17. März 2011 - Passions-Predigtreihe Markus - Kirche Meilen - Predigt Pfr. Mathias Rissi Markus 14,53-65

 

VIII - Vor Pontius Pilatus

Und sogleich in der Frühe faßten die Hohen Priester mit den Ältesten und Schriftgelehrten, der ganze Hohe Rat, Beschluß. Sie fesselten Jesus, brachten ihn weg und lieferten ihn an Pilatus aus. Und Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er aber antwortete ihm: Das sagst du! Und die Hohen Priester brachten viele Anschuldigungen gegen ihn vor. Pilatus jedoch fragte ihn: Antwortest du nichts? Siehst du denn nicht, was sie alles gegen dich vorbringen? Doch Jesus antwortete nichts mehr, und Pilatus wunderte sich sehr. Zum Fest aber pflegte er ihnen einen Gefangenen freizugeben, den sie sich ausbitten durften. Es war nun unter den Gefangenen, die einen Aufstand gemacht und dabei einen Mord begangen hatten, einer mit Namen Barabbas. Und das Volk zog hinauf und begann, um das zu bitten, was er ihnen gewöhnlich gewährte. Pilatus aber fragte sie: Wollt ihr, daß ich euch den König der Juden freigebe? Er hatte nämlich erkannt, daß die Hohen Priester ihn aus Neid ausgeliefert hatten. Die Hohen Priester aber überredeten das Volk, um die Freilassung des Barabbas zu bitten. Da fragte Pilatus sie noch einmal: Was soll ich dann mit dem machen, den ihr den König der Juden nennt? Da schrieen sie wieder und wieder: Kreuzige ihn! Pilatus aber sagt zu ihnen: Was hat er denn Böses getan? Da schrieen sie noch lauter: Kreuzige ihn! Weil aber Pilatus dem Volk Genüge tun wollte, gab er ihnen Barabbas frei. Und Jesus ließ er auspeitschen und lieferte ihn aus zur Kreuzigung.            Markus 15, 1-15

 

Liebe Gemeinde

Welchen wollt ihr: den König der Juden, oder den Mörder Barabbas? ‑ Einen könnt ihr haben, der andere ist verloren! Die Leute sind um ihre Entscheidung gefragt. Eine unbequeme Frage! Eine schlimme Frage! Kaum ist sie ausgesprochen, nähme man sie am liebsten wieder zurück. Sie ist unerbittlich. Natürlich wissen wir alle, daß das Leben solche Entscheidungen von uns verlangt. Leben ist nicht einfach wie Einsteigen in die S-Bahn, los fahren und ankommen. Denn es müssen Weichen gestellt werden. Und manchmal ist das ganz schwierig!

Auch hier müssen die Menschen entscheiden. Welchen wollt ihr? Das ist doch eine seltsame Frage: Kann man da noch wählen? Ist es denn nicht selbstverständlich, daß sie Jesus wählen? Es ist doch sonnenklar, für wen wir uns entscheiden würden. Ich traue es niemandem von Ihnen zu, daß Sie je anders wählen würden und daß Sie an Barabbas Gefallen finden könnten. Denn Barabbas war ein Räuber, um eines Mordes willen angeklagt und zum Tode verurteilt. Jesus oder Barabbas! Welchen wollt ihr?

Und jetzt entscheidet dieses Volk so! Warum nur verwirft das Volk Jesus und wählt Barabbas? ‑ Das ganze Volk ‑ gerade dieses Volk? Daß die Oberen mit ihren Interessen Jesus ablehnen, das war schon lange ausgemacht. Sie wollten seine unbequeme Stimme endgültig zum Schweigen bringen. Aber das Volk? Daß sich die ganze Volksmenge am hellichten Tag vorspannen läßt vor die mörderischen Pläne dieser Clique, nicht wahr, das ist unheimlich! Das ist wie eine Riesenwelle, die hereinbricht, und die zerstörerischen Wassermassen begraben alles unter sich.
Dabei sind doch unter diesem Volk die Väter und Mütter, deren Kinder Jesus gesegnet hat. Da sind die Brüder und Schwestern und Verwandten von jenen ungezählten, die von Jesus soviel Gutes empfangen haben, denen Jesus geholfen hat aus Verzweiflung, Not, aus Krankheit und Ausgestoßensein. Unter diesen Menschen am Karfreitagmorgen sind gewiß viele, die Jesus am Sonntag zuvor mit Jubel, Palmzweigen mit Hosianna‑Rufen empfangen haben. Und jetzt schreien sie: Kreuzige ihn! – Warum nur?

Nun gibt aber die Bibel weitere Auskunft über Barabbas. Wir finden bei Matthäus ein Wort, das uns einen Schritt weiter führen kann im Verständnis dieser seltsamen Tatsache. Barabbas ist nämlich kein gewöhnlicher Mörder, sondern ein besonderer, ein »episämos«, ein berühmter. Barabbas ist in einem Aufruhr, bei dem es Tote gab, gefaßt worden. Barabbas gehört zu jenen Kreisen, die gegen die fremden Eindringlinge, gegen die Römer, eine Verschwörung machten, und mit allen Mitteln die römischen Gewalthaber aus dem Land hinauswerfen wollten. Barabbas ist ein politischer, ein berühmter Mörder. Sein Anschlag ist mißglückt. Solche Mörder werden sonst, wenn ihnen der Anschlag glückt, nicht Mörder genannt – die Bibel nennt ihn trotzdem so – die Völker aber nennen solche Männer Helden, nennen sie Retter des Landes. Man bekränzte sie mit Lorbeer und heute eher mit Orden. Man baut ihnen ein Denkmal. In unserer Schweizergeschichte wird der Tell schließlich auch verehrt. Barabbas ist ein Mann der Selbsthilfe. Er will nicht einfach warten, sondern er verspricht Hilfe von unten herauf und setzt alles daran, diese Hilfe zu schaffen. Barabbas ist ein forscher Mann der Gewalt. Barabbas hat unsere Sympathie, unsere menschlich natürliche Sympathie, er macht nicht viele Worte, er hilft den Unterdrückten. Ihm fliegt unser Herz zu. Er ist Barabbas, das heißt wörtlich: Sohn des Vaters. Stolz blickt der Vater auf ihn. Er ist der Lieblingssohn, ein Idol.

Nun steht neben Barabbas einer, der auch ein Sohn ist, auch Sohn seines Vaters, aber eines ganz anderen Vaters. Auch er ist ein Idol aber nicht ein Idol dieser Welt, sondern des Himmels. Auch er ist gekommen, aber nicht von unten, sondern von oben, von zu oberst herabgestiegen, ganz herab. Soweit herab, daß wir es gar nicht fassen können. – Wir merken hier, wie dem Evangelisten der Atem stockt. Ist Jesus wirklich bereit, so radikal zu Grunde zu gehen? Alle seine Freunde haben sich von ihm abgewendet und ihr Überleben gesucht, selbst die treusten Jünger. Wird er das am Ende auch tun oder wird er durchhalten? – Tatsächlich: Jesus verzichtet völlig auf Selbsthilfe. Er sagt kein Wort der Verteidigung, nichts! Er hätte reden können, sie wären verstummt! Er hätte vom Volk seine Freiheit erbitten können. Jesus Christus ist, was er ist, nicht von Volkes Gnaden, sondern von Gottes Gnaden. Er bettelt seine Freiheit nicht vom Volk und nicht von Pilatus. Er hat seinen Vater gebeten: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst (Markus 14,36). Und nun geht er den Weg, den ihn der Vater führt. Er geht den Weg des Opfers. Den Weg, gegen den sich jede Faser in uns sträubt: den Weg des Gehorsams, den Weg ans Kreuz. ‑ Welchen wollt ihr von diesen zweien? Den von unten oder den von oben? Auflehnung oder Opfer, Selbsthilfe oder Gehorsam, duldendes Kreuz oder brachiale Tüchtigkeit: Welchen wollt ihr: Jesus oder Barabbas?

Liebe Gemeinde, nachdem wir die zwei nebeneinander gesehen haben, merken wir, warum das Volk Jesus verwirft und den Barabbas wählt. Das hat nicht nur jenes Volk getan, das tun sie heute alle, die einen mehr, die andern weniger. Es ist nicht nur eine Entscheidung zwischen zwei Persönlichkeiten, sondern zwischen zwei Lebenshaltungen. Unsere Welt segelt heute unter der Flagge des Barabbas. Von klein auf in der Schule lernen wir uns zu behaupten, und zu bestehen. Bei der Arbeit bewährt sich die Barabbas-Haltung. Wo es hart auf hart geht: in der Politik, zuhause, in der Ausbildung ‑ immer und überall gewinnt Barabbas.

Jesus oder Barabbas ‑ eine unheimliche Wahl! Wenn je eine Wahl eine Qual war, dann sicher diese! Könnte man sie nicht bequemer machen. Wir könnten der Wahl aus dem Weg gehen und uns gut schweizerisch  neutral erklären. Neutral sein, das hieße: sowohl als auch, eben beide, Jesus und Barabbas! Es ist immer die Versuchung der Menschen gewesen, beide haben zu wollen. Vielleicht hat man manchmal den Kompromiß so schließen wollen, daß Jesus für den inneren Bereich, die Frömmigkeit zuständig sei, und der tüchtige Barabbas für das praktische Leben gegen außen. Wir wissen, wie dieser Kompromiß immer wieder Unheil über unsere Welt gebracht hat. Ja es ist vielleicht das harte Glück unserer Zeit, daß wir uns entscheiden müssen. Hart deshalb, weil die Herausforderungen unserer Zeit hart sind, wenn es um die Zukunft der Schöpfung geht. Wir stehen vor Entscheidungen, die unsere Vorfahren nicht einmal ahnten: z.B. welche medizinischen Therapien nicht nur machbar, sondern auch noch sinnvoll sind. Wie wir mit unserer Umwelt umgehen, damit sie auch für unsere Nachkommen noch bewohnbar ist. Wie wir unsere ausufernde Gier zügeln bei den Rohstoffen, beim Energieverbrauch und bei der Ausbeutung von Menschen. – Aber vernehmen wir auch das Herrliche und die Zuversicht und Kraft, die von Jesus ausgeht?

Jesus oder Barabbas ‑ das ist ein gewichtige Entscheidung. Darf man die von Menschen verlangen? Ist sie nicht zu radikal und schwer? Steht der Mensch nicht schrecklich verloren und allein in dieser Entscheidung? Nun, liebe Gemeinde, ist es aber Jesus Christus, für den wir uns entscheiden dürfen. An jenem Karfreitagmorgen hat er einmal sein Schweigen vor Pilatus gebrochen, als Pilatus fragte: Bist du der König? – Das sagst du! Er ist König, König auch über Pilatus, König auch über Barabbas. Und dieser König hat uns gesucht, ehe wir ihn suchten. Hat sich für uns entschieden, ehe wir uns entscheiden konnten.
Und er steht heute nicht mehr gebunden vor Pilatus. Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters (so in Römer 8,5 u.v.a.m.). Er zieht uns auch hinein in sein Reich. Nicht so, daß wir Gehorsam schwören müßten, sondern so, daß wir mit betenden Händen vor ihn treten können, weil es auf ihn letztlich ankommt. Welchen wollt ihr? ‑ Nein umgekehrt: Einer von beiden will euch. Für uns steht er vor Pilatus, geht er ans Kreuz, ist er auferstanden von den Toten. Ist unsere Wahl da noch eine Frage?
Amen

Pfr. Mathias Rissi

 

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