Ufwindgottesdienst   3. April 2004

und Kirche Meilen, Palmsonntag, 4. April 2004

Phil 2,5-11   -  Pfr. Mathias Rissi  Christushymnus Philipper 2,6-11

 

Haltet euch an das, was ihr von Jesus Christus wißt:

Er, göttlich wie Gott, hielt sein Vorrecht nicht fest, Gott gleich zu sein.

Er legte es ab, nahm die Gestalt eines Knechts an und wurde ein Mensch unter Menschen.

Die Gestalt eines Menschen trug er und beugte sich, gehorsam bis in den Tod, ja den Tod am Kreuz.

Darum hat Gott ihn erhöht und gesetzt über alles, was lebt, über Menschen und Mächte.

Wo sein Name genannt wird, sollen alle Knie sich beugen im Himmel, auf Erden und unter der Erde

und jeder Mund soll bekennen: «Jesus Christus ist Herr!» und Gott, den Vater, rühmen und preisen.

Phil 2,5-11 (Übertragung Jörg Zink)

 

Liebe Gemeinde

Zweimal erklangen Hochrufe auf Jesus: erst in der Lesung vom Palmsonntag und dann im Predigttext. Jesus erfährt königliche Ehre! Zweimal das Gleiche und doch ganz verschieden! Am Palmsonntag beim Einzug in Jerusalem empfängt Jesus den Jubel der Bevölkerung, welche in ihm den König und Befreier von der römischen Besatzung sieht. Jesus steht am Anfang des Leidensweges. Für Paulus im Philipperbrief erschallt der Jubel im Wissen um Jesu Christi Leiden, Tod und Auferstehung.

 

Wir wissen, daß man Jesus falsch versteht, wenn man die Passion ausblendet. Es gehört zum christlichen Glauben, des Leidens Christi zu gedenken.

Während Jahrhunderten haben sich die Christen das Kruzifix vor Augen gehalten, über das Leiden meditiert. Es gab und gibt Menschen, die sich sosehr hinein versenken, daß sie an den Händen die Wundmale bekommen.

Ende des 19. Jahrhunderts lernten die Bilder laufen. 1897 haben die Brüder Lumière den ersten Jesusfilm aufgenommen. Seither produziert alle paar Jahre ein Regisseur ein Jesusepos: Jesus von Zeffirelli, Jesus Christ Superstar von Andrew Webber, Il vangelo secondo Matteo von Pasolini oder eben der neuste von Gibson…

Immer wieder wird gesagt, das Anschauen der Passion führe in einen tieferen Glauben – es hätten sich Menschen nach dem Anschauen des Films zu Jesus bekehrt… Der neuste sei aber auch gefährlich: Es seien schon mehrere Zuschauer im Kino gestorben, weil die Orgie von Blut und Gewalt zuviel für ihr Herz gewesen sei.

Ich bekenne mich zu Jesus Christus, obwohl ich den Film nicht angeschaut habe! Ich werde ihn nicht anschauen und äußere mich doch zur Passion Christi. Es ist eben so: Wenn ich eine Weinflasche öffne und Essig oder modrigen Zapfen-Gout rieche, dann lege ich den «Wein» weg. Ich brauche nicht die Flasche leerzutrinken, um zu merken, daß der Wein schlecht ist. Der Gout des Films verheißt mir nicht viel Gutes. Die NZZ titelte: «Soviel Blut hat kein Mensch». Die ZEIT sprach im Blick auf die Orgie der Brutalität gar von «christliche Pornographie».

 

Wir müssen uns aber ernsthaft fragen lassen: Was tut uns die Darstellung von Brutalität an? Ist die Christenheit vielleicht gerade wegen der permanenten Betrachtung des gefolterten Christus unempfindlich geworden und hat selber Gewalt angewendet, z.B. bei der blutigen Missionierung Südamerikas.

Es hat etwas ganz Positives an sich, daß meine Konfirmanden vergangene Woche beim Kreuzigungsausschnitt im viel zahmeren Jesusfilm von Zeffirelli den Kopf abgedreht und die Augen abgewendet haben. Sie haben sich offensichtlich die Ehrfurcht vor dem schrecklichen Quälen bewahrt und sind nicht abgestumpft.

 

Gibsons Film ist da gar unzimperlich. Lassen wir die voyeuristische Gewaltorgie einmal beiseite. Es widert mich an, jetzt all die unsachlichen Urteile, Meinungen und Vorurteile zu hören: so in der TV-Sendung «Quer».

Die einen behaupten: «ja, genau so war's!», als wären sie dabei gewesen, dabei erkennt der Bibelkenner rasch verschiedene offensichtliche Fehler. Der harmloseste ist noch das Latein der Soldaten. Gravierender ist, daß der Filmemacher aus allen Evangelien das Brutalste herausgepickt hat und so tut, als ob das Neue Testament ein Filmdrehbuch oder eine Biographie Jesu sei und nicht das Glaubenszeugnis der frühen Christen! Das Blut  fließt in Strömen, wo wir doch wissen, daß bei Jesu Hinrichtung kaum Blut geflossen ist.

Die andern prangen die Judenfeindlichkeit  an und behaupten, von Jesus wisse man nichts Genaues! Dabei ist gerade sein Tod die am besten gesicherte Information in der Bibel und bei den römischen und jüdischen Geschichtsschreibern.

 

Es wäre aber fatal, das Kind mit dem Bade auszuschütten! Die Menschwerdung und das Leiden Jesu Christi legt den Grund des christlichen Glaubens. Zugleich ist es eine extreme Herausforderung an den «natürlichen Menschen»: Wenn wir sagen: Christus sei für uns gestorben – dann meldet sich der «natürliche Mensch»: «Für mich?  Nein, danke! – das ist doch nicht nötig! Für mich muß doch niemand sterben!»

 

Wie können wir das Passionsgeschehen als ein Geschehen für uns begreifen?

Wir setzen mit Paulus damit ein, daß Gott Mensch wurde: ein Knecht statt der Herr! Ein Bruder unter Geschwistern!

Paulus stellt mehrmals dem alten Menschen Adam (und Eva ;-) den neuen Menschen Christus gegenüber.[1] Es geht also um uns Menschen, nicht nur um die Juden - denn «Adam» war (noch) kein Jude!

 

Was heißt «für uns gelitten»?

Zuerst einmal heißt es, daß er bei uns ist: nicht der unerträglich heilige ferne Gott, sondern der liebe Freund und Bruder! Wenn er sagt: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken,[2] dann weiß er, wovon er spricht, weil er das Leben kennt! In einer Brot-für-alle-Agenda stand vor Jahren: Wer anderen Tränen abwischt, bekommt selber nasse Hände! So ist es Jesus ergangen. Er hat die Lasten übernommen. Er ist sozusagen zum Stellvertreter geworden. Ist uns dieser Gedanke wirklich so fremd geworden? Um ein Übel aus der Welt zu schaffen, braucht es manchmal eine klärende Tat. Jesus kommt für uns auf und bürgt für uns. Was Jesus «abbekommen» hat, das stirbt mit ihm am Kreuz.

 

Dann bedeutet es, daß er uns voran geht. Wie wir es im Psalm 23 bekennen: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Er kann das, weil er das dunkle Tal schon durchschritten hat. Es gibt keine Tiefe und kein Dunkel in deinem Leben, das er nicht kennte und in dem er nicht bei dir wäre! Er geht voran. Daß er das kann, dafür hat er gelitten.

 

Und drittens stellt er sich als Anwalt schützend vor uns.

Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.[3]

Der Gedanke vom Gericht ist zweifelsohne in der Bibel anzutreffen. Aber das Evangelium sagt: Wer auf Christus vertraut, der ist schon durchs Gericht hindurch! Um es plastisch und in kindlicher Vorstellung zu sagen: Wenn Gott im Gericht mit gestrengem Blick auf mich und mein defizitäres Leben schaut und mir dafür die Rechnung präsentieren will - dann stellt sich Christus zwischen uns und sagt: für den Mathias stehe ich grade!

Darum widersprechen wir entschieden, wenn uns gesagt wird: je mehr Blut, desto größer die Erlösung!  Mit dem Neuen Testament und mit den Reformatoren sagen wir: es ist in Jesus  ein für alle mal genug geschehen!    Wir brauchen keine Wiederholung, kein Zelebrieren dieses Opfers und schon gar keinen sadistischen Voyeurismus.

 

«Für uns», das heißt aber auch, daß mit uns etwas geschehen soll: Haltet euch an das, was ihr von Jesus Christus wißt:

Heute gedenken wir der Ermordung von Martin Luther King jr. vor 36 Jahren am 4. April 1968. Bei ihm finden wir die rechte Art des Lobpreises und des Bekenntnisses zu Jesus Christus, dem Herrn:

 

Dr. Martin Luther King jr. hat für die gewaltlose Kampagne zur Aufhebung der Rassentrennung in Birmingham, Alabama, vom 3. April bis 10. Mai 1963 folgende

10 Gebote der Gewaltlosigkeit an die Teilnehmer weitergegeben:[4]

Ich verpflichte mich:

1.    jeden Tag über die Lehren und das Leben Jesu nachzudenken
2.    nie zu vergessen, dass die gewaltlose Kampagne in Birmingham Gerechtigkeit und
       Versöhnung anstrebt, nicht den Sieg
3.    im Geist der Liebe zu wandeln und zu sprechen, denn Gott ist die Liebe
4.    täglich darum zu beten, das Gott mich beschützen möge, allen Menschen zur Freiheit
       zu verhelfen
5.    persönliche Wünsche hintanzustellen, um allen Menschen zur Freiheit zu verhelfen
6.    im Umgang mit Freund und Feind die Regeln der Höflichkeit zu beachten
7.    danach zu trachten, stets dem Nächsten und der Welt zu dienen
8.    mich der Gewalttätigkeit der Faust, der Zunge und des Herzens zu enthalten
9.    mich zu bemühen, in guter geistiger und körperlicher Verfassung zu leben
10.  den Anweisungen der Bewegung und des Leiters der Demonstration zu folgen.»

 

Nun, unsere Demonstration heißt Leben. Darum ist der Leiter unserer Demonstration Jesus Christus. Möge er uns ermutigen, in Dankbarkeit für sein «für uns» so in seinem Dienste zu wirken.

AMEN

 


[1] z.B. in Römer 5,18 oder 1 Kor 15,22: Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.
[2] Matth 11,28
[3] Joh 5,24
[4]  Zitiert nach Richard L. Deats, Martin Luther King jr., S 78f

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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