«Baustelle Kirche»

Ufwindgottesdienst in der Kirchenbaustelle* am 28. Aug. 2004 in  Meilen ZH

Pfr. Mathias Rissi


1. Petrusbrief 2,4-9
    1 Peter 2:4 1 Pet 2,4-9

 

Liebe Ufwind – Gemeinde

Gott braucht keine Kirche. Er braucht keine noch so großartigen Häuser und Kathedralen als Residenz. Das wußten schon die Israeliten. Natürlich: Sie zogen damals als Nomaden durchs Land.
Wir mit dem Ufwind der evang.-ref. Gemeinde sind ja auch «Nomaden». Wir haben im «Feld» - Feldmeilen ;) - begonnen. Und die ersten neun Jahre ging es gut ohne «Gotteshaus»
. Heute sind wir einmal in der Kirche, besser gesagt auf einer Baustelle.

 Nicht Gott braucht die Kirche, sondern wir brauchen sie. Sie ist uns Heimat. Sie ist ein Ort der Identifikation. Im Kirchengebäude kommen wir zusammen – die einen sehr häufig – um in den Gottesdiensten Stärkung zu erfahren. Andere schätzen es, daß die Kirche ein offenes Haus ist, wenn sie über die Schwellen des Lebens treten. So feiern viele bei uns wenigstens die Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung in einer Kirche. Sie symbolisiert in einer Weise die Präsenz Gottes in unserem Dorf (auch wenn wir wissen, daß Gott nicht darin wohnt und darauf wartet, daß wir ihn gelegentlich einmal besuchen).

Seit 500 Jahren steht die Kirche in dieser Gestalt in Meilen. Sie ist das höchste Gebäude. Ihr Turm überragt alle andern Häuser. Die Gestaltung vieler Häuser verfolgt einen bestimmten Zweck. Oft dienen sie kommerziellen Zwecken, sie sollen Umsatz bringen. Nicht so die Kirche. Sie dient dem einen: soli deo gloria – darum wird «Allein Gott in der Höh' sei Ehr» auch nach der Renovation in der Rocaille vorn hoch über dem Schiff zu lesen sein.

Aber noch wichtiger als das Gebäude aus Stein ist das andere. Hört einmal auf diese Worte aus dem 1. Petrusbrief. Die Flugpassagiere sich jeweils anschnallen, wenn das Wetter heftig wird. Diese Worte aus dem 1. Petrusbrief wollen uns auch von den Sitzen reißen. An sich müßte jetzt ein Schriftzug «Bitte anschnallen» aufleuchten.

1. Petrusbrief 2,4-9

Zuerst wird uns gesagt: Tretet herzu! (Vers 4)- Wir sollen in Bewegung geraten. Jesus hat immer Menschen in Bewegung gebracht, und zwar aufeinander zu! So war das schon ganz am Anfang in Bethlehem, als die Hirten von den Feldern aufbrachen und sich zur Krippe aufmachten. Tretet herzu – wir sollen also nicht bei uns selbst bleiben, oder um uns selbst kreisen. Der Ruf von Christus weckt die Sehnsucht nach Gemeinde.

Zum Eckstein hin! Die Menschen haben ihn gering geachtet und verworfen. Aber er ist wesentlich. Für gewöhnlich sind Steine tot – Jesus Christus jedoch ist ein lebendig machender Stein. Wer mit ihm in Berührung kommt, wird lebendig, voller Hoffnung, Zuversicht und Initiative. Wir denken an die Initialzündung, welche die Jünger zu Pfingsten erfahren haben. Nach Kreuzigung und Auferstehung waren sie sieben Wochen wie gelähmt. Sie kreisten in ihren Gedanken nur um sich selbst., aber dann…

Ohne den Eckstein Christus ist die Kirche nur noch eine Institution. Sie vertritt zwar hohe moralische Ansprüche vertritt, sie denkt progressiv und verantwortungsbewußt. Aber sie ist nur eine Organisation mit hohen Ansprüchen, die kein Mensch halten kann – wie das die Juden aus ihrem Glauben schon wußten: Sie antworten auf die Frage, wann der Messias komme und das Gottesreich errichte: «wenn einmal alle Juden auf der ganzen Welt den Sabbat halten». Wieviel Resignation spricht daraus: Irgendein Dummer wird ja immer am Sabbat arbeiten… Da ist kein Eckstein, keine Sicherheit, kein solides Mauerwerk! Da ist nichts als eine Geröllhalde, die jederzeit ins Rutschen kommen kann. – So gibt es genug Leute, für die Jesus ein vorbildlicher Mensch ist, aber kein Eckstein.

Wir aber bekennen: Jesus Christus ist der Eckstein (Vers 7f). Auserwählt, gekreuzigt und aufweckt um Leben und Versöhnung weiterzugeben.

Und wir sind die Steine. Laßt euch auch selbst wie lebendige Steine aufbauen (Vers 5). Generation um Generation treten wir herzu und erneuern die Kirche. Es ist wohl ähnlich wie bei den Kirchenrenovationen, wo laufend das Gebäude erneuert wird. Als Christi Kirche verkünden wir seine herrlichen Taten! Wir, die er aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat. (Vers 9)

Es könnte einem schwindlig werden, ob solch mächtiger Zusagen. Oft strotzt unsere Kirche nicht vor Klarheit und ähnelt auch nicht diesem sicheren Bau. Die Kirche ist und bleibt eben eine Baustelle. Und nicht wahr, manchmal  mag sie uns recht armselig oder gar wie eine Bauruine vorkommen. Aber deswegen verwirft Gott sie nicht. Denn die Kirche steht auf dem Eckstein Jesus Christus. Der spricht uns die Hoffnung zu, daß Gott seinen Bau vollenden wird. Wir sehen mit unseren Augen und unseren Gedanken nicht wann und wie diese Vollendung kommen wird. Aber einmal ist das Vorläufige vorbei. Im Wissen um sein machtvolles Bauen unterbrechen wir die Predigt und singen das Lied: Wo der Herr das Haus nicht baut!

(Lied zu Ps 127)

[Inzwischen sind die Kinder und Jugendliche wieder zu uns gekommen. Sie haben Bausteine (allerlei Kartonschachteln) mitgebracht, damit wir dieses Gebäude vor unseren Augen wie ein Spiegelbild sehen können. Diese Bausteine haben sie mit den Namen aller Gottesdienstteilnehmer jung und alt versehen: ]

Tretet herzu! (Die Jugendlichen bauen auf den Eckstein mit dem Namen Jesus Christus, das Gebäude auf.) Der Eckstein muß Christus sein, wenn das Haus bestand haben soll: verworfen von den Menschen – von Gott auserwählt.

Die «Steine» kommen Schicht um Schicht dazu. Sie liegen dicht beieinander. Christus will eben nicht Individuen, welche nur Privatbeziehungen pflegen, sondern Gemeinschaft. Wir tragen ihr sorge, leben und pflegen sie in Nachbarschaft, «Kolibri», Gottesdienst, in den Hilfswerken und Hauskreisen...
Die Steine tragen unsere Namen. Sie stehen für Menschen – fröhliche und traurige, schwache und starke. Eben so wie Gott uns als Baumaterial annimmt und brauchen will.
Die Steine liegen dicht
zusammengefügt, bekannte und fremde Namen begegnen sich da. So kann es in der lebendigen Kirche gehen, daß wir nicht nur mit handverlesenen Freunden zusammen sind, sondern auch die Nähe der andern spüren, denen wir vielleicht lieber aus dem Weg gingen. Aber das macht die Kirche gerade reich!

[Ein Jugendlicher hat die Aufgabe übernommen, den Eckstein herausziehen] Nun provozieren wir (zugegeben etwas effekthascherisch) die Katastrophe. Das kunstvolle Gemäuer stürzt ein. Was soll die Bausteine noch zusammenhalten ohne den Eckstein? Aber dieses Bild des Jammer können wir nicht am Schluß der Predigt stehen lassen. So, baut die Kirche wieder auf, damit wir uns in dem Gebilde als Spiegelbild wieder finden können. Und dieser Neuaufbau soll zugleich der Hinweis auf die Vollendung sein. Denn bei allem Abbröckeln in 2000 Jahren: Die Kirche kann ihre Schönheit nicht verleugnen, weil ein großer Baumeister sie geschaffen hat: Weil Christus die Steine behaut und zusammenfügt, darum hat die Kirche Zukunft. Sie ist kein Unternehmen, das sich selbst tragen muß, sie ruht auf dem Grundstein. Anders kann sie nicht bestehen:

«So chömed doch näch ane zu Christus, zum Eggstei, und lönd eu ufbaue zu me ne Huus us läbige Stei,» voll vo Gotteschraft, voll Hoffnig und Freud. Amen.

 

 

* Die Renovation der Meilemer Kirche wird bis Ende November vollendet sein.
 

Da die Ufwindpredigten jeweils schweizerdeutsch und frei gehalten werden, weicht die Druckversion vom gesprochenen Wortlaut ab und einzelne Vergleiche, Anekdoten können fehlen. Das gleiche gilt in geringerem Maße auch für die schriftdeutsch gehaltenen Sonntagspredigten.

 

 

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Ufwind - Gemeindeaufbau der Evang.-ref. Kirchgemeinde Meilen