Gottesdienst am 6. Dezember 2009 in der Kirche Meilen

2. Advent -  Pfr. Mathias Rissi  Jes 35,1ff

 

Liebe Gemeinde

Am heutigen Adventssonntag hören wir auf ein Wort des Propheten Jesaja. Er spricht zu seinem Volk im Babylonischen Exil. Es war verzweifelt. Das Exil erlebten die Israeliten wie eine schreckliche Durststrecke. Aber wie waren sie da hinein gekommen? Das kleine Volk hatte größenwahnsinnig geglaubt, den Konflikt der Weltmächte Babylon und Ägypten zu seinen Gunsten ausnützen zu können. Und war erbarmungslos besiegt worden. Und wie es damals gang und gäbe war, wurden die Oberschicht und die Handwerker abgeführt nach Babylon und die Heimat  mit Jerusalem lag in Schutt und Asche. An diese Menschen ohne Hoffnung richtet Jesaja folgende Gottesworte:

Wüste und trockenes Land werden sich freuen, und die Steppe wird jauchzen und blühen wie die Lilie. Üppig wird sie blühen und jauchzen, jauchzen und jubeln! Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr gegeben, die Pracht des Karmel und der Ebene von Scharon. Diese werden die Herrlichkeit des Herrn sehen, die Pracht unseres Gottes. Stärkt die schlaffen Hände und macht die weichen Knie stark! Sagt denen, die bestürzt sind: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes, er selbst kommt, um euch zu retten.  Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann wird der Lahme springen wie der Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln, denn in der Wüste brechen Wasser hervor und Flüsse in der Steppe.

Jesaja 35,1-6 

Liebe Gemeinde

Wunderbare Worte an Menschen, die in großer Not sind! Ihre Gegenwart gleicht einer Wüste: ausgetrocknet, dürr, keine Hoffnung auf Wasser, Leben oder Zukunft. Aber der Prophet weiß: Es kommt anders. Die große Heilstat Gottes steht bevor. Er wird die Steppe in einen Garten verwandeln. Die Menschen, deren Augen für die Hoffnung blind geworden und deren Glieder bleiern schwer gelähmt und deren Ohren taub sind für Zuspruch – sie werden das Wunder erfahren, daß Gott selber sich ihrer annimmt.

Diese starke Prophezeiung von Jesaja erfüllte sich schon zehn, zwanzig Jahre später für das Volk Israel: Um 536 v. Chr. war die dreißigjährige babylonische Gefangenschaft zu Ende und das Gottesvolk durfte glücklich heimkehren nach Jerusalem und in die judäische Heimat.

Die Prophezeiung war erfüllt. Was will man mehr! Man hätte die Prophetenworte nun beiseite legen können, aber sie haben weiter gelebt. Denn die Menschen erkannten: 'Trotz dem Ende des Exils leben wir nicht im Paradies. Das alte Jerusalem mit dem großartigen salomonischen Tempel ist unwiederbringlich Vergangenheit. Unabhängigkeitsträume wie zu Davids Zeiten sind völlig unrealistisch.' Sicher entsprach die Wirklichkeit nicht dem, was Jesaja verheißen hatte. So setzten sich die Prophetenworte in den Herzen der Menschen fest, daß Gott doch einmal komme und wirklich alles zum Guten wende.

Wenn wir Christen speziell im Advent diese Worte hören, denken unweigerlich an Johannes den Täufer, jene wichtige Adventsgestalt am Anfang des Neuen Testamentes. Er, der das Kommen des Messias und den Anbruch des Gottesreiches mit markigen Worten angekündigt hatte, er, der sich nicht scheute, die Mißstände im Königshause Herodes anzuprangern und Gottes Gerechtigkeit anzumahnen. Dann hatte ihn aber Herodes IV Antipas gefangengesetzt. Nun ist Jesus Christus zwar da, aber wo ist das Heil? Aus dem Gefängnis des Herodes läßt der Täufer Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll? Und Jesus läßt ihm mit den Worten von Jesaja ausrichten: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird das Evangelium verkündigt. (Matth 11,5) Solches geschah in Jesu Gegenwart. Das macht die inzwischen über 2½-tausend Jahre alte Verheißung des Jesaja auch für uns wieder ganz bedeutsam. Johannes’ Glauben war von Zweifeln geplagt, die Hoffnung dahin. Das mag uns dann trösten, wenn wir selber in Sorgen und Zweifeln sind – wir sind in bester Gesellschaft Johannes des Täufers und wissen uns ernst genommen im Zweifel und getröstet durch Jesus Christus.

Aber unser Fragen nach der Bedeutung von Jesaja 35 geht natürlich tiefer als bei Johannes, dem Täufer. Er rang in seiner Gefangenschaft mitten in der Verfolgung und hielt verzweifelt Ausschau nach einem Zeichen des Kommens des Gottesreiches. Schauen wir auch noch aus danach? Haben wir heute auch noch den Weitblick für das Gottesreich. Für uns ist es doch eine kirchliche Selbstverständlichkeit, daß Jesus da ist. Wir sind »kurzsichtig« geworden für die lebensspendende Wirklichkeit Gottes. Wir erwarten da herzlich wenig. Bei uns gilt: Die Worte des Jesaja gehören eben zum Glauben. Da erwarten die meisten  nicht viel.

Natürlich sind wir Kirchgänger und Glaubende uns dessen bewußt, daß der Advent nicht nur vom Kommen des Weihnachtsfestes spricht. Wer aber rechnet mit Gottes Wirken in unserer Mitte und seinem herrlichen Kommen in der Vollendung? Es ist doch so: Während wir die Adventslieder singen, bereiten die Zeitungs- und TV-Redaktionen die Jahresrückblicke vor. Und in drei Wochen ist auch das vorbei. In unserer abendländischen Kultur sind wir so ziemlich pessimistisch geworden. Wir erkennen, daß wir unsere großen Probleme selber verursacht haben und kaum die Kraft aufbringen, das Schlamassel zu beseitigen. Dazu hätte es nicht einmal das 20. Jahrhundert gebraucht, das uns gezeigt hat, wozu Menschen fähig sind. Das macht uns ziemlich illusionslos.
Heute zum Beispiel beginnt der Klimagipfel in Kopenhagen. Es ist überlebenswichtig, jetzt deutliche Entscheidungen zu fällen. Werden die Politiker das schaffen? Oder werden sie angst haben davor, weil sie fürchten, die nächste Wahl wegen unpopulären Entscheidungen zu verlieren. Das würde aber heißen, sie hätten Angst vor uns, weil wir nicht bereit wären weitsichtige Weichenstellungen mitzutragen. Das wäre dann ein schlechtes Zeugnis für uns.
Es kann aber auch sein, daß jemand heute in unserer Mitte sitzt und nicht an die große Verheißung denkt, weil im persönlichen Bereich eine Not im Vordergrund ist: die Sorge um einen Menschen, oder ein Streit in der Familie oder mit dem Partner, oder die Angst um Arbeit oder Gesundheit. Manchmal sieht das ja genau so verfahren und hoffnungslos aus.

Darum halten wir einmal fest:
Jesus ist gekommen. Jesus ist gekommen! Die Christen haben in ihm den menschgewordenen Gott erkennen dürfen, der sich so ganz mit dem Leben samt seiner Not solidarisiert hat. So eindeutig, daß jeder der seither den dreiundzwanzigsten Psalm liest: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. (Psalm 23,4) – der denkt unweigerlich an Jesus Christus, der dieser gute Hirt ist, der uns führt, wo sonst niemand mitkommt. Jesus ist gekommen.

Wir leben jetzt aber zweitausend Jahre später. Wir denken an die Gleichnisse, mit denen Jesus uns zur Wachsamkeit aufgerufen hat. Es geht uns wieder wie Israel nach dem Exil. Wir möchten wie Johannes Gewißheit bekommen und fragen: Das die doch noch nicht alles. Jesus, wann kommst Du ganz?
Und wieder wird Jesus Christus uns die Antwort geben: Schau auf die Zeichen! – Es ist nicht nichts!

Heinrich Böll war aus der katholischen Kirche ausgetreten und besuchte dennoch regelmäßig den Gottesdienst. Auf den Widerspruch hingewiesen meinte er, er sei ausgetreten, weil er das Unrecht, das die machtbesessene Kirche in 2000 Jahren verübt hatte, nicht ertragen könnte. Aber er möchte nicht wissen wie die Welt aussähe, in welcher in den vergangenen 2000 Jahren Christen nicht am Werk gewesen wären. Und Böll fährt fort: »Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. [...] Ich glaube an Christus, und ich glaube, daß [damals in den 50-er Jahren] 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser Erde verändern könnten.«

Ja, es ist wahr und die weitsichtigen Augen des Glaubens erkennen das Wirken Gottes, die Veränderung des Antlitzes der Erde in der Nächstenliebe, in den Heilungserfolgen der Medizin, in der Zuwendung zu den Armen, Hungrigen und Kranken. In praktischer Hilfe wir im freundlichen Zuspruch von Trost, Hoffnung und Glauben. Vieles, was Christen initiierten, hat im Abendland die Gesellschaft als Aufgabe übernommen. Dankbar erinnern wir uns an die Ursprünge im Handeln aus Glauben.
Die Vision vom Gottesreich mit Christus in der Mitte ist die Kraftquelle dieser Zeichen. Die Hoffnung, daß Gott – für uns übersteigt das jedes menschliche Verstehen – Eindeutigkeit in seiner Schöpfung schaffen wird, wie das letzte Buch der Bibel verheißt: Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein; denn was zuerst war, ist vergangen. (Offb 21,4)

Freilich, niemand von uns ist perfekt, und erst recht kann niemand von uns diese Vollendung von Leben und Heil bewirken, selbst wenn wir alle Kräfte zusammenspannten. Die Vollendung liegt in Christi Hand nicht in unserer. Aber wir feiern sie jetzt schon im Advent. Und mit den Augen des Glaubens sehen wir die Zeichen des Kommens und Wirkens Christi in unserer Mitte, in unseren Gedanken und Taten und in unserem Feiern, wenn wir als Gemeinde zusammenkommen – und Christus danken für die Zeichen, die er sogar durch Dich und mich geschehen läßt.

Amen

 

 

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