Der Neue Abendgottesdienst, Niederweningen
16. September 2017
Predigt Pfr. Mathias Rissi
Fake News oder Good News? die Heilung des Gelähmten
Markus 2,1-12
Liebe Gemeinde
Das ist ganz zentral nicht nur im heutigen Predigttext: Gott will zu Wort kommen. Schon zu Beginn der Erzählung bis hin zum Schluß im Lobpreis! Jesus bleibt den Menschen das Wort nicht schuldig. Und wir Christen? Gott wollte und will zu Worte kommen - will Menschen heilen - innen und außen.
Da kommen nun die vier Männer kommen mit ihrem gelähmten Freund. - zu spät - alles besetzt, und niemand hat Erbarmen und öffnet eine Gasse. Aber dadurch lassen sie sich nicht entmutigen. Denn sie haben eine überaus große Hoffnung in die Begegnung mit Jesus gesetzt. So decken sie kurzerhand das Flachdach des einstöckigen Hauses ab. Sie schrecken nicht einmal vor einer kleinen Sachbeschädigung zurück. Die leichte Bauweise kam ihnen da sehr entgegen. Ob sich der Hausbesitzer ärgerte, als er sein Haus in ein Cabrio umfunktioniert sah? Er hatte wohl kaum Zeit dazu. Verwundert blicken die Leute hinauf in die klaffende Lücke im Dach, die plötzlich wieder dunkel wird, als ein großer Gegenstand durchs Dach in den Raum abgeseilt wird. Direkt vor Jesus. Oben in der hellen Lücke die vier Gesichter, voller Erwartung. – Nun liegt er da, direkt vor Jesus. Und Markus schreibt: als Jesus ihren Glauben sah... Kommt es denn auf den Glauben des Kranken nicht an?
Gerade dieser Zug sollte uns aufrütteln. Nehmen wir uns dieses Vertrauen und die Hoffnung der vier Freunde zum Vorbild: Gott weiß, was los ist, wenn wir mit Menschen zu ihm kommen. Also bringen wir Menschen zu ihm!
Oder trauen wir uns doch nicht so ganz? Wenn wir in der Fürbitte Menschen zu Gott bringen, erwarten wir, daß er Situationen und Leben wunderbar verändern kann? Daß sein Segen auf mannigfaltige Weise, durch medizinische und andere Kanäle hilft? Hat dieser Glaube in unseren Kirchen und Spitälern Platz. Er muß es haben! Die Vier ermutigen uns dazu.
Alle warten ganz gespannt: Was tut
der Meister jetzt? Er sagt einen Satz: Kind, deine Sünden sind dir
vergeben! - Nanu, das hätten wir nicht erwartet.
Wir würden erwarten: Ich mach dich jetzt gesund.
Das sehen wir heute eben etwas anders als die Leute in der
Bibel. Unsereiner denkt schnell einmal: Ist Vergebung der Sünde denn so
wichtig? Hauptsache gesund, denken viele!!!
Simon Wiesenthal,
der bekannte Nazijäger, hat den Holocaust überlebt. Er war in
verschiedenen Konzentrationslagern gewesen und wurde im Mai 1945 von US-Soldaten
aus dem KZ Mauthausen befreit. Er berichtet
ein Erlebnis aus der Krankenstation eines KZ's, wo er als Pfleger arbeiten mußte. Ein
jüdischer Mitgefangener erzählte ihm, daß er eben ans Bett eines todkranken
jungen SS-Mannes befohlen worden sei. Der habe ihm mit röchelnder Stimme gesagt:
«Ich liege hier mit meiner Krankheit, ich muß sterben. Ich habe viele jüdische
Männer, Frauen und Kinder getötet. Ich liege hier mit meiner Schuld. Ich
brauche, daß mir einer vergibt. Aber ich weiß nicht, ob noch Juden
übriggeblieben sind, die mir verzeihen können.» – «Hast du ihm vergeben», fragt
Wiesenthal. «Nein, ich kann ihm ja nur vergeben, was er mir angetan hat, aber
nicht für die Getöteten», antwortete der andere. – Was hätte es da bedeutet,
wenn er vergeben hätte?
Nur ein Wort, ein kleines Wort - was hätte es bedeutet, was hätte es bewirkt!
Allmählich dämmert es uns: Sünde ist mehr, als ein paar kleine Lügen oder Fehltritte. Wir erschrecken, wir werden unsere Schuld nicht los! Im Gegenteil, sie wird immer mehr. Und Vergebung ist keine kleine, leichte Sache. Oft fällt es uns schon schwer zu vergeben, wenn man uns verletzt hat. Und im Namen anderer zu vergeben, dazu haben wir wirklich keine Vollmacht.
Die Pharisäer denken in dieser Richtung: ’Vergeben, das kann er doch gar nicht. Darum darf er es auch nicht tun.’ Was Jesus tut, ist darum mehr, als wir erwartet hätten. Jesus sieht tiefer, sieht das Grundübel. Dazu ist er gekommen: um zu versöhnen und zu vergeben - um zu heilen.
Wir wissen nicht, was jenen Mann gelähmt hat. Aber wir spüren: Vergebung öffnet eine neue Beziehung zu Gott und den Menschen, neuen Horizont. Gott greift nach dem ganzen Menschen. Er schenkt Heilung und Heil. So wie nach dem Kreuz die Auferstehung den Glanz des Neuen Lebens durchscheinen läßt so wird auch für die vier Freunde und den Gelähmten Gottes neue Welt spürbar.
Nicht die Last der Probleme, die Last der Schuld soll dich nieder drücken: Steh auf, hebe deine Matte auf und gehe in dein Haus! Auf geht's. Wem vergeben ist, der kann aufstehen. Und der eben noch Gelähmte steht auf, schultert seine Bahre und geht nach Hause…
Ist das möglich? Ist das wahr?
Der Verstand meldet Einwände: Wenn einer lange gelähmt ist, hat er doch gar
keine Muskeln mehr. Also der braucht mindestens 9x Physiotherapie!
Diese sofortige
Heilung fordert tatsächlich extrem heraus.
Nun werden die
einen sagen: bei Gott ist alles möglich. Gott der den Urknall beherrscht und aus
toter Materie Leben geschaffen hat – wie sollte für ihn so etwas Kleines
unmöglich sein?
Oder: Vielleicht handelte es sich bei dieser Lähmung auch um eine psychische
Blockade, um eine psychosomatische Erkrankung. Aber auch dann stellt sich die
Frage nach Therapie und Muskelaufbau.
Für jene also, deren Zweifelsfrage nicht so leicht zu beseitigen ist, habe ich
eine andere Idee: Der biblischer Bericht unterscheidet sich fundamental von
andern Heilungsberichten aus jener Zeit - es gab damals nämlich auch andere
Heiler und Wunderdoktoren (beispielsweise Apollonios von Tyana), die für ihre
Wunder gefeiert wurden: Aber genau dies ist bei Jesus anders. Oft verbietet er
seine Heilungstat weiterzuverbreiten[1].
Bei Jesus sind alle Heilungsberichte zugespitzt auf eine besondere
Botschaft, welche wichtiger ist, als die Heilung selbst: Einmal geht es um
die Nachfolge (bei Bartimäus in Markus 10,46ff) oder geht es um die das
bedingungslose Vertrauen (bei der Heilung des epileptischen Knaben in Markus 9).
Hier in Markus 2 ist die Kernaussage: Jesus hat die Vollmacht zum
Vergeben. Er bringt Heilung und Heil!
Es könnte meines Erachten durchaus sein, dass die Heilung länger dauerte –
wäre es dann kein Wunder, wenn der Gelähmte erst nach Wochen
oder Monaten ganz geheilt wäre?
Ich bin jedenfalls davon
überzeugt: hinter jeder Heilungsgeschichte steht eine reale Heilung!
Auch wenn sie nicht mehr Krankengeschichten sind, sondern als Heilsgeschichten
zu narrativen Predigten der ersten Christenheit umgestaltet wurden.
Der Bericht von Markus schließt mit den Worten:
und alle waren fassungslos und priesen Gott und sagten: Nie haben wir solches gesehen!
Gott möchte, daß auch wir angesteckt werden. Er will auch uns den Blick öffnen, daß wir seine Spuren sehen.
Jesus tut ein Zeichen der neuen Gotteswelt, seines Reiches. In dieser alten Welt hinterläßt er Spuren der neuen. Nicht nur damals. Damit auch wir aufbrechen können aus unseren verkrusteten Situationen und Lähmungen, befreit durch Jesu Vergebung.
Amen
[1]
das sogenannte "Messiasgeheimnis":
Jesus kann nicht erkannt werden, als der, der er ist, wenn nicht seine Taten
und Worte auf dem Hintergrund seines Kreuzestodes und seiner
Auferstehung gesehen werden. Ohne das würde er nur
als Wunderheiler und Prophet erkannt, nicht aber als Heiland und Erlöser.
Markus, der früheste Evangelist hat dieses Messiasgeheimnis konsequent
festgehalten. Erst nach Jesu
Leidensankündigungen ab Markus 8,31
entfällt das Schweigegebot.
Pfr. Mathias Rissi
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