Muß
Abraham sein Kind opfern?
Isaaks Einbindung (Isaaks Opferung)
Genesis 22
Predigt von Pfr.
Mathias Rissi in Greifensee
am Passionssonntag Judika, 17. März 2024
Liebe Schwestern und Brüder
Über diese
Bibelstelle habe ich in meinen über 40 Dienstjahren nie gepredigt. Wohl habe ich
diese Geschichte jedes Jahr im Religionsunterricht mit den Schulkindern
besprochen. Das ist da einfacher, weil man miteinander reden, fragen und
gemeinsam Antworten suchen kann auf die Fragen.
Einfach darüber predigen finde ich schon etwas steil.
Schon einfach betrachtet: Ein Kind zu opfern, zu töten – und meinen, das sei
eine religiöse Pflicht… – da käme zu Recht gleich die Polizei und die KESP
(Kindes- und Erwachsenen-Schutzbehörde) würde eingeschaltet. Und die Begriffe
„Sekte“ und „religiöser Wahn“ hätte in den Medien Hochkonjunktur. Einen Menschen
opfern, gar das eigene Kind… Das geht gar nicht!
Kann das wirklich
sein? Kann es sein, daß Gott von einem Menschen solch ein Opfer verlangt. War
das Gottes Stimme?
Oder muß vielleicht gar so sein: Gott verlangt Vertrauen, absolutes Vertrauen,
Perfektion und blinden Gehorsam. Darin sind sich die Religionen dieser Welt
doch einig?
Da kommt mir eine ganz ähnliche Geschichte aus dem neuen Testament in den Sinn. (Matth 4,5-7) Nach seiner Taufe im Jordan ist Jesus 40 Tage in der Wüste. Auch er hört eine Stimme: Geh zum Tempel und springe von der Zinne hinunter. Gott wird seine Engel senden und sie werden dich auffangen, daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stößest. – Auch diese Stimme verlangt Gehorsam: bloß müßte er selbst hier „über die Klinge springen“. Er müßte selbst springen und das eigene Leben riskieren. – Die Stimme tönt zum Verwechseln ähnlich, wie bei Abraham, doch Jesus ordnet sie dem Versucher, dem Teufel, zu und antwortet: Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen.
Mir scheint es,
als bewegten wir uns mit solchen Vertrauens- und Glaubensbeweisen auf Glatteis.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb diese Geschichte in etlichen neueren
Kinderbibeln schlicht ausgelassen wird. Hat man Bedenken, daß die kindliche
Seele Schaden nehmen könnte bei diesem Vater, der mit seinem Kind zur
Opferung aufbricht?
Als Kind habe auch ich damals diese Geschichte gehört... und unbeschadet überstanden. Es ist ja auch
gut herausgekommen bei Abraham und Isaak. Aber das weiß man zu Beginn eben
nicht.
Wir müssen uns wohl
tiefer in diese Geschichte, dieses Gotteswort,
hineinbegeben.
Gott stellt Abraham auf die Probe: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du
liebhast, Isaak, und gehe ins Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer da
auf einem Berge den ich dir nennen werde.
Wie wird Abraham wohl geschlafen haben, nachdem er dies vernommen hatte? Kein Auge zugetan diese Nacht. Und am
anderen Morgen macht sich Abraham ans Werk, bereitet alles vor und bricht mit
seinem Sohn auf.
Ein Kind verlieren –
Als Pfarrer ist mir das leider mehr als einmal begegnet. Es ist wohl eines der
unbeschreiblich schweren Schicksale für Eltern, wenn sie ihr Kind hergeben müssen. Es immer
schlimm, einen Menschen zu verlieren. Erst recht, wenn es durch Gewalt oder
Unfall geschieht.
Da hilft dann keine gescheite Erklärung und keine tröstlichen Worte. Wie das
Wasser an einer Ente perlen diese Worte ab. Wer so vom Leid getroffen ist,
stumpft völlig ab.
Oh, Gott macht es
dem Abraham dreifach schwer, nein vierfach schwer: deinen Sohn, den
einzigen, den du liebhast, Isaak.
Ja, wie lange haben Abraham und seine Frau Sara auf ihren auf diesen
Sohn gewartet: Mit einem unerhörten Vertrauen war Abraham mit seiner Frau aus
Mesopotamien losgezogen. Auf die bloße Verheißung eines Gottes hin, den er
bisher nicht gekannt hatte. Die dreifache Verheißung: ein Land zu bekommen,
Nachkommen zu bekommen und reich gesegnet zu werden.
Und jetzt? Ach, das Land gehörte noch anderen. Eigene Kinder hatten die beiden
auch noch nicht. Und sie waren doch so alt. Wie hätten sie da noch Kinder
bekommen sollen. Menschlich unmöglich. Wir erinnern an die Vorgeschichte der
Geburt (1.
Mose 18): Gott
hatte inkognito einen Besuch in Abrahams Zeltlager gemacht und übers Jahr ein
Kind verheißen. – Da hatte Sara gelacht. Aber das Wunder geschah. Gott hatte
ihnen doch noch ein Kind anvertraut: Isaak.
Ich sage „anvertraut“. Wir wissen das alle. Kinder sind nicht Besitz der Eltern,
sondern anvertraut. Menschen sind nicht unser Besitz, sondern anvertraut.
Wie auch Erfolge, die wir erarbeitet haben, oft mit Schweiß und Tränen erarbeitet haben –
daß sie von Erfolg gekrönt sind, ist das nicht zutiefst und letztlich ein
Geschenk?
Wir sagen so
leichthin: „Das letzte Hemd habe keine Taschen.“ Aber das ganze Leben lang,
scheint mir, wollen wir festklammern, was wir einmal in die Hände bekommen
haben.
Du hast wahrscheinlich auch schon einmal etwas hergeben müssen, vielleicht sogar
schon mehrmals im Leben. Sind dies nicht die größten und schwierigsten Herausforderungen?
So ist es gewiß
auch für Abraham auf dem Gang zur Opferung. Sein Kind soll er
hergeben...
Schweigend sind die beiden mit dem ganzen Zubehör für ein Opfer unterwegs zum
Berg Morija: „Du Vati“
– „Ja, mein Sohn“ – „Wo ist das Schaf?“
Und was sagt Abraham darauf? Gott selbst wird sich das Lamm für das
Brandopfer ausersehen, mein Sohn.
Echt? Meint er das wirklich? Lügt er sich da etwas in die eigene Tasche? Ist das
eine billige Verlegenheitsrede? Oder sprich daraus das ganz tiefe Vertrauen und
verzweifelte Hoffnung, daß Gott dann schon eingreifen wird?...
So kommen sie zu der Opferstätte. Abraham baut den Altar, bindet Isaak und macht ihn bereit für die Opferung. Das ist nicht auszuhalten, nicht einmal beim Lesen. Einfach nur schrecklich! – Doch da greift ein Bote des Herrn ein und stoppt den Lauf des Unheils. Die Katastrophe soll nicht geschehen. Unsägliche, unendliche Erleichterung!!! – Und da ist auch schon ein Widder, den Abraham opfern kann. [i]
Ende gut, alles
gut! könnten wir sagen. Ja, diesmal schon.
Doch wir wissen um die Realität von Verlust und Tod im Leben. Da könnten wir uns
jetzt doch einfach Abraham zum Vorbild nehmen. Der unbeirrbar den Weg des
Vertrauens ging. Es kommt schon gut heraus. Was auch immer passiert, es
geschieht nicht in der Gott Ferne, sondern Gott hält zu mir.
Ja, es ist wahr und ich vertraue darauf: Gott hält zu mir und er hält zu dir. Und darauf kannst du dein Leben wagen und in glücklichen Tagen ihm für seinen Segen danken und in schweren Tagen nicht verzweifeln an seiner Güte. Doch das ist nicht einfach und schon gar nicht billig zu haben. Darum ist die Geschichte der Bindung Isaaks zum Opfer nur eine kleine Verschnaufpause, eine Vorgeschichte.
Gott macht keine halben Sachen. Gott selbst hat die Geschichte weitergeführt und weitergeschrieben – als der Prophet Jesaja, es steht im 53. Kapitel, in einem Lied vom Gottesknecht, vom leidenden Gottesknecht, schrieb:
3Verachtet war er und von Menschen
verlassen,
ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut
und wie einer, vor dem man das Gesicht
verhüllt,
ein Verachteter, und wir haben ihn nicht geachtet.
4Doch unsere Krankheiten, er hat
sie getragen,
und unsere Schmerzen hat er auf sich genommen.
Wir aber hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen von Gott Geschlagenen und Gedemütigten.
5Durchbohrt aber wurde er unseres
Vergehens wegen,
unserer Verschuldungen wegen wurde er zerschlagen,
auf ihm lag die Strafe, die unserem Frieden
diente,
und durch seine Wunden haben wir Heilung erfahren.
7Er
wurde bedrängt,
und er ist gedemütigt worden,
seinen Mund aber hat er nicht aufgetan
wie ein Lamm, das zur Schlachtung gebracht wird,
und
wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt.
Und seinen Mund hat er nicht aufgetan.
Jesaja wußte noch nicht, wer die Person sein könnte, dieser Gottesknecht,, von welchem er dies schrieb. Es blieb 600 Jahre lang ein Rätsel. Dann erlebten Menschen Jesus in seiner Passion bis er am Tod am Kreuz starb: Er ist dieser leidende Gottesknecht. Gott selbst hat sich in diesen Gehorsam hineingegeben, so wie wir es in der Lesung aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus (Phil 2,5-11) gehört haben. Damit wir nun wirklich gewiß seien, daß er JA gesagt hat zu uns.
Es ist gewiß wahr, daß weiterhin Krankheit und Verlust zu unserem Leben gehören
und dann sowieso einmal der absolute Kontrollverlust im eigenen Tod.
Nun aber ist Gott selbst unser Bruder geworden. Er ist nicht ausgewichen vor
Leid und Kreuz. Er hat die Verzweiflung geteilt, sogar die Gottverlassenheit –
wir erinnern uns an Jesus am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“
(Matth 27,46) –
Er ist ganz solidarisch den Menschenweg gegangen auch durch das dunkle Tal, den
Tod. Er hat das Tor zum Leben aufgesprengt in der Auferstehung. Darum dürfen
wir, du und ich, ganz unverschämt daran festhalten, glauben und unverschämt
bekennen: Ja, ich fürchte kein Unglück, denn du bist bei mir
(Psalm 23,4). Ich
werde nicht verlieren, auch wenn ich hergeben muß. Ja, ich halte mich an dir
fest und gehe nicht verloren und werde nicht verlieren.
So wollen wir alles, was Gott uns anvertraut hat in unserem Leben – und das ist eine ganz steile Aussage – aber wir wollen es versuchen: Alles was Gott uns anvertraut hat, aus seiner Hand zu nehmen und in seine Hand zurücklegen und ihm anvertrauen und gewiß sein: Er wird es wohl machen (Psalm 37,5)
Amen
[i] Die historisch-kritische Forschung bringt eine Erklärung für diese Geschichte vom geplanten Erstlingsopfer: Abraham lebte vor über dreieinhalbtausend Jahren. Damals waren Menschenopfer selbstverständlich. Archäologische Ausgrabungen in Jerusalem haben Altäre mit menschlichen Knochen entdeckt, Menschen, die vor erst dreitausend Jahren dort im Feuer geopfert wurden… Die Geschichte von der durch Gott verhinderten Opferung Isaaks liefert die Begründung dafür, daß die Israeliten keine Menschenopfer mehr praktizieren durften.
Pfr. Mathias Rissi
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