Jesus Ja - Kirche Nein ?

3. Juni 2007

Predigt in der Kirche Meilen ZH - Pfr. Mathias Rissi

 

1. Korinther 12,4-13

 

 Liebe Gemeinde

 

»Jesus ja, aber die Kirche nein!« oder »An Gott glaube ich schon, aber mit dem Bodenpersonal habe ich meine Mühe. Mit denen von der Kirche möchte ich nicht verwechselt werden« - so sagen manchmal Leute.

Das hat etwas für sich – es ist ja nicht gerade eine Bilderbuchgeschichte von 2000 Jahren, da gibt es auch dunkle Seiten in der Kirchengeschichte, da möchte man lieber nichts damit zu tun haben.

So gibt es Menschen, die heute sagen: Die Kirche bringt mir nichts.

 

In Korinth hatten sie auch Probleme, aus Meilemer Sicht von 2007 sind das vielleicht ganz merkwürdige Probleme. Da gab es Leute, die sagten: »ich bringe der Kirche nichts«.

 

Das sieht Paulus ganz anders. Deshalb spricht er sie als Einzelne an: 'Du bist kein Niemand! Sondern eine VIP durch Gottes Geist, eine Very Important Person. Das überrascht dich vielleicht, weil du nicht weißt, wie du zu solcher Ehre kommst.' Aber heute hat uns die Taufe der kleinen Kinder vor Augen geführt und schonungslos gezeigt, wie Gott uns sieht: So wie Eltern ihre Kleinkinder als seines Beistandes von A-Z bedürftig. Das ist Gnade, nicht Verdienst! Aber genau das sind wir: von Gott geliebt und beschenkt, eben eine VIP.

 

Paulus weiß: 'Gott glaubt an dich, darum hat er dir Gaben für die Gemeinde anvertraut! Du solltest deine Gaben nicht gering schätzen.'

Ach Sie wissen ja, wie das geht, wenn Sie ein Kompliment erhalten oder gelobt werden für etwas, das gut gelungen ist. Die meisten Menschen wehren dann gleich ab. Es ist ihnen peinlich!? Aber wer seine Gaben geringschätzt, macht auch Gott klein!

Nicht in falscher Bescheidenheit sollen wir uns zurückziehen, sondern im rechten Wissen um die eigenen Schwächen und Stärken dürfen wir zu unseren Gaben stehen. Darum gebe ich Ihnen diesen Rat: Sagen sie sich diesen Satz regelmäßig: »Ich bin begabt« – nicht selbstgefällig, aber bewußt in Dankbarkeit vor Gott.

 

Was und wem sollen diese Gaben nützen?

Hier tun sich zwei Fallen auf.

Die erste Falle ist eine moderne. Wir sind Individualisten geworden. Früher waren die Menschen noch auf Gedeih und Verderb eingebunden in die Gesellschaft. Der Wille des Einzelnen war nicht gefragt. So hat das meine Großmutter als eins von zwölf Kindern noch erlebt. Der Individualismus macht Menschen süchtig. Der moderne Mensch ist auf der Suche nach Selbsterfüllung. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat 1994 folgende Sätze geschrieben: »In der Suche nach Selbsterfüllung reisen die Menschen nach Tourismuskatalogen in alle Winkel der Erde. Sie zerbrechen die besten Ehen und gehen in rascher Folge immer neue Bindungen ein. Sie lassen sich umschulen. Sie fasten. Sie joggen. Sie wechseln von einer Therapiegruppe zur anderen. Besessen von dem Ziel der Selbstverwirklichung reißen sie sich selbst aus der Erde heraus, um nachzusehen, ob ihre Wurzeln auch wirklich gesund sind.«

 

So sind viele heute in Gefahr, ihre Gaben zuerst und besonders für sich selber zu nutzen. Aber Paulus weist darauf hin: Nicht für das Individuum, sondern für die Gemeinde sind sie bestimmt! Nicht für uns, wenigstens nicht in erster Linie.

 

Aber da tut sich auch gleich die zweite Falle auf: Überheblichkeit. Die Menschen in Korinth waren nämlich nicht so bescheiden, sondern sie führten sich unangenehm auf, wie VIPs das manchmal eben auch tun: sie trumpften voreinander auf, wer wohl die besten und die tollsten Gaben habe: Natürlich an vorderster Front: Gemeindeleitung, Prophezeiung, ekstatisches Gebet, Wunderheilungen…. Und sie ärgerten sich dann über die Andersartigkeit der andern – was wollten denn die mit ihren bescheidenen Gaben! Als ob es zwei Sorten Menschen gäbe: wichtigere und weniger wichtige, heiligere und weniger heilige.

Paulus setzt dem entgegen: Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft.  Die lebendige Kirche ist nicht eine Organisation, sondern ein Organismus: eben der Leib Christi!

Wir brauchen unsere Gaben im Alltag, im Beruf – und erleben dabei die Gefahr der Routine und Leere. Wenn wir einander zudienen, sind wir der Sache schon besser auf der Spur. Paulus weiß, die Gaben entfalten sich in einer Gemeinschaft, die sich bezogen weiß auf Gott! Dann sehen wir unsere Gaben in einem neuen Lichte: Paulus führt es im anschließenden Abschnitt dann aus: Die Gaben ergänzen einander, so wie die verschiedenen Organe des Körpers.

Als Menschen, die in Christus zusammengehören, erkennen wir unsere Verschiedenartigkeit als Reichtum. Wie dumm von den Korinthern, zu meinen: Ich genüge mir, ich brauche dich nicht. Wir brauchen einander: So wie beim Essen Auge, Nase, Gaumen, Zunge, Zähne beteiligt sind

 

Paulus nennt die Gaben »Charismata«! Ein Charisma will ausstrahlen und wirken. Die Gabe ist in sich auch Aufgabe. Knüpfen wir uns diese Charismata vor. Er nennt sie Ämter. Na, mit dem Amtsschimmel haben viele nicht die besten Erfahrungen, darum kommt dieses Wort nicht mehr so gut an. Die lateinische Bibel, die im Mittelalter nachhaltig den Sprachgebrauch prägte, verwendet hier Ministerium. Aha, die Minister! Wer denkt schon daran, daß dieses Wort von minor (=minder) kommt. Und das Griechische Wort von Paulus offenbart es vollends: Diakonie (wörtlich: »durch den Staub«) – es geht ums Zudienen.

Ob es also das Lehren des Glaubens sei oder die Kraft des Gebetes, die jemand als Gabe hat, oder ob die Gabe das Trösten, das Pflegen oder das Helfen, das Unterstützen, das Spenden  oder das Organisieren, das Führen sei – entscheidend ist immer, daß es ein Zudienen ist.

 

Im vergangenen Jahr haben wir zweimal das Netzwerkseminar durchgeführt. In diesem Kurs geht es darum, die eigenen Gaben zu entdecken. Die große Entdeckung war, daß alle Gaben fanden und zwar nicht nur eine! Und die zweite Entdeckung war es, zu sehen wie entscheidend wichtig selbst die unscheinbaren Gaben im Zusammenleben sind.

 

Darum lassen wir uns von Paulus anstecken, der uns rät: Such deine Gaben! Such nicht andere, suche nicht »bessere«, nicht spektakuläre! Mach es wie bei den Pflanzen: Suche die Wiesenblumen, die einheimischen Gewächse. Gewiß sind im botanischen Garten faszinierende exotische Gewächse. Aber die gedeihen vielleicht bei 40°C und 100% Luftfeuchtigkeit, also nichts für zuhause. Suche also deine Gaben und bringe sie ein! Entdecke dich als Organ am Leib Christi. Bist du Auge, das aufmerksam die Umgebung beobachtet und sieht, wo Hilfe gebraucht wird, bist du Fuß, der trägt und Schritt für Schritt den Weg geht, bist du Ohr, Mund, Magen und hilfst verdauen?

 

Jesus Ja –  Kirche Nein? Mit Paulus kommen wir zum Schluß: Das geht so wohl also nicht.

Nach dem letzten Krieg ging ein Mann durch die Straßen einer zerstörten Stadt. In den Ruinen einer zerbombten Kirche fand er in den Trümmern eine Figur des Gekreuzigten – mit abgeschlagenen Armen und Beinen. Jemand hatte einen Zettel daran geheftet:

Christus hat keine Hände,

nur unsere Hände,

um seine Arbeit heute zu tun.

Ja, und das traut er uns zu, weil wir sein Leib sind – zum Heil der Welt.

Amen

Pfr. Mathias Rissi

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