Bericht über den Gemeindeaufbau «Ufwind»
Pfarrer Mathias Rissi, Meilen ZH

 

 

Inhalt

 

1. Vorbemerkung

2. Entstehungsgeschichte

3. Konzept: «Integraler Gemeindeaufbau»

3.1. Warum «Gemeindeaufbau» und nicht «Lobgottesdienst»?

3.2. Warum «integral»?

3.3. Musik und Sprache

3.4. Adressaten

3.5. Mitwirkende

3.6. Häufigkeit und Ort

4. Der Gottesdienst

4.1. Vor dem Gottesdienst

4.2. Liturgie

4.3. Nach dem Gottesdienst

5. Aussichten

5.1. Chancen

5.2. Gefahren

6. Eigene theologische und kulturelle Einordnung

6.1. Theologische Einordnung

6.2. Kulturelle Einordnung

 

1. Vorbemerkung
 

Wir sehen im Gottesdienst den entscheidenden Brennpunkt für die Christen als Einzelpersonen wie als Gemeinschaft. Es versteht sich von selbst, dass Diakonie, Bildung, politische und ethische Verantwortung konstitutiv zur christlichen Existenz gehören. Aber im Gottesdienst erfahren sich die Menschen als von Gott Angesprochene, Zusammengerufene, Ermutigte, kritisch Befragte, und sie bilden als Gemeinde ein Netzwerk, in dem sich die Beteiligten gegenseitig tragen und fördern und der Hoffnung des Reiches  Gottes eine Gestalt geben.

 

 

2. Entstehungsgeschichte
 

In meiner Jugend in den 60-er Jahren habe ich wie viele andere Gleichaltrige die Kirche sehr menschenfreundlich und lebensnah erlebt. Nach dem Durchlaufen des obligaten Weges von Sonntagschule, Kinderlehre und Konfirmation folgte die Kür: Mitglied der «Jungen Kirche» (Jugendgruppe, die damals noch sehr verbreitet war) und selber Sonntagschule erteilen. Dabei war immer eine ansehnliche Schar junger Leute beisammen. Die Kirchgemeinde umspannte alle Generationen und ermöglichte deren ungezwungene Begegnung.

Im Pfarramt auf dem Lande habe ich solches in den achtziger Jahren auch noch erlebt.

In der Kirche, die ich in den neunziger Jahren erlebte, dominierte distanzierte Kultiviertheit. Die Schwelle zum Eingang in die Kirche wurde dabei relativ hoch.  Entsprechend fanden auch kaum noch junge Leute oder Berufstätige den Zugang zur Kirche. Die Gottesdienstgemeinde schwand zusehends und der Altersdurchschnitt wuchs kontinuierlich in die Höhe.

Warum? Lag es an der um sich greifenden immer wieder neu aufgelegten liberalen Theologie, welche den auferstandenen Gekreuzigten nicht bekennt? Lag es daran, dass sich eine Elite verselbständigte und nur noch Insider bei den kunstvollen Liturgien mitkamen?

Unsere Versuche die Anonymität im früheren "Hauptgottesdienst" zu überwinden, scheiterten daran, dass einige der aktiven Gottesdienstteilnehmer dies nicht wünschten. Anderseits ließen sich weitere Angehörige, z.B. der mittleren Generation, nicht zur Partizipation an der Kirche und am Gottesdienst einladen. Offensichtlich halten sie weder eine positive Veränderungen des Gottesdienstes für möglich, noch haben sie den Eindruck, etwas zu verpassen, wenn sie ihm fernbleiben. Einerseits nahm und nimmt also die aktive landeskirchliche Gemeinde ab. Anderseits war jedoch gleichzeitig ein Boom von religiösen Angeboten auszumachen namentlich in Esoterik, östlicher Religiosität und Freikirchen.

In Meilen fand sich allerdings auch rasch eine Gruppe von Gemeindegliedern, welche eine Sehnsucht nach einer andern Kirche hatten. Diese Gruppe, bestehend aus zehn Leuten, begann im Sommer 1994 ihre Hoffnungen und Enttäuschungen zusammenzutragen und gemeinsam an einem neuen Aufbruch in der Kirche zu arbeiten: profiliert evangelisch, niederschwellig, einladend, am Puls der Zeit.

Im März 1995 war es soweit. Der Ufwindgottesdienst hatte Premiere. Seither haben über 120 Ufwindgottesdienste stattgefunden. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl ist in diesem Zeitraum von 70 auf über 100 angestiegen (minimal 60 sehr selten; die bisher wenigen Male in der Kirche führten jedes Mal 100 bis 160 Menschen zusammen, Tendenz steigend)

 

 

3. Konzept: «Integraler Gemeindeaufbau»
 

Der Ufwind der Kirchgemeinde Meilen ist ein «integrales Gemeindeaufbauprojekt» und wird gemeinsam von den Pfarrern und der Kirchenpflege beraten, praktisch und ideell unterstützt und getragen. Dies ist ein Schlüssel für das Gelingen. Nichts kann den Erfolg solcher Arbeit so gefährden wie Uneinigkeit im Pfarrteam oder der Kirchenpflege.
 

3.1. Warum «Gemeindeaufbau» und nicht «Lobgottesdienst»?

Die herkömmliche Kirche hat während Jahrhunderten funktioniert. Eine Generation löste die andere ab und trug das Erbe weiter. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es jedoch zu einem Bruch der Traditionen, herbeigeführt durch eine Vielzahl von gleichzeitig wirkenden Faktoren: Individualisierung, multimediale Präsenz der weiten Welt mit ihren Kulturen, Gesellschaften und Religionen etc. Die daraus resultierende religiöse Befindlichkeit der Menschen in der Schweiz ist durch die Studien von Campiche/Dubach 1993 und 2005 eindrücklich beschrieben worden. Wenn die Landeskirchen sich nicht ins Schicksal ergeben wollen, «den Marsch in die Unleserlichkeit angetreten» zu haben, müssen die Gemeinde soliden Gemeindeaufbau betreiben.
Ein solides Gebäude steht auf einem Fundament. Unverfügbar, aber geschenkt ist es im Evangelium vom gnädigen und befreienden Gott.  Das heißt: Kirche entsteht auf der Basis dieses Fundamentes. Gottesdienst und feiernde Gemeinde sind seit jeher der Ausgangspunkt der kirchlichen Bewegung. Der Gottesdienst verbindet die Einzelnen in der heilsamen Hoffnung, Kritik und Ermutigung des Evangeliums, und unterstützt eine persönliche Christus-Beziehung. Durch die Gemeinschaft entsteht ein gesellschaftliches Netzwerk, in dem die praktische Umsetzung ins Leben hinein geschieht. So ist der Ufwind in erster Linie dem Gemeindeaufbau durch Gottesdienst verpflichtet. Er will ganz bewusst evangelistisch wirken und aufbrechen.
Der festgestellte Traditionsbruch hat auch die religiöse Sprache verstummen lassen. Die jungen Menschen haben deshalb nur wenige sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten. Die Kirchensprache wird nicht mehr verstanden. Der Gottesdienst und die privaten Kontakte darüber hinaus sollen deshalb helfen, die Sprachlosigkeit der heutigen Generation in religiösen - und speziell christlichen - Dingen zu überwinden. Dies ist für viele leichter möglich in der landeskirchlichen Offenheit, da hier nicht ein religiöser Slang gepflegt, sondern der Glaube in möglichst alltagstauglicher Sprache authentisch zu Wort kommen soll.
Der Ufwind ist unter dem Dach der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde zuhause und ist ein deklarierter Teil von ihr - dank seiner Offenheit führt er Menschen aus verschiedenen Konfessionen zusammen (z.B. Mischehenfamilien).
Im Unterschied zu diesem Gemeindeaufbau richten sich «Lobgottesdienste» in der Regel an schon Erreichte, welche bemängeln, dass die gottesdienstlichen Formen, die Anbetung und die enge Musikauswahl etc. nicht genügten. Das kann ein berechtigtes Anliegen sein, hat jedoch eine ganz andere Ausrichtung als der evangelistische Auftrag der Kirche. Lobgottesdienste können wohl auch Kirchenfremde gewinnen, aber ist da die Zugangsschwelle (vgl. Sprache der Anbetungslieder) nicht wieder ähnlich hoch wie beim «klassischen» Gottesdienst?
Da der Ufwind also nicht als «supplément» sondern als eigenständiger «Hauptgottesdienst» konzipiert wurde, hielt die Kirchenpflege auch eindeutig fest, dass im Ufwind Taufen und Abendmahl stattfinden dürfen und sollen.
 

3.2. Warum «integral»?

Kirche kann nie nur gottesdienstfeiernde Gemeinde sein. So blieb es auch beim Ufwind in Meilen nicht beim Gottesdienst. Weiterführende Ideen wurden geplant, wurden umgesetzt und nahmen Gestalt an und es entstand ein Netzwerk im Alltag. Einzelne Mitglieder treffen sich in Hauskreisen oder in der Frauengruppe. Schon fünfmal fand unter dem Titel «Auf Schatzsuche» ein Glaubenskurs statt, der jedesmal ausgebucht war. Gelegentlich werden gemeinsam Feste gefeiert oder «Plauschanlässe» organisiert (Schlitteln, Wanderung, Fondue). Die Ufwindleute wissen sich der Förderung von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und Mission verpflichtet. Wir haben Kontakte nach Rumänien und Bolivien und unterstützen dort Projekte mit namhaften Beiträgen. Dies alles fördert die Verbindlichkeit. Wohltuend sind in einer Agglomerationsgemeinde wie Meilen nachbarschaftliche Kontakte und Hilfe. Sozialethische Aspekte geraten ins Bewusstsein einer Generation, die vom Konsum geprägt war. 
Das ist in der Kirche schon immer wichtig gewesen und eine nicht aufgebbare Verpflichtung. Mit dem Ufwind-Konzept ist es möglich geworden, erfolgreich neue Menschen zu anzusprechen, Gemeinschaft zu gestalten und neue Wege zu beschreiten.
 

3.3. Musik und Sprache

Luther forderte: «Man muss den Leuten aufs Maul schauen». Dies gilt auch heute wie damals: sowohl für die Musik, wie für das gesprochene Wort. Der Sonntagmorgengottesdienst orientiert sich an den wertvollen Traditionen und ist in seiner Form schon/erst bald 500 Jahre alt. Vorher, in der Antike und im Mittelalter hat er ganz anders ausgesehen.
Seinerzeit in der Reformation ließ die Kirche den Menschen das Evangelium mit den modernsten Liedern und in verständlichem Deutsch unter die Haut gehen und sie ließ alte Hindernisse (Gregorianik und Lateinische Messe) beiseite.
Genauso wichtig ist es heute, für die vielen Leute, welche keinen Zugang zu den traditionellen Liedern haben, es mit einem niederschwelligen Angebot zu wagen.
Das Evangelium ist menschenfreundlich, also sollen es unsere Gottesdienste auch sein. Das heißt für die Musik: Viele Leute in der der Schweiz schwärmen für Negro Spirituals und hören im Autoradio eingängige Rhythmen und Harmonien. Die dem entsprechende Musik und Lieder sollen im Ufwind die Rezeption unterstützen.
Zugegeben, der Ufwind geht bei der Auswahl des Liedgutes eine Gratwanderung: Rasch einmal können Musik und Texte zu frömmlerisch oder zu trivial und billig werden.
Das Liedgut stammt aus dem Reformierten Gesangbuch, Kolibri, rise up, Kumbaya und anderen Quellen (Look away, Du bist Herr, Vineyard Basileia, Freikirchen,  …)
Der Unterschied zwischen Sonntagmorgengemeinde und Ufwindgemeinde soll berücksichtigt werden: Am Sonntagmorgen überwiegen in der Gemeinde ältere Menschen mit langjähriger Glaubenserfahrung. Im Ufwind ist vorwiegend mittlere Generation anzutreffen. Darunter sind viele «Glaubensanfänger» bzw. «Wiedereinsteiger».
Daraus folgt, dass im Ufwind die Verkündigung griffig, klar biblisch ausgerichtet, praktisch und alltagsbezogen sein muss. Religiöser Slang und verschnörkelte Sprache wären fehl am Platz.
Gleich wichtig wie die Verkündigung ist die Erfahrung, in Gemeinschaft verbunden zu sein.
Im Ufwindgottesdienst geschieht dies mit verschiedenen Mitteln und Elementen: Sitzordnung (der Halbkreis fördert das gegenseitige Sich-Wahrnehmen); Begrüßung; gemeinsames Singen; Offenes Mikrofon, um Freude und Fürbitten mitzuteilen; Interview; Apéro…

Schließlich: Wochentag und Zeit müssen stimmen. Am Sonntagmorgen möchte die berufstätige Generation von heute ausschlafen, außer sie hat etwas Wichtiges vor (offensichtlich selten den Kirchgang). Am Sonntagabend «droht» schon wieder der Montagmorgen. So bot sich als gute Gelegenheit der Samstagabend an mit Gottesdienstbeginn um 18.15 Uhr. Am Nachmittag finden verschiedene Freizeitaktivitäten (wie Sport und Pfadfinder) statt. Am späteren Abend locken der Ausgang oder das Fernsehprogramm. Irgendwann werden die Kinder zu Bett gebracht. Genau dazwischen zur Nachtessenszeit beginnt der Ufwind. Da der Ufwind Gottesdienst und Apéro umfaßt, darf er sich in der Nachtessenszeit breitmachen.
Der Gottesdienst dauert 60-70 Minuten, der Apéro bis 22.00 Uhr und später. 

 

3.4. Adressaten

Bei der Wahl der «Adressaten» führten zwei verschiedene Überlegungen zur gleichen Zielgruppe. Einerseits musste pragmatisch eine Zielgruppe gewählt werden, welche ein starkes Potential verkörperte und für ein nachhaltiges Gemeindemodell geeignet war.  Anderseits sollte sie in der Kirche bisher unterversorgt sein.
Es bot sich an, nach der mittleren Generation zu fragen. Viele Angehörige der berufstätigen Generation in der Mitte des Lebens sind daran, sich religiös neu zu orten. Nach Jahren des Aufbruchs aus dem Elternhaus in die eigene Beziehungs- und Arbeitswelt rückt eine neue Beheimatung  ins Gesichtsfeld: Partnerschaft, Familie, eigene vier Wände – auch kirchliche Interessen werden greifbar.  Während aber für die traditionellen Kirchenmitglieder bekanntlich seit jeher sehr gut gesorgt ist, fehlen vielerorts echte Alternativen für die «Unerreichten».
Die Jugendlichen brechen aus ihrem Elternhaus auf in eine eigene Arbeitswelt und in neue persönliche Beziehungen und Freundschaften. Mit ihnen lässt sich also keine nachhaltige Arbeit gestalten.
 

Hauptzielgruppe des Ufwindprojektes ist darum die mittlere Generation. Sie entscheidet in der Familie, ob man in der Kirche aktiv ist und eben am Gottesdienst teilnimmt oder nicht. Oft genug wurde schon der Fehler begangen, Gottesdienste mit Kindern zu gestalten, um dann die Eltern dabei zu haben. Wer jedoch selber Mutter oder Vater ist, weiß ein Lied davon zu singen, wie oft Eltern herbeigerufen werden, um die Kleinen zu bewundern. Was anfangs ganz begeisternd ist, wird allmählich zur Last, insbesondere für Eltern mehrerer Kinder. Wenn sie dann jedes Mal nur schöne und nette kindgerechte Gottesdienste erleben, kommen sie in ihren eigenen Bedürfnissen zu kurz. Dem trägt das Ufwindkonzept Rechnung, indem der Predigtteil auf die mittlere Generation zugeschnitten ist. Die Predigt selber unterscheidet sich von der klassischen Sonntagspredigt vielleicht in Sprache, Humor und direktem Lebensbezug (diesen Kriterien müsste aber m. E. auch jede Sonntagpredigt genügen). Da unser Gott menschenfreundlich ist, will es die Predigt auch sein. Der Zielgruppe zuliebe geht es um «basics» des Glaubens und nicht um theologische Spezialitäten für Leute mit jahrzehntelanger Glaubenspraxis. Die Form der Predigt kann variieren.  Es dominiert die frei gehaltene Ansprache. Anspiel, Videoszene, Dialogpredigt sind aber durchaus willkommene Abwechslung.
Die Erwachsenen können der Verkündigung mit ungeteilter Aufmerksamkeit folgen, da ihre Kinder gleichzeitig in vier verschiedenen Altersgruppen ihr eigenes Programm haben:

-       Hüeti für die Kleinsten

-       eine Kolibrigruppe für die Vorschulkinder mit einer biblischen Geschichte

-       eine Kolibrigruppe für die Kinder bis 10 mit einer biblischen Geschichte

-       und ein «Club» für die 11- bis 14-jährigen, gestaltet vom Jugendarbeiter.

Der Gottesdienst nimmt auf, was die mittlere Generation bewegt aus dem Alltag: in der Arbeit und Sorge um die Arbeitsstelle, Beziehungsfragen, Familienstress, Ehesituationen, Erziehungsfragen, Glauben, mid-life-Thematik…
 

3.5. Mitwirkende

Ein Team steht hinter dem Ufwind. Gemeindeaufbau lässt sich nicht im Alleingang realisieren. Aus der Gruppe, die dreiviertel Jahre lang die Vorbereitungen vorangetrieben hatte, stammen auch die Teammitglieder, welche die Gemeinde durch den Gottesdienst führen. Ein Pfarrer hält die Predigt – so wurde es vom Pfarrkonvent und der Kirchenpflege gewünscht.
Weitere Mitarbeiter gewährleisten die Hüeti und die Kindergottesdienstgruppen.

Oft wird jemand aus der Gemeinde für ein Interview angefragt. Dies schafft eine persönliche Nähe. Selbstverständlich kann, wer dies will, rein beobachtend dem Gottesdienst beiwohnen. Jeder wählt den Grad der Beteiligung selber.
Das «Offene Mikrofon» bietet der ganzen Gemeinde zweimal im Gottesdienst ein Fenster der Partizipation: Freude und Dankbarkeit (mit)teilen und Fürbitteanliegen einbringen. Die paulinische Aussage zur Ekklesiologie, dass die Glieder des Leibes sich mitfreuen, wenn einem andern Gutes widerfährt, oder mitleiden wenn ein anderes leidet, wollen mit Leben gefüllt und anschaulich werden. Verschiedene kritische Stimmen meinten, ein solches Element sei mit den bedächtigen Schweizern zum Scheitern bestimmt. Die Erfahrung hat uns eines andern belehrt. Es war lediglich eine Frage der Ermunterung, der sorgfältigen Einführung und der Geduld bis die Gemeinde den Wert dieser Elemente entdeckte und sie sich aneignete.
 

3.6. Häufigkeit und Ort

Als Ort wählten wir zu Beginn den Saal im Kirchenzentrum Feldmeilen. Dieses liegt zwar leider dezentral. Aber wichtiger war die Größe: der Saal bietet maximal 100 bis 120 Personen Platz. Wenn zum ersten Gottesdienst nur 50 Personen erschienen wären, das Minimalziel, so wären sie in der großen Meilemer Kirche «untergegangen», im Saal in Feldmeilen mussten sie sich hingegen als beachtliche Gruppe wahrnehmen. Gleich zu Beginn stellten sich siebzig Personen ein – vom Kleinkind bis ins Seniorenalter, die größte Altersgruppe jedoch mitten im Erwerbsleben um die 30 bis 40 Jahre alt. – diese Siebzig, die zum ersten Ufwind kamen füllten den Saal schon fast aus.
 

Jährlich finden rund zwölf Ufwindgottesdienste statt. Da in den Schulferien viele Gemeindeglieder abwesend sind, pausiert der Ufwind dann. So resultiert ungefähr ein Dreiwochen-Rhythmus. Im Verlauf der Zeit wurde der Platz im Kirchenzentrum knapp. Wie bei einer Pflanze, deren Wurzelwerk den Topf ausfüllt und neue Blätter nur wachsen können, wenn ein altes abfällt, wurde auch dem Ufwind der «Topf» zu klein. Lange stand aber die Kirche nicht zur Verfügung, da sie für Konzerte und andere Anlässe schon lange im Voraus belegt war. Im Jahre 2004 steigerten wir deshalb den Rhythmus auf vierzehntägliche Gottesdienste, um so der vermehrten Nachfrage zu begegnen. Dieses Kalkül ging auf: Wir machten die interessante Erfahrung, dass auch jetzt im Saal fast jedes Mal alle Stühle besetzt waren. Allerdings mit mehr Fluktuation. Das heißt: die Gemeindeglieder ließen nun gelegentlich zwischendurch einen Gottesdienst aus. Dann ging es eben vier Wochen bis zum übernächsten Ufwind. Der Vierzehn-Tage-Rhythmus beanspruchte das Team sehr stark. Mit der Einweihung der renovierten Kirche beschloss die Kirchenpflege dem Ufwind Priorität einzuräumen. Mit dem guten Platzangebot im Kirchenraum kehrten wir zum Drei-Wochen-Rhythmus zurück. Einige Gemeindeglieder wünschen zwar häufigere Gottesdienste, für den Großteil stimmt jedoch der Rhythmus momentan.

 

 

4. Der Gottesdienst
 

4.1. Vor dem Gottesdienst 

Das Team bereitet den Gottesdienst vor. Die Vorbereitungen umfassen:

-       Wahl des Predigttextes und eines griffigen Titels

-       Auswahl der Lieder

-       Werbung (Lokalpresse, e-Mails an die Adressaten der Mailingliste, Homepage www.ufwind.net)

 

4.2. Liturgie

Sie lässt sich am besten anhand eines Beispiels aufzeigen:
 

Das Team hat den Raum hergerichtet (Bestuhlung im Halbkreis, Schmuck, Instrumente, technische Einrichtung) und den Apéro vorbereitet.
Die Teilnehmer werden empfangen mit Klaviermusik und an der Tür persönlich begrüßt. Ein Gästebuch liegt auf.
 

Teammitglied 1           Begrüßung

Lied                              Meine Hoffnung und meine Freude
Lied                              Hüt gits en guete Tag

Lied                              This little light of mine

Teammitglied 1           Mitteilungen

Teammitglied 1           lädt ein, Freude und Dankbarkeit (mit)zu teilen

Gemeinde                    «Offenes Mikrofon»: erfreuliche Erfahrungen mitteilen

Teammitglied 2           Dankgebet

Lied                              Halleluja du bisch da

Teammitglied 2           Anweisungen:
                                      Kinder gehen in die Kindergruppen
                                      (Sunntigschuel, Hüeti)

                                      Kollekte einsammeln, Zwischenspiel

Pfarrer                          Interview mit einem Gemeindeglied

Lied                              Lord I lift your name on high

Pfarrer                          Predigt: «Ich bin doch nicht blöd!»
                                      (Matth 5, 1-12: Die Seligpreisungen)

Lied                              Suchet zuerst

Teammitglied 2           nach Fürbitte-Anliegen fragen

Gemeinde                    «Offenes Mikrofon»: Anliegen äußern

Teammitglied 3           Fürbittegebet

Teammitglied 3           Unser Vater und Segen

Lied                              We shall overcome

 

4.3. Nach dem Gottesdienst

ist Zeit für den ausgiebigen Apéro. Die Teilnehmer können ihren Hunger dabei stillen. Sein Hauptsinn liegt jedoch darin, dass neben der liturgischen Gemeinschaft im Gottesdienst eine direkte und persönliche Gemeinschaft gefördert wird. Der Apero dient der Pflege der Freundschaften und dem Planen von Aktivitäten. Seelsorgerliche Fragen werden angetönt. Erfahrungsgemäß bleiben etwa dreiviertel der Teilnehmer zum Apéro. Zweimal jährlich wird eine Essen gekocht und serviert (Zur Aktion Brot-für-alle und als festlicher Adventsznacht). Im Sommer steht ab und zu ein Grill bereit. Die Gemeindeglieder wissen, dass ihre Kuchen und Spezialitäten beim Apéro willkommen sind und tragen Vielfalt des Apérobuffets bei. Beim Adventsznacht und den Grillparties bringen die Teilnehmer die Speisen im Sinne eines pot-luck-dinners mit.

 

 

5. Aussichten
 

5.1. Chancen

Ein solcher Gemeindeaufbau hat sehr großes Potential, denn es gibt genug Leute, die darauf warten!
Er hilft in einer Zeit der Sprachlosigkeit in religiösen Dingen eine Sprache für den Glauben zu finden.
Es entsteht eine aktivierte und partizipierende Gemeinde in der mittleren Generation
Die Anzahl der im Gottesdienst erreichten Gemeindeglieder hat sich verdoppelt

Nachhaltigkeit: In 10 Jahren über 120 Ufwind-Gottesdienste

Teilnahme 1995 durchschnittlich 75 und 2003 durchschnittlich 100. Raumnot im Saal ab 100 Personen (es lassen sich maximal 120 Menschen «hineinpferchen»). In der Kirche jeweils 100 bis 160 Teilnehmer.

Die Fluktuation der Teilnehmer zeigt, dass es gelingt, eine offene Gemeinde zu gestalten. Dies zeigt sich auch in der Altersverteilung. Zu Beginn nahmen vor allem Menschen aus der engeren Zielgruppe teil, jetzt sind alle Altersgruppen vertreten (schwergewichtig natürlich immer noch die Zielgruppe, aber auch ca. 10%  65-90-jährige und 5-10% zwischen 16 und 30)

 

5.2. Gefahren

Der Gefahr der Sezession ist behutsam zu begegnen: d.h. die Kirchenpflege muss den Gemeindeaufbau bewusst fördern wollen, der Pfarrkonvent muss das Projekt immer wieder auch gemeinsam evaluieren und ideell tragen, auch wenn die Verantwortung dann bei der dazu berufenen Person liegt.
Konkret wurde in Meilen die erste Aufbauphase (ein Jahr lang) durch den für das Projekt verantwortlichen Pfarrer geleitet – natürlich im Gespräch mit den Kollegen und mit der deklarierten Unterstützung der Kirchenpflege.
Seit dem zweiten Jahr signalisieren die Pfarrkollegen der Gemeinde durch ihr regelmäßiges Engagement in der Predigt (jeden 3. Ufwind) ihre aktive Unterstützung.

 

 

6. Eigene theologische und kulturelle Einordnung
 

6.1. Theologische Einordnung

Der Ufwind ist ein reformiertes Gebilde, das sich der Gratwanderung stellt, weder in einen Fundamentalismus noch in eine unverbindliche theologische Liberalität zu geraten. Das Vorhandensein einer großen Breite von Glaubensausprägungen der Teilnehmer - von ehemalig «freikirchlich» bis hin zu «kirchlich bisher distanziert» - ist ein guter Indikator.
Mit den Mitteln, welche während längerer Zeit vor allem nur noch in Freikirchen gepflegt wurden, will die Ufwindarbeit bewusst landeskirchlich und evangelisch-reformiert bleiben. Das heißt: «denkend glauben» und «glaubend denken».
Dass wir uns dabei bemühen, einen roten Faden des christlichen Glaubens erkennbar zu lassen und zum persönlichen Glauben einzuladen und nicht nur religiöse Formen anzubieten, versteht sich von selbst, denn die Kirche hat das Evangelium von Jesus Christus in dieser Welt in einer Art zu bezeugen, welche ermutigt, offen für Kritik ist  und einlädt
, zu partizipieren.

 

6.2. Kulturelle Einordnung

Die Ufwindarbeit richtet sich auf die «Normalbürger» aus, also nicht auf eine Randgruppe. Die Teilnehmenden stammen hinsichtlich Bildung und sozialer Stellung aus verschiedenen Schichten. Sicher sind die Zielgruppe und die Gestaltenden in diesem Sinne eher «bürgerlich» (nicht im Sinne des politischen Spektrums) und etabliert und kulturell vielfältig ausgerichtet. Sie verachten leichte Musik nicht. Sie sind religiös offen und schätzen die landeskirchliche Freiheit.

 

 

Meilen, März 2005

 

Dieser «Report» wurde auf Wunsch von Prof. Ralph Kunz erstellt und ist in sein Buch «Der neue Gottesdienst» aufgenommen worden

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