Was bedeutet eigentlich Glauben?

Ufwindpredigt - 12. Mai 2001 - Pfr. Mathias Rissi

 

Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Römerbrief 4,3

 

Liebe Gemeinde

 

Was heißt eigentlich «Glauben»?

1. Glauben heißt "für wahr halten, meinen"

Zuerst wahrscheinlich einmal: etwas für wahr halten. So kann man sagen: "Ich glaube, morgen ist wieder schön!" Das ist wahrscheinlich oder möglich, aber ganz sicher ist es nicht. Eben eine Meinung oder eine Vermutung.

Könnte es nicht auch mit dem christlichen Glauben so sein? "... du darfst nicht zuviel fragen, du mußt es eben glauben!" Diesen Ratschlag haben schon viele gehört. Aber das wäre doch eher unbefriedigend, ja geradezu unsinnig. Als ob der Glaube nicht befragbar sei. Ich bin der festen Überzeugung, daß der christliche Glauben eine ganz solide Sache ist - auch denkerisch! Das gedankliche System des Christentums ist sicherlich nicht lückenlos, aber es macht für mich mehr Sinn als jedes andere weltanschauliche System, das ich kennen gelernt habe.

Gewiß kann jeder Naseweis auftrumpfen: Beweisen Sie mir das mit Gott erst einmal! – Wir können es nicht. (Wir können höchstens die Gegenfrage stellen: Beweis mir mal, daß es Gott nicht gibt!) Den Beweis gibt es nicht: Nicht weil der christliche Glaube so windig und unsolide wäre. Sondern weil wir von Dingen reden, die größer sind als wir. Und was größer ist als der Mensch, kann der Mensch nicht beweisen - sonst wäre es nicht größer als er. Alles, was größer ist als ich selbst, kann ich nicht beweisen, kann ich nicht festhalten, kann ich nicht wissen. Wenn wir von "Liebe", "Wahrheit", "Gerechtigkeit", "Friede" reden, betreten wir einen Bereich, wo man an einem Punkt doch sagen muß: Hier mache ich einem Größeren Platz. Ich kenne meine Grenzen. Wenn die Vernunft wirklich vernünftig ist, dann weiß sie auch um ihre eigenen Grenzen.

Deswegen ist der Glaube noch lange nicht unsinnig. Aber der Sinn ist größer, als unsere Vernunft fassen kann. Er ist nicht unlogisch, aber er ist höher als alle menschliche Logik. Darum gilt diese elementare Ebene auch für den christlichen Glauben: "Ich glaube an Gott. Ich glaube an die Auferstehung. Ich glaube an  Jesus Christus, daß er Gottes Sohn ist. – das bedeutet: "Ich habe gute Gründe, es anzunehmen. Aber letztlich weiß ich es nicht."

Darum hat die erste Bedeutung des Glaubens - "für wahr halten" - auch für den christlichen Glauben ihre Bedeutung und Gültigkeit.

Allerdings ist dieses Verständnis von Glauben auf Dauer nicht zufrieden stellend. Es verfehlt die eigentliche Pointe des Glaubens. Weil: Man kann einiges für wahrscheinlich halten, ohne die geringste Konsequenz daraus zu ziehen. Solange ich lediglich vermute oder für wahrscheinlich halte, daß es einen Gott gibt, daraus aber keine Konsequenzen ziehe, glaube ich noch nicht im christlichen Sinne.

 

2. Glauben heißt "vertrauensvoll losziehen"

Ein Artist hatte ein Seil über die Niagarafälle gespannt und führte dort die atemberaubendsten Kunststücke vor. Auf dem Höhepunkt seiner Vorführung rollt er einen Schubkarren mit einem Sack Zement über die Wasserfälle und kündigt an: "Jetzt werde ich einen Menschen in die Schubkarre setzen und über das Seil auf die andere Seite bringen. Glauben Sie, daß ich das kann?" Das Volk johlt und schreit: "Ja!" -  "Warum?" - Antwort: "Sie haben bisher alles gekonnt!" Da fragt der Artist: "Glauben Sie wirklich, daß ich das kann?" - "Ja!" - Da zeigt er auf den größten Schreier und sagt: "Gut, dann setzen Sie sich rein!" – aber so hat der es wohl nicht gemeint und dankend abgelehnt.

Dabei geht es exakt darum: Ob wir bereit sind einzusteigen und uns Jesus anzuvertrauen. Die Grundbedeutung des biblischen Wortes Glauben heißt «Vertrauen», sich verlassen auf jemand. Ihnen ist sicher nicht entgangen, daß es im Römerbrief nicht heißt: Abraham glaubte an Gott, sondern Abraham glaubte Gott. - An Gott glauben, das geht auch ganz ohne persönlich Konsequenzen. Glaube, ohne daß ich daraus Konsequenzen ziehe, ohne daß ich mein Leben darauf ausrichte, verdient den Namen Glauben nicht. Das ist noch nicht  Glauben im christlichen Sinn.

Gott glauben hingegen hat immer Konsequenzen. Glauben, so wie die Bibel ihn versteht, ist immer ein Risiko. Jemandem zu vertrauen, ist immer ein Risiko. Die Herausforderung an uns ist, ob wir bereit sind, uns Gott anzuvertrauen. Ob wir bereit sind, den Worten Jesu Glauben zu schenken und daraus Konsequenzen zu ziehen. Sie fragen, wie sieht das praktisch aus? Da wären hundert Dinge zu nennen. Aber der entscheidende Schritt wird immer der sein, daß wir Jesus in unser Leben hineinbitten, daß er die Schuld der vergangenen Tage nimmt, die Wunden des Lebens heilt und Herr der Zukunft sein soll. – "Herr, heile meine Vergangenheit und führe mich in die Zukunft" - dieses Gebet könnte ein solches Einsteigen und der Beginn einer wunderbaren  Freundschaft werden.

 

3. Glauben heißt "die Zukunft vorwegnehmen"

Dies ist vielen wohl am wenigsten bewußt., vielleicht auch am wenigsten bekannt. Glauben als Vertrauen macht uns zu Kindern Gottes. Das ist der Glaube, der uns in den Himmel bringt. Es gibt aber auch einen Glauben, der uns nicht nur in den Himmel bringt, sondern der die Erde gestaltet. Das ist der Glaube, der, wie Jesus sagt, Berge versetzen kann.

Paulus nennt diesen Glauben eine besondere Gnadengabe, ein sogenanntes Chărisma (1. Kor 12,9). Glauben gehört zwar selbstverständlich zum Christsein. Das Charisma des Glaubens ist aber mehr. Es ist gewissermaßen ein Hindurchblicken durch die gegebene Wirklichkeit und ein Erkennen und Festhalten der Verheißung des Gottesreiches. Nehmen wir als Beispiel die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Das Charisma des Glaubens entdecke ich in jener berühmten Rede von Pfr. Martin Luther King jr.: "Ich habe einen Traum! .... ich habe einen Traum, daß eines Tages die Kinder er Sklavenhalter mit den Kindern der Sklaven an einem Tisch essen werden. Ich habe einen Traum!" - Wieviel Borniertheit und Brutalität hat sich jenen gewaltlosen christlichen Kämpfern immer in den Weg gestellt: Tausendfach hätten sie Anlaß gehabt zu resignieren oder die Befreiung mit Gewalt an die Hand zu nehmen. Bis heute ist der Rassismus nicht aus den Völkern verschwunden. Aber das Charisma des Glauben hat unzähligen Menschen den Durchblick gegeben: Im Reiche Gottes da gibt es diese Unterdrückung nicht mehr! Also leben wir schon heute, so gut es möglich ist, dieses Gottesreich und seine Verheißung! Nehmen wir sie in Anspruch!

Vielleicht haben Sie und ich dieses Charisma nicht im Überfluß. Möge der Herr des Glaubens es schenken, daß wir im Glauben weiterwachsen.

Auch Abraham hatte von Gott eine gewaltige Vision bekommen: Gott zeigte ihm in einer sternenklaren Nacht den Himmel und sagte: "Kannst du die Sterne zählen? So viel Nachkommen wirst du eines Tages haben." Dabei hatten Abraham und Sara keine Hoffnung mehr auf Nachwuchs. Und doch  bekamen sie Isaak. Glaube bedeutet nicht nur, zu sagen: "Das uns das wird kommen." Sondern der Glaube gibt einem gleichzeitig auch die Kraft, das, was man kommen sieht, herbeizuführen. Glaube in seiner dritten Dimension bringt uns nicht nur in den Himmel, sondern ist eine weltverändernde Kraft.

Alle drei Dimensionen des Glaubens sind wichtig: für wahr halten, vertrauen und die Zukunft vorwegnehmen. Jetzt sind sie gefragt: Wo liegt für sie die Herausforderung?

Wo liegt für sie die Herausforderung? Für einige ist es das Für wahr halten. Dann ist es Zeit zu fragen und zu forschen, Zeit für Gespräche über Gott und die Welt, auch wenn nicht alle Fragen lösbar sind. Irgendwann wird der Moment kommen, wo es Zeit ist, einzusteigen! Und dann wartet die dritte Herausforderung: Glauben Sie der Zukunft Gottes mehr, als der Gegenwart, die Sie im Moment vor Augen haben. Und lassen Sie sich von Gott zeigen, wie Sie dazu beitragen können, daß diese Zukunft Gestalt annimmt.

 

Ein Letztes: Jesus sagt zum Vater des epileptischen Knaben: «Alle Dinge sind möglich, dem der glaubt» Der Vater antwortet im Blick auf seine Zerrissenheit: «Ich glaube, hilf meinem Unglauben» (Mk 9,24) Es wäre so schön, wenn es den puren Glauben gäbe. Wenn es unter uns regelrechte Glaubensriesen gäbe. Aber die gibt es weder in der Bibel noch im "richtigen Leben". Glauben ist immer ein Gemisch aus Glauben und Unglauben. Aus Glaube und Zweifel. Glauben ist immer eine wacklige Angelegenheit - selbst wenn wir einen großen Glauben haben. Gott selber sorgt schon dafür, daß die Herausforderung noch größer ist. Das war auch bei Abraham so. Abraham hat seinen Glauben alles andere als geradlinig durchgehalten. Er hat immer wieder gezweifelt. Hat moralisch versagt. Hat Gott oft genug auch nicht geglaubt. Und dennoch wurde er zum Urvater des Glaubens. Warum? Weil er auch in seinem Zweifel und seinem Unglauben an Gott festhielt. Ich meine, dieser Satz, dieses Gebet hätte auch von ihm kommen können: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben."

 

Für uns könnte dieser Satz bedeuten:  "Herr, hilf uns, daß unser Glaube immer ein Stück größer ist als unser Unglaube. Wir selber können das es nicht. Die Kraft ist zu klein. Aber wenn du uns hilfst, dann werden wir eine wunderbare Beziehung miteinander haben und wir werden nicht nur in den Himmel kommen, sondern du wirst durch uns hindurch Dinge bewerkstelligen, die wir heute nicht einmal ahnen."   Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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