Einen andern Grund kann niemand legen, als den der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus

 

Aus der Festschrift zur Einweihung der innen renovierten Kirche von Meilen ZH, 28. November 2004

 

Mit großer Freude nimmt die Gemeinde ihre Kirche am See wieder «in Besitz». Nach langen fünfviertel Jahren der Restaurierung erstrahlt sie wieder festlich und hell und lädt zum Gottesdienst ein. Äußerlich hat sich kaum etwas verändert. Gleichwohl war die Renovation ein großes Stück Arbeit. Die unscheinbaren Änderungen werden die Vielfalt der Gottesdienste, der wohlvertrauten wie der neuen, unterstützen.

Als von den Vorfahren geerbtes Gut behandeln wir die Kirche mit großem Respekt. Gleichzeitig wissen wir um ihre Vergänglichkeit. Daß sie einem laufenden Renovationsbedarf ausgesetzt ist, daran mußten uns nicht erst der bröckelnde Putz und die Stockflecken an den Wänden erinnern. Unsere Kirche ist ein spezielles Gebäude. Seit Jahrhunderten steht sie unten am See. Sie erwirtschaftet keinen Gewinn oder Zins. Gleichwohl ist sie unbestritten. Ihr Turm ist höher als die andern Gebäude weit herum – etwas eigenartig in unserer Zeit, welche fortwährend Kosten und Nutzen analysiert. Offensichtlich ist tief im Bewußtsein der Bevölkerung die Ahnung und das Wissen eingeprägt, sich Gott gegenüber zu verstehen und erleben. «Allein Gott in der Höh' sei Ehr» so ist es in neuer Klarheit auch heute wieder über dem Chorbogen zu lesen.

Wir Reformierten haben ein besonderes Verhältnis zu unseren Kirchen. Wir wissen: Gott braucht keine Kirchen und Tempel. Während viele Völker für ihre Götter Tempel und heilige Gebäude errichtet haben, finden wir schon im Alten Testament bei den Propheten offene Skepsis und Kritik am Brimborium des Tempelkultes. Einerseits ist der biblisch bezeugte Gott so überwältigend, daß er nicht auf ein Gebäude reduziert werden kann. Anderseits zielt echter Glaube darauf, gelebt zu werden.
Aber wir Menschen brauchen die Kirche! Einmal, weil das Kirchengebäude uns daran erinnert, daß unsere Wirklichkeit auch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe umfaßt und nicht bloß die meßbaren Fakten und Zahlen von Wirtschaft und Politik. Und zum andern: weil wir uns als Gemeinde darin versammeln. Da vertrauen wir auf das Wunder der Gegenwart Gottes, der die Gemeinde ermutigt oder ermahnt, sie stärkt und ausrichtet in der Hoffnung.

Das heutige Kircheninnere widerspiegelt diese Auffassung von Gemeinde, welche nach dem dunklen Mittelalter durch die Reformation wieder entdeckt wurde. Seither fehlt ein Altar – das ursprüngliche Kennzeichen der Gegenwart einer Gottheit in ihrem Tempel. Unser Gottesdienstraum ist ein Versammlungsraum. Als liturgische Orte und Elemente kennen wir nur die Kanzel als Ort der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, die Taufschale als Symbol des neuen Lebens, das Christus schenkt, und den Abendmahlstisch, als Zeichen der Einladung Christi, der uns vergeben und uns auf dem Lebensweg stärken will. Die Veränderungen fallen daher kaum auf. Die wichtigste betrifft die ersten Bankreihen: sie können gekröpft werden. Wenn davon Gebrauch gemacht wird, erfährt sich die Gemeinde dadurch nicht nur frontal auf die Kanzel ausgerichtet, sondern nimmt sich auch als Gemeinschaft wahr.

Unsere reformierte Kirche ist in einem umfassenden Umbruch begriffen. Nicht wenige meinen, sie sei «auf dem absteigenden Ast». Ob sie recht haben, wird sich zeigen. Die demographische Entwicklung weist auf eine starke Abnahme der reformierten Bevölkerung hin. Anderseits stellen wir landauf, landab Zeichen eines neuen Aufbruchs in den Kirchgemeinden fest. Sicher stehen wir vor einer großen Herausforderung. Werden wir es weitertragen können, daß es eine so offene, einladende Kirche auch in Zukunft gibt? Wird es uns gelingen, die reformierte Art weiterzupflegen: Glauben und Denken zu verbinden und dem Einzelnen zuzutrauen und nicht von oben zu dekretieren? Gewiß wird es darauf ankommen, als Gemeinde von Christen in der ehrwürdigen, alten Kirche miteinander althergebrachte und junge Formen des Glaubens und Feierns  zu leben und so die Einladung Gottes weiterzugeben. Die Kirche erinnert uns daran, daß wir auch als Gemeinde ein Gebäude sind – ebenfalls kein beliebiges: Einen andern Grund kann niemand legen, als den der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1. Kor. 3,11). Das macht Mut und Lust, miteinander weiterzubauen.

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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