Sie ist eine Denunziantin. Sie verrät einen andern, sie liefert ihn aus! Merkt sie es nicht? – Merken wir es, wenn sich jeweils diese Falle vor uns auftut?

Sieht sie die Not nicht? Sieht sie nicht, wie sie beide nur verlieren können.

Nochmals zeigt sie auf ihn. Und wieder versagt Petrus.

 

Die Magd läßt nicht ab. Sie stachelt die Umstehenden auf. Die meinen schließlich, doch, doch, sein Dialekt verrate den Petrus.

Ich sehe Petrus förmlich mit dem Fuß auf den Boden stampfen beim Fluchen und Beschwören: «Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet!» - Und alsbald krähte der Hahn zum zweiten Mal. … und Petrus verhüllte sich und weinte. Vielleicht weinte irgendwann dann auch die Magd.

 

Was nehmen wir von dieser Geschichte mit?
Ach ja, höre ich einige ganz Gewitzte sagen: 'Da haben wir es wieder: Das Christentum will die Menschen ganz kleinmachen, um sie dann gefügig zu haben, daß sie schön brav bei der Kirche Erlösung abholen! Das ist der altbekannte Unterdrückungsmechanismus mit den Schuldgefühlen!'

Genau das Gegenteil ist aber der Fall! Schauen wir es uns an: Markus macht es uns ganz leicht, uns selber zu erkennen. Und darin liegt großes Heil. Es sind die Tränen, die so wichtig sind.

Bei den Tränen von Petrus geht es nicht um ein Niederdrücken, sondern es sind befreiende Tränen.

Was Markus im ganzen Evangelium sagen will, wird hier besonders klar. Jesus ist die Gegenwart Gottes unter den Menschen. In ihm will Gott sich den Menschen öffnen. Aber diese verschließen sich wider ihn. Selbst Petrus! der Jesus am nächsten stehende Jünger, dem es an Einsatzfreude und Todesbereitschaft nicht fehlt, sogar er versagt.

So stehen sich Treue des Menschensohnes und Untreue der Menschen als scharfer Kontrast gegenüber. Daran wird sichtbar, wie schwer es die Menschen Gott machen, sich ihnen zu offenbaren. Eine wirkliche Begegnung mit Gott gibt es nur, wo der Mensch sich in seiner frohgemuten Selbstsicherheit[2] nicht unangefochten wähnt, sondern sich unter das Gericht Gottes gestellt weiß.

 

Gut, daß uns diese Geschichte im Markusevangelium überliefert ist. Keiner von uns ist vor Versagen sicher, und sei er so angesehen wie der Apostel Petrus. Aber - und das macht uns diese Geschichte klar - Versagen ist noch kein Grund zum Verzweifeln. - Dunkelheiten, Ängste, Nacht, sie gehören zu unserem täglichen Leben.

Petrus, so wissen wir, durfte auch neu anfangen. Jesus, der ihm diese Dunkelheiten, diese Nacht vorausgesagt hat, verurteilt ihn nicht. Nach seiner Auferstehung stellt er Petrus dreimal die Frage: «Hast du mich lieb?» [3] und überträgt ihm eine ganz neue Verantwortung.

Du brauchst als Christ nicht den untadeligen Superman oder die Superwoman zu spielen. Du darfst dein Versagen vor Gott ehrlich zugeben, weil du weißt, auch Versager sind Christus nicht zu schlecht, als daß er sie nicht neu in seinen Dienst nähme! Und schenkt ihnen seine Gnade und Hoffung.

 

Die Wetterhähne auf vielen Kirchtürmen haben ihren Ursprung in der Verleugnung des Petrus. Es ist unangenehm, daran erinnert zu werden, aber heilsam! Warum haben wir Meilemer keinen Hahn auf dem Turm?[4] – Ich weiß es nicht. Waren sich unsere Vorfahren zu sicher und hatten gedacht, sie hätten das nicht nötig? Oder wußten sie: Jetzt ist es an uns, mit unserem Denken und unserem ganzen Leben in dieser wachen Nachfolge zu stehen?

 

Gebet:

Herr, du kennst unsere Schwachheit,
bewahre uns vor Selbstüberschätzung
und hilf uns, zu unseren Schwächen zu stehen.

Bewahre uns vor einer ablenkenden Geschwätzigkeit.
 –  Stärke viel mehr unser Vertrauen in deine Vergebung,
und mach uns stark durch deine Treue zu uns.
Trockne unsere Tränen ab
und laß uns in deinen Armen geborgen sein. Amen.

 


[1] Markus 14,30

[2] Markus 14,29

[3] Johannes 21,15-18 Diese dreimalige Frage führt den Petrus auf seine Verleugnung zurück. Und folgerichtig wird auch hier Petri Traurigkeit erwähnt.

[4] Auf der Meilemer Kirchturmspitze finden sich zwei Wetterfahnen. Dazu eine Weitere auf dem Giebel des Chores.

 

Pfr. Mathias Rissi

 

Zum Predigtverzeichnis            Zur Hauptseite

 

Ufwind - Gemeindeaufbau der Evang.-ref. Kirchgemeinde Meilen