Der Neue Abendgottesdienst, Niederweningen
16. September 2017

Predigt Pfr. Mathias Rissi

 

Fake News oder Good News? die Heilung des Gelähmten

Markus 2,1-12 

 

Liebe Gemeinde

 

Good news oder fake news? – Heute geht es einmal nicht um den amerikanischen Präsidenten.

Auch in der Bibel steht so einiges, was Zweifel weckt. So heißt es in 5. Mose 14,7 der  Hase sei in Wiederkäuer…  Mehr noch fordern die Heilungsgeschichten im Neuen Testament heraus. Früher waren die Wunder des Glaubens liebstes Kind – heutige Menschen sind da skeptisch. Es verwundert mich nicht, daß viele Christen die Wunder Schweigen übergehen und sich lieber an die Bergpredigt Jesu und seine Forderung „Liebt eure Feinde“ halten. Dabei sind die Heilungsgeschichte Jesu keine beliebige Ausschmückung, sondern als essentieller Teil der Verkündigung des Evangeliums ernstzunehmen.

So lade ich euch ein, heute in die „Höhle des Löwen“ zu kommen. Im Bericht von der Heilung des Gelähmten in Markus 2,1-12 wollen wir beides tun: uns bescheiden und respektvoll dem Gotteswort zuwenden und gleichzeitig in der Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Wunderberichtes weiterkommen.

Es ist Volksauflauf in Kapernaum. Kein Wunder! Alle Welt will ihn hören und sehen. Jesus ist da. Er zieht die Menschen an - warum? Ganz einfach beschreibt Markus: Er verkündigte ihnen das Wort.   Ob wohl unter den vielen Wörtern, welche auch heute im Alltag über die Leute herabprasseln, das entscheidende, das lösende Wort Christ ankommt? – Jedenfalls versprechen sich die Vielen etwas von ihm. Das ist doch gleich geblieben über die Jahrhunderte. Die Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach dem guten Wort. Warum sagt es ihnen niemand, warum sagen sie es nicht auch einer dem andern? Sie kennten es doch!

Das ist ganz zentral nicht nur im heutigen Predigttext:  Gott will zu Wort kommen. Schon zu Beginn der Erzählung bis hin zum Schluß im Lobpreis! Jesus bleibt den Menschen das Wort nicht schuldig. Und wir Christen? Gott wollte und will zu Worte kommen - will Menschen heilen - innen und außen.

 

Da kommen nun die vier Männer kommen mit ihrem gelähmten Freund. - zu spät - alles besetzt, und niemand hat Erbarmen und öffnet eine Gasse. Aber dadurch lassen sie sich nicht entmutigen. Denn sie haben eine überaus große Hoffnung in die Begegnung mit Jesus gesetzt. So decken sie kurzerhand das Flachdach des einstöckigen Hauses ab. Sie schrecken nicht einmal vor einer kleinen Sachbeschädigung zurück. Die leichte Bauweise kam ihnen da sehr entgegen. Ob sich der Hausbesitzer ärgerte, als er sein Haus in ein Cabrio umfunktioniert sah? Er hatte wohl kaum Zeit dazu. Verwundert blicken die Leute hinauf in die klaffende Lücke im Dach, die plötzlich wieder dunkel wird, als ein großer Gegenstand durchs Dach in den Raum abgeseilt wird. Direkt vor Jesus. Oben in der hellen Lücke die vier Gesichter, voller Erwartung. – Nun  liegt er da, direkt vor Jesus. Und Markus schreibt: als Jesus ihren Glauben sah... Kommt es denn auf den Glauben des Kranken nicht an?

Gerade dieser Zug sollte uns aufrütteln. Nehmen wir uns dieses Vertrauen und die Hoffnung der vier Freunde zum Vorbild: Gott weiß, was los ist, wenn wir mit Menschen zu ihm kommen. Also bringen wir Menschen zu ihm!

Oder trauen wir uns doch nicht so ganz? Wenn wir in der Fürbitte Menschen zu Gott bringen, erwarten wir, daß er Situationen und Leben wunderbar verändern kann? Daß sein Segen auf mannigfaltige Weise, durch medizinische und andere Kanäle hilft? Hat dieser Glaube in unseren Kirchen und Spitälern Platz. Er muß es haben! Die Vier ermutigen uns dazu.

 

Alle warten ganz gespannt: Was tut der Meister jetzt? Er sagt einen Satz: Kind, deine Sünden sind dir vergeben!  - Nanu, das hätten wir nicht erwartet. Wir würden erwarten: Ich mach dich jetzt gesund.
Das sehen w
ir heute eben etwas anders als die Leute in der Bibel. Unsereiner denkt schnell einmal: Ist Vergebung der Sünde denn so wichtig? Hauptsache gesund, denken viele!!!
Simon Wiesenthal, der bekannte Nazijäger, hat den Holocaust überlebt. Er war in verschiedenen Konzentrationslagern gewesen und wurde im Mai 1945 von US-Soldaten aus dem KZ Mauthausen befreit.  Er berichtet ein Erlebnis aus der Krankenstation eines KZ's, wo er als Pfleger arbeiten mußte.  Ein jüdischer Mitgefangener erzählte ihm, daß er eben ans Bett eines todkranken jungen SS-Mannes befohlen worden sei. Der habe ihm mit röchelnder Stimme gesagt: «Ich liege hier mit meiner Krankheit, ich muß sterben. Ich habe viele jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet. Ich liege hier mit meiner Schuld. Ich brauche, daß mir einer vergibt. Aber ich weiß nicht, ob noch Juden übriggeblieben sind, die mir verzeihen können.» – «Hast du ihm vergeben», fragt Wiesenthal. «Nein, ich kann ihm ja nur vergeben, was er mir angetan hat, aber nicht für die Getöteten», antwortete der andere.  – Was hätte es da bedeutet, wenn er vergeben hätte?

Nur ein Wort, ein kleines Wort - was hätte es bedeutet, was hätte es bewirkt!

Allmählich dämmert es uns: Sünde ist mehr, als ein paar kleine Lügen oder Fehltritte. Wir erschrecken, wir werden unsere Schuld nicht los! Im Gegenteil, sie wird immer mehr. Und Vergebung ist keine kleine, leichte Sache. Oft fällt es uns schon schwer zu vergeben, wenn man uns verletzt hat. Und im Namen anderer zu vergeben, dazu haben wir wirklich keine Vollmacht.

Die Pharisäer denken in dieser Richtung: ’Vergeben, das kann er doch gar nicht. Darum darf er es auch nicht tun.’  Was Jesus tut, ist darum mehr, als wir erwartet hätten. Jesus sieht tiefer, sieht das Grundübel. Dazu ist er gekommen: um zu versöhnen und zu vergeben - um zu heilen.

 

Wir wissen nicht, was jenen Mann gelähmt hat. Aber wir spüren: Vergebung öffnet eine neue Beziehung zu Gott und den Menschen, neuen Horizont. Gott greift nach dem ganzen Menschen. Er schenkt Heilung und Heil. So wie nach dem Kreuz die Auferstehung den Glanz des Neuen Lebens durchscheinen läßt so wird auch für die vier Freunde und den Gelähmten Gottes neue Welt spürbar.

 

Nicht die Last der Probleme, die Last der Schuld soll dich nieder drücken: Steh auf, hebe deine Matte auf und gehe in dein Haus! Auf geht's. Wem vergeben ist, der kann aufstehen. Und der eben noch Gelähmte steht auf, schultert seine Bahre und geht nach Hause…

Ist das möglich? Ist das wahr?
Der Verstand meldet Einwände: Wenn einer lange gelähmt ist, hat er doch gar keine Muskeln mehr. Also der braucht mindestens 9x Physiotherapie!

Diese sofortige Heilung fordert tatsächlich extrem heraus.
 

Nun werden die einen sagen: bei Gott ist alles möglich. Gott der den Urknall beherrscht und aus toter Materie Leben geschaffen hat – wie sollte für ihn so etwas Kleines unmöglich sein?
Oder: Vielleicht handelte es sich bei dieser Lähmung auch um eine psychische Blockade, um eine psychosomatische Erkrankung. Aber auch dann stellt sich die Frage nach Therapie und Muskelaufbau.
Für jene also, deren Zweifelsfrage nicht so leicht zu beseitigen ist, habe ich eine andere Idee: Der biblischer Bericht unterscheidet sich fundamental von andern Heilungsberichten aus jener Zeit - es gab damals nämlich auch andere Heiler und Wunderdoktoren (beispielsweise Apollonios von Tyana), die für ihre Wunder gefeiert wurden: Aber genau dies ist bei Jesus anders. Oft verbietet er seine Heilungstat weiterzuverbreiten
[1]. Bei Jesus sind alle Heilungsberichte zugespitzt auf eine besondere Botschaft, welche wichtiger ist, als die Heilung selbst: Einmal geht es um die Nachfolge (bei Bartimäus in Markus 10,46ff) oder geht es um die das bedingungslose Vertrauen (bei der Heilung des epileptischen Knaben in Markus 9). Hier in Markus 2 ist die Kernaussage: Jesus hat die Vollmacht zum Vergeben. Er bringt Heilung und Heil!
Es könnte meines Erachten durchaus sein, dass die Heilung länger dauerte – wäre es dann kein Wunder, wenn der Gelähmte erst nach Wochen oder Monaten ganz geheilt wäre?
Ich bin jedenfalls davon überzeugt: hinter jeder Heilungsgeschichte steht eine reale Heilung! Auch wenn sie nicht mehr Krankengeschichten sind, sondern als Heilsgeschichten zu narrativen Predigten der ersten Christenheit umgestaltet wurden.

 

Der Bericht von Markus schließt mit den Worten:

und alle waren fassungslos und priesen Gott und sagten: Nie haben wir solches gesehen!

Gott möchte, daß auch wir angesteckt werden. Er will auch uns den Blick öffnen, daß wir seine Spuren sehen.

Jesus tut ein Zeichen der neuen Gotteswelt, seines Reiches. In dieser alten Welt hinterläßt er Spuren der neuen. Nicht nur damals. Damit auch wir aufbrechen können aus unseren verkrusteten Situationen und Lähmungen, befreit durch Jesu Vergebung.

Amen


 

[1] das sogenannte "Messiasgeheimnis": Jesus kann nicht erkannt werden, als der, der er ist, wenn nicht seine Taten und Worte auf dem Hintergrund seines Kreuzestodes und seiner Auferstehung gesehen werden. Ohne das würde er nur als Wunderheiler und Prophet erkannt, nicht aber als Heiland und Erlöser.
Markus, der früheste Evangelist hat dieses Messiasgeheimnis konsequent festgehalten. Erst nach Jesu Leidensankündigung
en ab Markus 8,31 entfällt das Schweigegebot.

 

 

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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