Solange die Erde währt,
sollen nicht aufhören
Saat und Ernte, Frost und Hitze,
Sommer und Winter, Tag und Nacht.
 

Predigt in Schneisingen im ökumenischen Gottesdienst am Eidg. Dank- Buß- und Bettag 2018

Pfr. Mathias Rissi

Genesis 8,15-22

Da redete Gott zu Noah und sprach:
Geh aus der Arche, du und mit dir deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne. Und alle Tiere, die bei dir sind, alles Fleisch: die Vögel, das Vieh und alle Kriechtiere, die auf der Erde sich regen, die laß mit dir heraus, daß sie wimmeln auf der Erde und fruchtbar seien und sich mehren auf der Erde.
Da ging Noah hinaus, und mit ihm seine Söhne, seine Frau und die Frauen seiner Söhne. Auch alle Tiere, alle Kriechtiere und alle Vögel, alles, was auf der Erde sich regt, Art um Art gingen sie aus der Arche.
Und Noah baute dem HERRN einen Altar. Dann nahm er von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte Brandopfer dar auf dem Altar.
Und der HERR roch den beschwichtigenden Duft,
und der HERR sprach bei sich selbst:
Nie werde ich wieder die Erde verachten um des Menschen willen.
Denn das Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend an.
Und nie werde ich wieder schlagen, was da lebt, wie ich getan habe.
Solange die Erde währt,
    sollen nicht aufhören
Saat und Ernte, Frost und Hitze,
    Sommer und Winter, Tag und Nacht
.

Liebe Gemeinde

Während wir in diesem wunderschönen Gottesdienst mit der heimeligen Musik und der prächtigen Dekoration Erntedank feiern, zittern an anderen Orten unserer Erde Menschen und haben Angst vor der großen Flut. In Amerika und auf den Philippinen. Das Wasser bedroht das Leben, es gefährdet den Menschen und bedroht seine nackte Existenz. Ein bißchen haben wir dies im Wehntal erfahren als am 30. Mai dieses Mordsgewitter niederging: rund 70 l Wasser in nicht einmal einer halben Stunde und Hagel, den man noch am folgenden Tag mit den Schneepflügen wegräumen mußte. Damals entstand auf den Feldern großer Schaden: reißende Bäche schwemmten fruchtbare Ackererde ins Tal hinunter.

Seither so berichten mir Eltern aus unserer Gemeinde reagieren ihre Kinder ganz verängstigt, wenn ein Gewitter aufzieht, wenn die ersten Blitze zucken und der Donner rollt. Wir haben offensichtlich wieder einmal eine Lektion lernen müssen. Zu selbstverständlich sind Aussaat und Ernte geworden. In unserer durchgeplanten und strukturierten Welt haben Katastrophen eigentlich gar keinen Platz mehr. Sie treffen ja immer auch nur andere, normalerweise. Aber sie sind möglich. Und nach diesem sehr heißen und sehr trockenen Sommer wissen wir es. Die Meteorologen und Klimaforscher prophezeien es uns, ja, sie schlagen es uns um die Ohren, daß diese extremen Wetterlagen, die ausbleibenden Winter, die heißen Sommer mit den starken Unwettern künftig vermehrt und erst noch verstärkt auftreten werden. Das sind keine schönen Aussichten für meine fünf Enkel. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sie dereinst in die Schweizer Berge fahren und dort keine Gletscher mehr sehen werden.

Heute am Dank-, Buß- und Bettag feiern wir den Erntedank: So wie Noah nach der Flut Gott dankte, so danken wir Gott für die Ernte, daß unsere Arbeit trotz aller Gefahren nicht vergeblich war. Danken für Gesundheit. Dafür daß unsere Häuser noch stehen. Danken für den Frieden. – Wir wissen, daß dies alles nicht selbstverständlich ist, obwohl wir meist so tun »als ob«. Gewiß hängt der Erfolg auch von unserem Einsatz ab. Aber daß es gelingt, dazu braucht es Gottes Ja, Gottes Segen.
Wir danken Gott mit den glaubensvollen Liedern der Jodlermesse und mit unseren Gebeten.

Der Erntedank am heutigen Dank-, Buß- und Bettag hilft uns klarer und ehrlicher zu sehen. Ein Danktag ist eben auch ein Bußtag. Nun ja, kürzlich habe ich eine Buße »eingefangen«, als ich mein Motorrad in Zürich in einer Straße mit Fahrverbot abstellte. Wie kann man nur so blöd sein, denke ich jetzt auch. Solche Dummheit gehört natürlich gestraft. Das gab eine gesalzene Ordnungsbuße. Also den Betrag einzahlen – das tut ein bißchen weh, aber  die Sache ist damit erledigt.
Mit Buße im eigentlichen Sinne hat dies jedoch nichts zu tun. Am Bußtag müssen wir unangenehme Einsichten über uns selbst zur Sprache bringen.
Die Sintflutgeschichte bekennt: Wir Menschen sind selber schuld am Schlamassel im Kleinen wie im Großen.
Wir beklagen den Mangel an Wasser… Dabei wissen wir: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß der rücksichtslose Verbrauch der fossilen Energie mit dem CO2 in der Atmosphäre entscheidend das Klima auf der Erde beeinflußt. Und dennoch ist die menschliche Reaktion bloß halbherzig. In der Bibel steht die Geschichte von der Sintflut. Sie ist die Strafe Gottes für die gottlosen Menschen. Wir moderne Menschen brauchen Gott nicht mehr zum Strafen, wir besorgen das ja selbst. 
Es ist übrigens interessant, daß praktisch alle Kulturen auf der Erde eine solche Erzählung von einer Urflut kennen. Daß das Wasser den Menschen bis zum Halse steht und sie darin umkommen könnten, widerspiegelt eine Urangst. Und diese knüpft an erfahrene Fluten an.
Offenbar haben die Menschen zu allen Zeiten dafür das Gespür gehabt: Wir Menschen sind selber schuld am Schlamassel im Kleinen wie im Großen. Und an den Bußtagen haben sie Gott um Gnade gebeten.

Und damit komme ich zum dritten Teil, zum Bettag.
Die Sintflutgeschichte berichtet zum Schluß von Gottes Erbarmen. Der fromme Noah mit seiner Familie zusammen, war der einzige, der gerettet wurde, zusammen mit den Tieren, die bekanntlich nicht gut oder böse sind. (Hätte Gott Sie oder mich auch in die Arche befohlen? Er hätte wohl grund genug Grund für ein großes Stirnrunzeln gehabt.)
Nun treten Noah und die Tiere heraus in die neue Welt. Gott verheißt den Lebewesen seine Treue und einen Neuanfang: Sommer und Winter, Aussaat und Ernte sie sollen nie mehr aufhören. Gott wird die Erde nicht vernichten. Diese Botschaft finde ich heute wieder ganz entscheiden wichtig. Denn Gott spricht Klartext: er sagt, das Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend an. Diese Erkenntnis teilen wir mit Gott. Wie schon der Apostel Paulus sagt:  Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das treibe ich voran. (Römerbrief 7,19)

Dennoch sagt Gott ganz unzweideutig Ja zu uns Menschen, obwohl wir so sind wie wir sind. Dies ist die erste Liebeserklärung Gottes an die Menschheit im Alten Testament.

Ist das ein Freipaß? Der liebe Gott vergibt doch alles, also laßt es uns ausnützen? Ganz sicher nicht! In einer Ehe wäre es ein höchst riskantes Verhalten, die Liebe und Großherzigkeit des Partners dazu auszunutzen, sich unerhörte Freiheiten herauszunehmen, mit dem Hintergedanken: Der Partner vergibt ja sowieso. Und genauso ist es mit dem Volk, welchem diese Liebe Gottes zuerst galt, dem Volk Israel und dann dem neuen Volk Gottes zu dem wir auch gehören dürfen. Menschen, die sich Gott verbunden fühlten, war es seit jeher eine innere Verpflichtung, möglichst gut Gottes Willen zu erfüllen. Die Juden haben aus diesem Grund das mosaische Gesetz mit 613 Geboten und Verboten eingerichtet, um möglichst klar zu definieren, was der Spielraum der Menschen sei. Und sie haben mit heiligem Eifer und Ernst versucht, so perfekt nach Gottes Willen zu leben. Aber sie haben es wieder nicht geschafft.
Aber anders als bei der Sintflut heißt es nun nicht: Zurück auf Feld 1!

Gott hat sie nicht wieder mit einer Flut bestraft, sondern hat nachgedoppelt: denn Liebe hilft mehr als Strafen: In Jesus Christus ist Gott selbst zu den Menschen gekommen, um zu sagen, wie ernst es ihm damit ist, daß sein Bund gilt, trotz der Untreue der Menschen. Am deutlichsten zeigt das wohl die Stelle, wo Jesus wehrlos am Kreuz hängt und verspottet wird. Anstatt die Spötter zu verfluchen, betet er: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. (Lukas 23,34) Jesus betet nicht: 'Vater vergib ihnen, wenn es ihnen dann mal leid tut'. Nein, er betet: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun! Mit andern Worten: 'Vater, die stehen so neben den Schuhen, die sind völlig verloren, wenn du nicht dein vorausgehendes Erbarmen schenkst. Dieses überwältigende Erbarmen haben die Christen als Herausforderung angenommen und über den Weg des Lebens nachgedacht. Das Evangelium eröffnet uns einen andern Weg, als die Regeln und Verbote: Wir wollen nicht mehr Gottes Zuneigung verdienen, sondern aus Freude und Dankbarkeit über Gottes geschenkte Gnade wollen wir daran arbeiten, daß auch unser Leben und Tun Gott entspricht. Wir wollen ihn abbilden, so wie es im Anfang der Bibel bei der Schöpfung heißt: Und Gott schuf den Menschen als sein Bild (Genesis 1,27).  Der Mensch darf Gott abbilden, darf seine Liebe in seinen Taten abbilden. Er ist berufen, kreativ zu sein wie der Schöpfer, warmherzig zu sein wie Jesus Christus und befreiend wie Gottes Geist.

Offensichtlich stimmt das bei uns noch nicht ganz. Es könnte sein, daß Gottes Liebe etwas einseitig ist. Und eine einseitige Liebe ist immer etwas betrübliches – besonders für den Liebenden. Da wollen wir zurückkehren und den dritten Teil des Namens des Dank-, Buß-, und Bettags zu Hilfe nehmen. Wir wollen beten und Gott bitten, daß er uns empfänglich macht für seine Liebe, daß er uns empfänglich macht für seine Vergebung, daß er uns empfänglich dafür macht, in Freiheit und aus Freude Verantwortung zu übernehmen. Darum bitten, daß er uns hilft, ihm ähnlicher zu werden und die Schöpfung genau so zu lieben, wie er es tut.
Ich vertraue auf sein großes Herz, das das Trachten unseres Menschenherzens kennt und doch Tag für Tag und Jahr für Jahr seine Gnade schenkt.

Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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