Pfingstpredigt in Meilen ZH am 12. Juni 2011, Pfr. Mathias Rissi

 

Die uns zugeteilten Gaben sind verschieden, der Geist jedoch ist derselbe. Die Dienste sind verschieden, der Herr aber ist derselbe. Das Wirken der Kräfte ist verschieden, Gott jedoch ist derselbe, der alles in allen wirkt. Jedem wird die Offenbarung des Geistes so zuteil, dass es allen zugute kommt. Dem einen nämlich wird durch den Geist die Weisheitsrede gegeben, dem anderen aber die Erkenntnisrede gemäss demselben Geist; einem wird in demselben Geist Glaube gegeben, einem anderen in dem einen Geist die Gabe der Heilung, einem anderen das Wirken von Wunderkräften, wieder einem anderen prophetische Rede und noch einem anderen die Unterscheidung der Geister; dem einen werden verschiedene Arten der Zungenrede gegeben, einem anderen aber die Übersetzung der Zungenrede. Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist, der jedem auf besondere Weise zuteilt, wie er es will. Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl es viele sind, einen Leib bilden, so auch Christus.
1. Kor 12,4-11

 

Liebe Gemeinde

Bertold Brecht meinte 1934 in seinem Gedicht «Alfabet» zu Pfingsten folgendes:
    Pfingsten
    sind die Geschenke am geringsten,
    wogegen Geburtstag, Ostern und Weihnachten
    etwas einbrachten.

Da hat sich Brecht getäuscht. Äußerlich bringt Pfingsten immerhin einen zusätzlichen freien Montag. Das ist in einer Zeit, wo der Leistungsdruck bei der Arbeit jährlich zunimmt doch recht angenehm. Der eigentliche Gewinn dieses christlichen Festes ist wohl weniger anschaulich zu begreifen als das Kind in der Krippe zu Weihnachten. «Wohl mir, daß ich Jesum habe», so heißt der Titel des Bachstücks, das die Musicanti sempreverdi zu Beginn spielten. Ja, wohl uns, denn in Jesus Christus ist Gott uns Menschen begegnet. Aber Jesus ist weggegangen. Und genau das ist an Pfingsten so zentral: Christus ist nicht mehr ein »Gefangener« von Ort und Zeit, wie damals bei seinen Jüngern und den Menschen, die gerade bei ihm waren, sondern er ist ganz und überall da. In der Geistesgegenwart Gottes kommen Jesus Christus und die Begeisterung der Menschen ganz persönlich zusammen. Symbole dafür sind der Wind und das Feuer. Sie kennen alle die Schilderung in Apostelgeschichte 2. Jene Erzählung berichtet davon, dass noch am fünfzigsten Tag nach Ostern die Jünger ängstlich beisammen waren: Sie waren trotz Ostern aus Angst vor Verfolgung abgetaucht. Die Glaubensgewissheit der Auferstehung war an ihnen abgeperlt wie das Wasser an einer Ente. Da geschah es, daß Gottes Geist sie bewegte, so wie ein frischer Wind die schlaffen Segel bläht. Mit einem Feuer der Begeisterung und Zuversicht bekannten sie nun öffentlich ihre Glaubensgewißheit.
So war es auch in Korinth – Die Geistesgegenwart Gottes hatte viele bewegt und ungeahnte Möglichkeiten eröffnet: Die Menschen entdeckten die Gegenwart Gottes in ihren Gaben und Talenten: Wir lesen in einem faszinierenden Katalog von Prophezeien, Heilen, Leiten, Helfen…
Dabei entstand ein spezielles Problem: Die Christen bewerteten ihre Gaben und spielten sie gegeneinander aus – Ach, wie wenig hat sich daran bis heute geändert.
Vielleicht befremdet uns die Korinthische Hitparade etwas: zuoberst stand nämlich die Zungenrede, gefolgt vom Heilen und der Prophetie.
Die andern wurden belächelt; die alltäglichen Dienste im Leben der Gemeinde - dazu gehören modern gesprochen: einer Nachbarin das Bebe hüten, Kollekte zählen, Kirchenkaffee machen, Kranke besuchen, Karte schreiben, singen, Fürbitte, mit Häusern und Geld umgehen. Das galt alles nicht mehr viel in Korinth. Viele fühlten sich minderwertig: »Ich bringe der Gemeinde nichts oder nur wenig, die Großen stellen alles in den Schatten«.

Das sieht Paulus ganz anders. Deshalb spricht er sie als Einzelne an: »Du bist kein Niemand! Sondern eine VIP durch Gottes Geist, eine very important person. Das überrascht dich vielleicht, weil du nicht weißt, wie du zu solcher Ehre kommst.«
Es ist eben Gnade, es ist Gottes Liebe, die uns adelt, nicht Verdienst! Ja, das sind wir: von Gott geliebt und beschenkt, eben VIPs.

Paulus weiß: »Gott glaubt an dich, darum hat er dir Gaben für die Gemeinde anvertraut! Du solltest deine Gaben nicht gering schätzen.«
Aber Sie wissen ja, wie das geht, wenn Sie ein Kompliment erhalten oder gelobt werden für etwas, das gut gelungen ist. Die meisten Menschen wehren dann gleich ab. Es ist ihnen peinlich. Aber wer seine Gaben gering schätzt, der macht auch Gott klein!

Und dann läuft es in unserer Gesellschaft, auch in der Kirche, ganz nach dem Korinthischen Prinzip: zuerst kommen die VIP’s – wir belächeln sie zwar gelegentlich als «Cervelatprominenz» aber TV und Illustrierte sind voll von Menschen, die sich in ihrer Beliebtheit, Schönheit, Jugend, in ihrem Reichtum sonnen.
Darum ist es so erstrebenswert, sich auf der Skala der öffentlichen Beliebtheit nach oben zu arbeiten
Nun verfolgt Paulus zwei Ziele: Zuerst kritisiert er diejenigen in der Korinther Gemeinde, die sich einbilden, durch den Geist Gottes zu Very Important Person geworden zu sein, zu Christen, die anderen, angeblich weniger Begabten, etwas voraus hätten. Für aufgeblasene Pfingstochsen hält er sie. Er zeigt, daß die Gaben nicht Menschen von andern abheben wollen. Die wichtigsten Gaben seien darum jene, die Gemeinschaft stiften! Wenn also Menschen durch ihre vielfältigen Gaben zur Stärkung der christlichen Gemeinschaft beitragen.

Paulus erklärt damit auch die ganz normal und selbstverständlich erscheinenden kleinen Dinge des Alltags zu Geschenken des Heiligen Geistes, denn für ihn ist es ein und derselbe Geist, der jeden Menschen individuell und in besonderer Weise mit Gaben ausstattet und beschenkt. Es gibt für Paulus überhaupt niemanden in der christlichen Gemeinde, der oder die nicht über ein besonderes Charisma, eine Gnadengabe, ein Geschenk zum Nutzen der Gemeinschaft verfügt.
Wir alle haben etwas beizutragen, alle sind wir für Paulus etwas Besonderes, nur meinte er das wohl ein wenig anders als es von vielen Menschen der Gegenwart verstanden wird.

Seit einigen Jahrzehnten bemerken wir, wie der Gemeinsinn in unserer Gesellschaft erschreckend abbröckelt und einem hemmungslosen Egoismus weicht: Zuerst komme ich, dann lange nichts mehr…  Wir kennen die Probleme, die sich daraus ergeben. Trotzdem – sogar das hat ein Gutes. Denn wir müssen uns wohl zuerst einmal selbst bejahen, um uns unseren Mitmenschen auch offen zuwenden zu können.
Es muß uns dabei aber immer von neuem bewußt werden, daß niemand für sich allein leben kann. Nur wenn wir Menschen uns als Teil eines Ganzen, einer Gemeinschaft verstehen, in die sie ihre Individualität, ihre Gaben und Fähigkeiten einbringen können, nur dann kann Leben auch gelingen.

Paulus sieht uns bildlich als Leib Christi, wie er anschließend seine Predigt erläutert. Als Menschen, die in Christus zusammengehören, erkennen wir unsere Verschiedenartigkeit als Reichtum. Wie dumm von den Korinthern zu meinen: Ich genüge mir, ich brauche dich nicht. Wir brauchen einander: So wie beim Essen Auge, Nase, Gaumen, Zunge, Zähne beteiligt sind.

Paulus nennt die Gaben »Charismata«! Das bedeutet: Gnadengaben. Wenn die Griechen heute »evcharisto!« sagen, so heißt das schlicht »Danke!« - also Danke, Herr, daß ich diese Gabe habe.
Ein Charisma will ausstrahlen und wirken. Die Gabe ist in sich auch Aufgabe. Knüpfen wir uns diese Charismata vor. Er nennt sie Dienste. In den alten Sprachen sprechen die Bibelstellen eine eindeutige Sprache: »ministerium« heißt es in der lateinischen Bibel. Das kommt nicht vom Regieren, sondern leitet sich von minor (=minder) ab. Ministerium ist Dienst! Hoffentlich behalten dies die Politiker immer vor Augen. Und das griechische Wort bei Paulus offenbart es vollends: Diakonie (=»durch den Staub«).
Es geht also um Zusammenwirken. Ob es nun das Lehren des Glaubens oder die Kraft des Gebetes sei, die jemand als Gabe hat, oder ob die Gabe das Trösten, das Pflegen oder das Helfen, das Unterstützen, das Spenden oder das Organisieren, das Führen sei – entscheidend ist immer, daß es ein Zudienen ist.

Schon zweimal haben wir in Meilen im Nachgang zum Glaubenskurs ein »Netzwerkseminar« durchgeführt. In diesem Kurs ging es darum, die eigenen Gaben zu entdecken. Die große Entdeckung war, daß alle Teilnehmer Gaben fanden und zwar nicht nur eine! Und die zweite Entdeckung war es zu sehen, wie entscheidend wichtig selbst die unscheinbaren Gaben im Zusammenleben sind.

Darum lassen wir uns von Paulus anstecken, der uns rät: Such deine Gaben! Such nicht andere, suche nicht »bessere«, nicht spektakuläre! Mach es wie bei den Pflanzen: Auf einer Wiese wachsen Wiesenblumen, die einheimischen Gewächse. Gewiß gibt es im Botanischen Garten faszinierende exotische Gewächse. Aber die gedeihen vielleicht bei 40°C und 100% Luftfeuchtigkeit, also nichts für zuhause. Suche also deine Gaben und bringe sie ein! Entdecke dich als Organ am Leib Christi. Bist du Auge, das aufmerksam die Umgebung beobachtet und sieht, wo Hilfe gebraucht wird, bist du Fuß, der trägt und Schritt für Schritt den Weg geht, bist du Ohr, Mund, Magen und hilfst verdauen?

Pfingsten lädt uns ein, die Gaben zu entdecken, ernst zu nehmen, uns zu freuen und sie ins Zusammenspiel zu bringen. Als lebendiges Glied am Leib Christi. Und schließlich: Wenn wir jetzt das Abendmahl feiern… so tun wir es im pfingstlichen Vertrauen und Bewußtsein: Unser Herr, Jesus Christus begegnet uns ganz persönlich. Nicht, daß er sich in Brot und Wein verstecken würde, als Gastgeber ist er aber geistlich gegenwärtig und schenkt uns wie damals Frieden und Kraft.

Amen


 

Pfr. Mathias Rissi

Zum Predigtverzeichnis            Zur Hauptseite

 

Ufwind - Gemeindeaufbau der Evang.-ref. Kirchgemeinde Meilen