Bericht
über den
Gemeindeaufbau «Ufwind»
Pfarrer Mathias Rissi,
Meilen ZH
Inhalt
1. Vorbemerkung
3. Konzept: «Integraler Gemeindeaufbau»
3.1. Warum «Gemeindeaufbau» und nicht «Lobgottesdienst»?
3.2. Warum «integral»?
3.3. Musik und Sprache
3.4. Adressaten
3.5. Mitwirkende
3.6. Häufigkeit und Ort
4.1. Vor dem Gottesdienst
4.2. Liturgie
5. Aussichten
5.1. Chancen
5.2. Gefahren
6. Eigene theologische und kulturelle Einordnung
Wir sehen im Gottesdienst den entscheidenden Brennpunkt für die Christen als Einzelpersonen wie als Gemeinschaft. Es versteht sich von selbst, dass Diakonie, Bildung, politische und ethische Verantwortung konstitutiv zur christlichen Existenz gehören. Aber im Gottesdienst erfahren sich die Menschen als von Gott Angesprochene, Zusammengerufene, Ermutigte, kritisch Befragte, und sie bilden als Gemeinde ein Netzwerk, in dem sich die Beteiligten gegenseitig tragen und fördern und der Hoffnung des Reiches Gottes eine Gestalt geben.
In meiner Jugend in den 60-er Jahren habe ich wie viele andere Gleichaltrige die Kirche sehr menschenfreundlich und lebensnah erlebt. Nach dem Durchlaufen des obligaten Weges von Sonntagschule, Kinderlehre und Konfirmation folgte die Kür: Mitglied der «Jungen Kirche» (Jugendgruppe, die damals noch sehr verbreitet war) und selber Sonntagschule erteilen. Dabei war immer eine ansehnliche Schar junger Leute beisammen. Die Kirchgemeinde umspannte alle Generationen und ermöglichte deren ungezwungene Begegnung.
Im Pfarramt auf dem Lande habe ich solches in den achtziger Jahren auch noch erlebt.
In der Kirche, die ich in den neunziger Jahren erlebte, dominierte distanzierte Kultiviertheit. Die Schwelle zum Eingang in die Kirche wurde dabei relativ hoch. Entsprechend fanden auch kaum noch junge Leute oder Berufstätige den Zugang zur Kirche. Die Gottesdienstgemeinde schwand zusehends und der Altersdurchschnitt wuchs kontinuierlich in die Höhe.
Warum? Lag es an der um sich greifenden immer wieder neu aufgelegten liberalen Theologie, welche den auferstandenen Gekreuzigten nicht bekennt? Lag es daran, dass sich eine Elite verselbständigte und nur noch Insider bei den kunstvollen Liturgien mitkamen?
Unsere Versuche die Anonymität im früheren "Hauptgottesdienst" zu überwinden, scheiterten daran, dass einige der aktiven Gottesdienstteilnehmer dies nicht wünschten. Anderseits ließen sich weitere Angehörige, z.B. der mittleren Generation, nicht zur Partizipation an der Kirche und am Gottesdienst einladen. Offensichtlich halten sie weder eine positive Veränderungen des Gottesdienstes für möglich, noch haben sie den Eindruck, etwas zu verpassen, wenn sie ihm fernbleiben. Einerseits nahm und nimmt also die aktive landeskirchliche Gemeinde ab. Anderseits war jedoch gleichzeitig ein Boom von religiösen Angeboten auszumachen namentlich in Esoterik, östlicher Religiosität und Freikirchen.
In Meilen fand sich allerdings auch rasch eine Gruppe von Gemeindegliedern, welche eine Sehnsucht nach einer andern Kirche hatten. Diese Gruppe, bestehend aus zehn Leuten, begann im Sommer 1994 ihre Hoffnungen und Enttäuschungen zusammenzutragen und gemeinsam an einem neuen Aufbruch in der Kirche zu arbeiten: profiliert evangelisch, niederschwellig, einladend, am Puls der Zeit.
Im März 1995 war es soweit. Der Ufwindgottesdienst hatte Premiere. Seither haben über 120 Ufwindgottesdienste stattgefunden. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl ist in diesem Zeitraum von 70 auf über 100 angestiegen (minimal 60 sehr selten; die bisher wenigen Male in der Kirche führten jedes Mal 100 bis 160 Menschen zusammen, Tendenz steigend)
Der Ufwind der Kirchgemeinde Meilen
ist ein «integrales Gemeindeaufbauprojekt» und wird gemeinsam von den Pfarrern
und der Kirchenpflege beraten, praktisch und ideell unterstützt und getragen.
Dies ist ein Schlüssel für das Gelingen. Nichts kann den Erfolg solcher Arbeit
so gefährden wie Uneinigkeit im Pfarrteam oder der Kirchenpflege.
Die herkömmliche Kirche hat während
Jahrhunderten funktioniert. Eine Generation löste die andere ab und trug das
Erbe weiter. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es jedoch zu einem
Bruch der Traditionen, herbeigeführt durch eine Vielzahl von gleichzeitig
wirkenden Faktoren: Individualisierung, multimediale Präsenz der weiten Welt mit
ihren Kulturen, Gesellschaften und Religionen etc. Die daraus resultierende
religiöse Befindlichkeit der Menschen in der Schweiz ist durch die Studien von
Campiche/Dubach 1993 und 2005 eindrücklich beschrieben worden. Wenn die
Landeskirchen sich nicht ins Schicksal ergeben wollen, «den Marsch in die
Unleserlichkeit angetreten» zu haben, müssen die Gemeinde soliden Gemeindeaufbau
betreiben.
Ein solides Gebäude steht auf einem Fundament. Unverfügbar, aber geschenkt ist
es im Evangelium vom gnädigen und befreienden Gott. Das heißt: Kirche entsteht
auf der Basis dieses Fundamentes. Gottesdienst und feiernde Gemeinde sind seit
jeher der Ausgangspunkt der kirchlichen Bewegung. Der Gottesdienst verbindet die
Einzelnen in der heilsamen Hoffnung, Kritik und Ermutigung des Evangeliums, und
unterstützt eine persönliche Christus-Beziehung. Durch die Gemeinschaft entsteht
ein gesellschaftliches Netzwerk, in dem die praktische Umsetzung ins Leben
hinein geschieht. So ist der Ufwind in erster Linie dem Gemeindeaufbau durch
Gottesdienst verpflichtet. Er will ganz bewusst evangelistisch wirken und
aufbrechen.
Der festgestellte Traditionsbruch hat auch die religiöse Sprache verstummen
lassen. Die jungen Menschen haben deshalb nur wenige sprachliche
Ausdrucksmöglichkeiten. Die Kirchensprache wird nicht mehr verstanden. Der
Gottesdienst und die privaten Kontakte darüber hinaus sollen deshalb helfen, die
Sprachlosigkeit der heutigen Generation in religiösen - und speziell
christlichen - Dingen zu überwinden. Dies ist für viele leichter möglich in der
landeskirchlichen Offenheit, da hier nicht ein religiöser Slang gepflegt,
sondern der Glaube in möglichst alltagstauglicher Sprache authentisch zu Wort
kommen soll.
Der Ufwind ist unter dem Dach der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde zuhause
und ist ein deklarierter Teil von ihr - dank seiner Offenheit führt er Menschen
aus verschiedenen Konfessionen zusammen (z.B. Mischehenfamilien).
Im Unterschied zu diesem Gemeindeaufbau richten sich «Lobgottesdienste» in der
Regel an schon Erreichte, welche bemängeln, dass die gottesdienstlichen Formen,
die Anbetung und die enge Musikauswahl etc. nicht genügten. Das kann ein
berechtigtes Anliegen sein, hat jedoch eine ganz andere Ausrichtung als der
evangelistische Auftrag der Kirche. Lobgottesdienste können wohl auch
Kirchenfremde gewinnen, aber ist da die Zugangsschwelle (vgl. Sprache der
Anbetungslieder) nicht wieder ähnlich hoch wie beim «klassischen» Gottesdienst?
Da der Ufwind also nicht als «supplément» sondern als eigenständiger
«Hauptgottesdienst» konzipiert wurde, hielt die Kirchenpflege auch eindeutig
fest, dass im Ufwind Taufen und Abendmahl stattfinden dürfen und sollen.
Kirche kann nie nur
gottesdienstfeiernde Gemeinde sein. So blieb es auch beim Ufwind in Meilen nicht
beim Gottesdienst. Weiterführende Ideen wurden geplant, wurden umgesetzt und
nahmen Gestalt an und es entstand ein Netzwerk im Alltag. Einzelne Mitglieder
treffen sich in Hauskreisen oder in der Frauengruppe. Schon fünfmal fand unter
dem Titel «Auf Schatzsuche» ein Glaubenskurs statt, der jedesmal ausgebucht war.
Gelegentlich werden gemeinsam Feste gefeiert oder «Plauschanlässe» organisiert (Schlitteln,
Wanderung, Fondue). Die Ufwindleute wissen sich der Förderung von Projekten der
Entwicklungszusammenarbeit und Mission verpflichtet. Wir haben Kontakte nach
Rumänien und Bolivien und unterstützen dort Projekte mit namhaften Beiträgen.
Dies alles fördert die Verbindlichkeit. Wohltuend sind in einer
Agglomerationsgemeinde wie Meilen nachbarschaftliche Kontakte und Hilfe.
Sozialethische Aspekte geraten ins Bewusstsein einer Generation, die vom Konsum
geprägt war.
Das ist in der Kirche schon immer wichtig gewesen und eine nicht aufgebbare
Verpflichtung. Mit dem Ufwind-Konzept ist es möglich geworden, erfolgreich neue
Menschen zu anzusprechen, Gemeinschaft zu gestalten und neue Wege zu
beschreiten.
Luther forderte:
«Man muss den Leuten aufs Maul schauen». Dies gilt auch heute wie damals: sowohl
für die Musik, wie für das gesprochene Wort. Der Sonntagmorgengottesdienst
orientiert sich an den wertvollen Traditionen und ist in seiner Form schon/erst
bald 500 Jahre alt. Vorher, in der Antike und im Mittelalter hat er ganz anders
ausgesehen.
Seinerzeit in der Reformation ließ die Kirche den Menschen das Evangelium mit
den modernsten Liedern und in verständlichem Deutsch unter die Haut gehen und
sie ließ alte Hindernisse (Gregorianik und Lateinische Messe) beiseite.
Genauso wichtig ist es heute, für die vielen Leute, welche keinen Zugang zu den
traditionellen Liedern haben, es mit einem niederschwelligen Angebot zu wagen.
Das Evangelium ist menschenfreundlich, also sollen es unsere Gottesdienste auch
sein. Das heißt für die Musik: Viele Leute in der der Schweiz schwärmen für
Negro Spirituals und hören im Autoradio eingängige Rhythmen und Harmonien. Die
dem entsprechende Musik und Lieder sollen im Ufwind die Rezeption unterstützen.
Zugegeben, der Ufwind geht bei der Auswahl des Liedgutes eine Gratwanderung:
Rasch einmal können Musik und Texte zu frömmlerisch oder zu trivial und billig
werden.
Das Liedgut stammt aus dem Reformierten Gesangbuch, Kolibri, rise up, Kumbaya
und anderen Quellen (Look away, Du bist Herr, Vineyard Basileia, Freikirchen,
…)
Der Unterschied zwischen Sonntagmorgengemeinde und Ufwindgemeinde soll
berücksichtigt werden: Am Sonntagmorgen überwiegen in der Gemeinde ältere
Menschen mit langjähriger Glaubenserfahrung. Im Ufwind ist vorwiegend mittlere
Generation anzutreffen. Darunter sind viele «Glaubensanfänger» bzw. «Wiedereinsteiger».
Daraus folgt, dass im Ufwind die Verkündigung griffig, klar biblisch
ausgerichtet, praktisch und alltagsbezogen sein muss. Religiöser Slang und
verschnörkelte Sprache wären fehl am Platz.
Gleich wichtig wie die Verkündigung ist die Erfahrung, in Gemeinschaft
verbunden zu sein.
Im Ufwindgottesdienst geschieht dies mit verschiedenen Mitteln und Elementen:
Sitzordnung (der Halbkreis fördert das gegenseitige Sich-Wahrnehmen); Begrüßung;
gemeinsames Singen; Offenes Mikrofon, um Freude und Fürbitten mitzuteilen;
Interview; Apéro…
Schließlich: Wochentag und Zeit müssen stimmen. Am Sonntagmorgen möchte die
berufstätige Generation von heute ausschlafen, außer sie hat etwas Wichtiges vor
(offensichtlich selten den Kirchgang). Am Sonntagabend «droht» schon wieder der
Montagmorgen. So bot sich als gute Gelegenheit der Samstagabend an mit
Gottesdienstbeginn um 18.15 Uhr. Am Nachmittag finden verschiedene
Freizeitaktivitäten (wie Sport und Pfadfinder) statt. Am späteren Abend locken
der Ausgang oder das Fernsehprogramm. Irgendwann werden die Kinder zu Bett
gebracht. Genau dazwischen zur Nachtessenszeit beginnt der Ufwind. Da der Ufwind
Gottesdienst und Apéro umfaßt, darf er sich in der Nachtessenszeit breitmachen.
Der Gottesdienst dauert 60-70 Minuten, der Apéro bis 22.00 Uhr und später.
Bei der Wahl der «Adressaten» führten
zwei verschiedene Überlegungen zur gleichen Zielgruppe. Einerseits musste
pragmatisch eine Zielgruppe gewählt werden, welche ein starkes Potential
verkörperte und für ein nachhaltiges Gemeindemodell geeignet war. Anderseits
sollte sie in der Kirche bisher unterversorgt sein.
Es bot sich an, nach der mittleren Generation zu fragen. Viele Angehörige der
berufstätigen Generation in der Mitte des Lebens sind daran, sich religiös neu
zu orten. Nach Jahren des Aufbruchs aus dem Elternhaus in die eigene Beziehungs-
und Arbeitswelt rückt eine neue Beheimatung ins Gesichtsfeld: Partnerschaft,
Familie, eigene vier Wände – auch kirchliche Interessen werden greifbar.
Während aber für die traditionellen Kirchenmitglieder bekanntlich seit jeher
sehr gut gesorgt ist, fehlen vielerorts echte Alternativen für die
«Unerreichten».
Die Jugendlichen brechen aus ihrem Elternhaus auf in eine eigene Arbeitswelt und
in neue persönliche Beziehungen und Freundschaften. Mit ihnen lässt sich also
keine nachhaltige Arbeit gestalten.
Hauptzielgruppe des Ufwindprojektes
ist darum die mittlere Generation. Sie entscheidet in der Familie, ob man in der
Kirche aktiv ist und eben am Gottesdienst teilnimmt oder nicht. Oft genug wurde
schon der Fehler begangen, Gottesdienste mit Kindern zu gestalten, um dann die
Eltern dabei zu haben. Wer jedoch selber Mutter oder Vater ist, weiß ein Lied
davon zu singen, wie oft Eltern herbeigerufen werden, um die Kleinen zu
bewundern. Was anfangs ganz begeisternd ist, wird allmählich zur Last,
insbesondere für Eltern mehrerer Kinder. Wenn sie dann jedes Mal nur schöne und
nette kindgerechte Gottesdienste erleben, kommen sie in ihren eigenen
Bedürfnissen zu kurz. Dem trägt das Ufwindkonzept Rechnung, indem der
Predigtteil auf die mittlere Generation zugeschnitten ist. Die Predigt selber
unterscheidet sich von der klassischen Sonntagspredigt vielleicht in Sprache,
Humor und direktem Lebensbezug (diesen Kriterien müsste aber m. E. auch jede
Sonntagpredigt genügen). Da unser Gott menschenfreundlich ist, will es die
Predigt auch sein. Der Zielgruppe zuliebe geht es um «basics» des Glaubens und
nicht um theologische Spezialitäten für Leute mit jahrzehntelanger
Glaubenspraxis. Die Form der Predigt kann variieren. Es dominiert die frei
gehaltene Ansprache. Anspiel, Videoszene, Dialogpredigt sind aber durchaus
willkommene Abwechslung.
Die Erwachsenen können der Verkündigung mit ungeteilter Aufmerksamkeit folgen,
da ihre Kinder gleichzeitig in vier verschiedenen Altersgruppen ihr eigenes
Programm haben:
- Hüeti für die Kleinsten
- eine Kolibrigruppe für die Vorschulkinder mit einer biblischen Geschichte
- eine Kolibrigruppe für die Kinder bis 10 mit einer biblischen Geschichte
- und ein «Club» für die 11- bis 14-jährigen, gestaltet vom Jugendarbeiter.
Der Gottesdienst nimmt auf, was die
mittlere Generation bewegt aus dem Alltag: in der Arbeit und Sorge um die
Arbeitsstelle, Beziehungsfragen, Familienstress, Ehesituationen,
Erziehungsfragen, Glauben, mid-life-Thematik…
Ein Team steht hinter dem Ufwind.
Gemeindeaufbau lässt sich nicht im Alleingang realisieren. Aus der Gruppe, die
dreiviertel Jahre lang die Vorbereitungen vorangetrieben hatte, stammen auch die
Teammitglieder, welche die Gemeinde durch den Gottesdienst führen. Ein Pfarrer
hält die Predigt – so wurde es vom Pfarrkonvent und der Kirchenpflege gewünscht.
Weitere Mitarbeiter gewährleisten die Hüeti und die Kindergottesdienstgruppen.
Oft wird jemand aus der Gemeinde für
ein Interview angefragt. Dies schafft eine persönliche Nähe. Selbstverständlich
kann, wer dies will, rein beobachtend dem Gottesdienst beiwohnen. Jeder wählt
den Grad der Beteiligung selber.
Das «Offene Mikrofon» bietet der ganzen Gemeinde zweimal im Gottesdienst ein
Fenster der Partizipation: Freude und Dankbarkeit (mit)teilen und
Fürbitteanliegen einbringen. Die paulinische Aussage zur Ekklesiologie, dass die
Glieder des Leibes sich mitfreuen, wenn einem andern Gutes widerfährt, oder
mitleiden wenn ein anderes leidet, wollen mit Leben gefüllt und anschaulich
werden. Verschiedene kritische Stimmen meinten, ein solches Element sei mit den
bedächtigen Schweizern zum Scheitern bestimmt. Die Erfahrung hat uns eines
andern belehrt. Es war lediglich eine Frage der Ermunterung, der sorgfältigen
Einführung und der Geduld bis die Gemeinde den Wert dieser Elemente entdeckte
und sie sich aneignete.
Als Ort wählten wir zu Beginn den
Saal im Kirchenzentrum Feldmeilen. Dieses liegt zwar leider dezentral. Aber
wichtiger war die Größe: der Saal bietet maximal 100 bis 120 Personen Platz.
Wenn zum ersten Gottesdienst nur 50 Personen erschienen wären, das Minimalziel,
so wären sie in der großen Meilemer Kirche «untergegangen», im Saal in
Feldmeilen mussten sie sich hingegen als beachtliche Gruppe wahrnehmen. Gleich
zu Beginn stellten sich siebzig Personen ein – vom Kleinkind bis ins
Seniorenalter, die größte Altersgruppe jedoch mitten im Erwerbsleben um die 30
bis 40 Jahre alt. – diese Siebzig, die zum ersten Ufwind kamen füllten den Saal
schon fast aus.
Jährlich finden rund zwölf Ufwindgottesdienste statt. Da in den Schulferien viele Gemeindeglieder abwesend sind, pausiert der Ufwind dann. So resultiert ungefähr ein Dreiwochen-Rhythmus. Im Verlauf der Zeit wurde der Platz im Kirchenzentrum knapp. Wie bei einer Pflanze, deren Wurzelwerk den Topf ausfüllt und neue Blätter nur wachsen können, wenn ein altes abfällt, wurde auch dem Ufwind der «Topf» zu klein. Lange stand aber die Kirche nicht zur Verfügung, da sie für Konzerte und andere Anlässe schon lange im Voraus belegt war. Im Jahre 2004 steigerten wir deshalb den Rhythmus auf vierzehntägliche Gottesdienste, um so der vermehrten Nachfrage zu begegnen. Dieses Kalkül ging auf: Wir machten die interessante Erfahrung, dass auch jetzt im Saal fast jedes Mal alle Stühle besetzt waren. Allerdings mit mehr Fluktuation. Das heißt: die Gemeindeglieder ließen nun gelegentlich zwischendurch einen Gottesdienst aus. Dann ging es eben vier Wochen bis zum übernächsten Ufwind. Der Vierzehn-Tage-Rhythmus beanspruchte das Team sehr stark. Mit der Einweihung der renovierten Kirche beschloss die Kirchenpflege dem Ufwind Priorität einzuräumen. Mit dem guten Platzangebot im Kirchenraum kehrten wir zum Drei-Wochen-Rhythmus zurück. Einige Gemeindeglieder wünschen zwar häufigere Gottesdienste, für den Großteil stimmt jedoch der Rhythmus momentan.
Das Team bereitet den Gottesdienst vor. Die Vorbereitungen umfassen:
- Wahl des Predigttextes und eines griffigen Titels
- Auswahl der Lieder
-
Werbung (Lokalpresse, e-Mails an die Adressaten der Mailingliste,
Homepage www.ufwind.net)
Sie lässt sich am besten anhand eines
Beispiels aufzeigen:
Das Team hat den
Raum hergerichtet (Bestuhlung im Halbkreis, Schmuck, Instrumente, technische
Einrichtung) und den Apéro vorbereitet.
Die Teilnehmer werden
empfangen mit Klaviermusik und an der Tür persönlich begrüßt. Ein Gästebuch
liegt auf.
Teammitglied 1 Begrüßung
Lied
Meine Hoffnung und meine Freude
Lied Hüt gits en guete Tag
Lied This little light of mine
Teammitglied 1 Mitteilungen
Teammitglied 1 lädt ein, Freude und Dankbarkeit (mit)zu teilen
Gemeinde «Offenes Mikrofon»: erfreuliche Erfahrungen mitteilen
Teammitglied 2 Dankgebet
Lied Halleluja du bisch da
Teammitglied 2 Anweisungen:
Kinder gehen in die Kindergruppen
(Sunntigschuel, Hüeti)
Kollekte einsammeln, Zwischenspiel
Pfarrer Interview mit einem Gemeindeglied
Lied Lord I lift your name on high
Pfarrer
Predigt: «Ich bin doch nicht blöd!»
(Matth 5, 1-12: Die Seligpreisungen)
Lied Suchet zuerst
Teammitglied 2 nach Fürbitte-Anliegen fragen
Gemeinde «Offenes Mikrofon»: Anliegen äußern
Teammitglied 3 Fürbittegebet
Teammitglied 3 Unser Vater und Segen
Lied We shall overcome
ist Zeit für den ausgiebigen Apéro. Die Teilnehmer können ihren Hunger dabei stillen. Sein Hauptsinn liegt jedoch darin, dass neben der liturgischen Gemeinschaft im Gottesdienst eine direkte und persönliche Gemeinschaft gefördert wird. Der Apero dient der Pflege der Freundschaften und dem Planen von Aktivitäten. Seelsorgerliche Fragen werden angetönt. Erfahrungsgemäß bleiben etwa dreiviertel der Teilnehmer zum Apéro. Zweimal jährlich wird eine Essen gekocht und serviert (Zur Aktion Brot-für-alle und als festlicher Adventsznacht). Im Sommer steht ab und zu ein Grill bereit. Die Gemeindeglieder wissen, dass ihre Kuchen und Spezialitäten beim Apéro willkommen sind und tragen Vielfalt des Apérobuffets bei. Beim Adventsznacht und den Grillparties bringen die Teilnehmer die Speisen im Sinne eines pot-luck-dinners mit.
Ein solcher Gemeindeaufbau hat sehr
großes Potential, denn es gibt genug Leute, die darauf warten!
Er hilft in einer Zeit der Sprachlosigkeit in religiösen Dingen eine Sprache für
den Glauben zu finden.
Es entsteht eine aktivierte und partizipierende Gemeinde in der mittleren
Generation
Die Anzahl der im Gottesdienst erreichten Gemeindeglieder hat sich verdoppelt
Nachhaltigkeit: In 10 Jahren über 120 Ufwind-Gottesdienste
Teilnahme 1995 durchschnittlich 75 und 2003 durchschnittlich 100. Raumnot im Saal ab 100 Personen (es lassen sich maximal 120 Menschen «hineinpferchen»). In der Kirche jeweils 100 bis 160 Teilnehmer.
Die Fluktuation der Teilnehmer zeigt, dass es gelingt, eine offene Gemeinde zu gestalten. Dies zeigt sich auch in der Altersverteilung. Zu Beginn nahmen vor allem Menschen aus der engeren Zielgruppe teil, jetzt sind alle Altersgruppen vertreten (schwergewichtig natürlich immer noch die Zielgruppe, aber auch ca. 10% 65-90-jährige und 5-10% zwischen 16 und 30)
Der Gefahr der Sezession ist behutsam
zu begegnen: d.h. die Kirchenpflege muss den Gemeindeaufbau bewusst fördern
wollen, der Pfarrkonvent muss das Projekt immer wieder auch gemeinsam evaluieren
und ideell tragen, auch wenn die Verantwortung dann bei der dazu berufenen
Person liegt.
Konkret wurde in Meilen die erste Aufbauphase (ein Jahr lang) durch den für das
Projekt verantwortlichen Pfarrer geleitet – natürlich im Gespräch mit den
Kollegen und mit der deklarierten Unterstützung der Kirchenpflege.
Seit dem zweiten Jahr signalisieren die Pfarrkollegen der Gemeinde durch ihr
regelmäßiges Engagement in der Predigt (jeden 3. Ufwind) ihre aktive
Unterstützung.
Der Ufwind ist ein reformiertes
Gebilde, das sich der Gratwanderung stellt, weder in einen Fundamentalismus noch
in eine unverbindliche theologische Liberalität zu geraten. Das Vorhandensein
einer großen Breite von Glaubensausprägungen der Teilnehmer - von ehemalig
«freikirchlich» bis hin zu «kirchlich bisher distanziert» - ist ein guter
Indikator.
Mit den Mitteln, welche während längerer Zeit vor allem nur noch in Freikirchen
gepflegt wurden, will die Ufwindarbeit bewusst landeskirchlich und
evangelisch-reformiert bleiben. Das heißt: «denkend glauben» und «glaubend
denken».
Dass wir uns dabei bemühen, einen roten Faden des christlichen Glaubens
erkennbar zu lassen und zum persönlichen Glauben einzuladen und nicht nur
religiöse Formen anzubieten, versteht sich von selbst, denn die Kirche hat das
Evangelium von Jesus Christus in dieser Welt in einer Art zu bezeugen, welche
ermutigt, offen für Kritik ist und einlädt, zu partizipieren.
Die Ufwindarbeit richtet sich auf die «Normalbürger» aus, also nicht auf eine Randgruppe. Die Teilnehmenden stammen hinsichtlich Bildung und sozialer Stellung aus verschiedenen Schichten. Sicher sind die Zielgruppe und die Gestaltenden in diesem Sinne eher «bürgerlich» (nicht im Sinne des politischen Spektrums) und etabliert und kulturell vielfältig ausgerichtet. Sie verachten leichte Musik nicht. Sie sind religiös offen und schätzen die landeskirchliche Freiheit.
Meilen, März 2005
Dieser «Report» wurde auf Wunsch von Prof. Ralph Kunz erstellt und ist in sein Buch «Der neue Gottesdienst» aufgenommen worden