23. November 2003   Apg. 3,1-10   -  Pfr. Mathias Rissi  Apostelgeschichte 3,1-10 Apg 3,1-20

 

 

Silber und Gold habe ich nicht....

Der Gelähmte vor der schönen Pforte des Tempels

Apg 3,1-10   Meilen, 23. November 2003

 

 

Liebe Gemeinde

 

Alles liegt quer in dieser Geschichte: Da sitzt einer am Eingang und kann nicht hinein. Er bettelt um ein Almosen, aber der Geber hat kein Geld. Mit der «schönen Pforte» kontrastiert das Elend. Und schon zu Beginn: Wer Besonderes erleben will, macht etwa eine Reise, oder sucht spezielle Situationen oder Orte auf. Daß sich mitten im Alltag etwas Weltbewegendes ereigne, erwarten wir kaum. Da könnten wir uns täuschen. Um das zu merken, braucht es allerdings nicht eine schußbereite Kamera oder das Tagebuch, sondern zuerst wache Sinne, offene Augen und ein offenes Herz. Wir wollen dem bei Petrus und Johannes nachspüren.
Sie sind unterwegs in ihrer Stadt, auf dem vertrauten Weg zum Tempel. Fast am Ziel angelangt, sehen Petrus und Johannes vor einem Eingang einen Bettler sitzen. Der sitzt Tag für Tag hier und bettelt bei den Tempelbesuchern. Er ist gelähmt und wird her getragen. Täglich das gleiche Bild: der gelähmte Bettler, sein flehender Blick, lässig hingeworfene Münzen und ein müder Dank.
Daß die Pforte «die Schöne» heißt, klingt wie Hohn. Dieses Tor an der Nordseite war tatsächlich schön beschlagen - davor sitzt der Bettler. Das ergibt ein ganz treffendes Bild für unsere Welt: großartige Errungenschaften, Fortschritte, Technik, religiöse Feierlichkeit: die strahlende Fassade - und hart daneben Elend, Jammer, Not und Hilflosigkeit! Hier ist es auf einen winzigen Punkt zusammengebracht.
Ganz leise stellt uns die Geschichte die Frage: Wer sitzt am Wegrand in deinem Leben? Und kann nicht hinein? Ist gelähmt? Siehst du diesen Menschen?
Petrus aber blickte ihn an. Allermeist sehen wir das Elend der Welt nicht an, sondern übersehen es. Aber gerade das bringt der erbarmende Gott bei denen fertig, die zu seinem Volk gehören, daß sie das Elend dieser Welt nicht mehr übersehen, sondern es als eine Herausforderung Gottes ansehen. Eine Herausforderung an den Glauben und an die Liebe, die aus dem Glauben kommt.
Der Gelähmte bittet um ein Almosen. - Petrus aber blickte ihn an. Menschen, deren Leben durch Gottes Kraft erneuert wurde, sind sehende Menschen geworden. Sie waren Lehrlinge bei jenem Herrn, der ein Meister bei hoffnungslosen Fällen war, sie sind Schüler des Geistes, der erleuchtet, also Licht gibt.
Bei Jesus treffen wir immer wieder auf diese Wendung: er sah... - Darum sind wir, die Gemeinde zum Sehen berufen. Wir allerdings oft erschreckend nächstenblind. Über dem Fernsehen ist uns die Nahsicht abhanden gekommen. Blick für das Nächstliegende, Notleidende vor den Türen. Rechte Seelsorge fängt immer mit dem Sehen an.

Silber und Gold besitze ich nicht.. Das ist die Reaktion des Petrus. Die unsrige müßte anders lauten. Wir haben gewiß mehr als er. Es ist auch recht: wer hat, der kann ruhig aus seinem Überfluß geben. Aber auch die Apostel helfen, nur anders als erwartet: Petrus spricht ihm im Auftrag des Herrn Heil und Heilung zu: Im Namen Jesus Christi – steh auf und geh umher! - Wer hätte das erwartet: Ein Wort im Namen Jesu Christi. Aber genau das sind wir der Welt schuldig, vor allem andern.
Wir sagen das gewiß manchmal auch: in Gottes Namen! Nur meint das etwas ganz anderes, Ergebung ins Schicksal. Mit seinem «im Namen Jesu Christi» geht Petrus ein Risiko ein. Wer gibt heute noch etwas auf ein Wort? Erst recht auf ein Wort auf den Namen eines Unbekannten - die Welt kennt Jesus Christus nicht! - Die Menschen damals kannten ihn nicht. Und die Menschen heute, sie haben wohl seinen Namen schon gehört, aber welchen Segen er bedeutet, davon haben viele keine Ahnung. Nun kommt gerade auf diese Wörter «im Namen Jesu Christi» alles an: Sie sind Lebenshilfe. Durch sie wirkt Gott. Wenn die Apostel Worte im Namen Jesu Christi sagen, so tritt Gott selber dem Elend der Welt entgegen.

Gott - nicht etwa wir! oder die Apostel! Wir sind nur seine Werkzeuge in seiner Hand. Diese Einschränkung, davon redet auch der Evangelist, schützt uns vor zwei Irrtümern:
Das normale Werkzeug Gottes um Kranke zu heilen ist der Arzt, und nicht Pfarrer oder ein anderer Christ. Eine Blinddarmentzündung wird normalerweise nicht mit Gottes Wort, sondern mit Messer, mit Gottes ärztlicher Hilfe kuriert. - Auch der Arzt und die Gemeindeschwester gehört in den Werkzeugkasten Gottes. Das ist die «normale» Hilfe für den Leidenden - nicht bloß fromme Worte.
Nun könnte aber einer auf den zweiten Irrtum verfallen und sagen: Nur die Apostel konnten das: das Elend von Grund auf beseitigen, wir nicht mehr. Aber das konnten ja die Apostel auch nicht. Das hieße nämlich: Wunder vollbringen. Und das können wir nicht, das konnten auch die Apostel nicht.
Wir wollen die Apostel ernst nehmen: nicht ihre Kraft oder Frömmigkeit, sondern nur die Konfrontation mit dem Namen Jesus Christus. Das sollen und können wir auch.

Petrus sagt es selber: Sieh uns an! - Wir sind nichts Besonderes. Wir können nicht einmal geben, was viele andere haben, Silber oder Gold... Aber was wir haben, geben wir: Zuversicht, Gewißheit, Geborgenheit - durch das Wort, das im Namen Jesu Christi gesprochen wird. Es ist der Name dessen, der dem Leiden und Sterben nicht ausgewichen ist, sondern ihm in die Augen geschaut hat. Und zutiefst unten im Tod hat er Gottes wunderbare Hilfe erfahren. Aber nicht nur für sich, sondern Gott hat ihn auferweckt, damit Zeiten des Segens und der Erquickung in die gequälte Welt kommen. Da soll nicht nur ein Gelähmter wieder springen können.

Aber der Gelähmte kann sich allein nicht rühren. Er braucht helfende Hände. Petrus streckt sie ihm entgegen. Glaubenshilfe und Lebenshilfe sind in der Hilfe, welche Jesus Christus uns Menschen zuwendet, untrennbar verbunden: Glaube und Liebe, Segen und Hand, Predigt und Diakonie, Beten und Arbeiten. So hat das auch Jesus immer getan. Das Gebet und der gute Rat, ein Wort und etwas zu Essen, das persönliche seelsorgerliche Gespräch und das Arbeitsstellenangebot, missionarische Verkündigung und diakonische Hilfe. Und wenn guter Rat teuer ist, dann wird uns Gott nicht nur das Herz öffnen, sondern auch das Portemonnaie.

Am Schluß: und er trat mit ihnen in den Tempel ein, indem er umherging und sprang und Gott pries. - Das ist zuallerletzt selbstverständlich, und nochmals das Werk des erbarmenden Gottes, der allein Herz und Mund öffnen kann zum Lobe Gottes.
Aus dem Bettler ist ein Beter geworden: Er ist ganz heil geworden. Ein neues Leben hat für ihn begonnen. Gott loben und ihm danken das ist unsere tiefste Bestimmung. Wie arm ist ein Menschenleben, das nur um sich kreist! Reich dagegen ist das Leben zu nennen, das befreit ist zum Lobe Gottes, auch wenn es in Armut und Bedrängnis ja sogar in Verfolgung und Leiden steht.

Und schließlich: Der Weg zurück aus der Kirche führt wieder über die Straße. Drum Augen auf! Es könnte ja einer von denen, die neben Ihnen sitzen zu diesen Gelähmten, Gequälten, Traurigen und Einsamen gehören. Möge Gott uns die offenen Sinne dafür geben. Und wenn wir dann mit Wort und Tat helfen, sollen wir nicht vergessen: was unsere Zunge sagt, was unsere Hände tun, das sind nicht mehr und nicht weniger als Gottes Werkzeuge. - Gott schenke uns, daß sie brauchbar werden.
AMEN
 

Pfr. Mathias Rissi

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