Gottesdienst am 29. März 2024 in Greifensee

Pfr. Mathias Rissi - Johannes 18,39

 

...und Pilatus sagte zum Volk (daußen vor dem Prätorium): Ich finde keine Schuld an ihm. 39Ihr seid es aber gewohnt, dass ich euch zum Passafest einen freigebe. Wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden freigebe? 40Da schrien sie wieder und wieder: Nicht diesen, sondern Barabas! Barabbas aber war ein Räuber. 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde

Welchen wollt ihr: den König der Juden, oder den Räuber Barabbas?   Einen könnt ihr haben, der andere ist verloren! Die Leute sind um ihre Entscheidung gefragt. Eine unbequeme Frage! Eine schlimme Frage! Kaum ist sie ausgesprochen, nähme man sie am liebsten wieder zurück. Sie ist unerbittlich.

Natürlich wissen wir alle, daß das Leben solche Entscheidungen von uns verlangt. Leben ist nicht einfach einsteigen in einen S-Bahnwagen, sich setzen und losfahren. Denn es müssen Weichen gestellt werden. Ungezählt sind die Möglichkeiten. Wir haben uns immer wieder neu zu entscheiden.

Auch hier müssen die Menschen entscheiden. Welchen wollt ihr? Das ist doch eine seltsame Frage: Kann man da noch wählen? Ist es denn nicht selbstverständlich, daß sie Jesus wählen? Es ist ja sonnenklar, für wen wir uns entscheiden würden. Oder finden Sie etwas Positives an Barabbas und würde ihn wählen? Barabbas war ein Räuber, um eines Mordes willen angeklagt und zum Tode verurteilt. – Jesus oder Barabbas! Welchen wollt ihr? Wir wüssten, wen wir wählen.

Und jetzt entscheidet dieses Volk andersherum! Warum nur verwirft das Volk Jesus und wählt Barabbas - das ganze Volk - gerade dieses Volk? Daß die Oberen mit ihren Interessen Jesus ablehnen, das war schon lange ausgemacht. Aber das Volk wäre ja eigentlich wohlgesonnen. Zugegeben, es ist massiv angestiftet worden zu dieser Wahl gegen Jesus. Daß die Hüter der religiösen Traditionen Jesus am liebsten tot sähen, das läßt sich noch vorstellen. Aber daß ein ganzes Volk sich am hellichten Tag vorspannen läßt vor die mörderischen Pläne dieser Machtclique, nicht wahr, das ist unheimlich! Wie konnte das geschehen? Daß wie bei einem Damm, der unvermittelt bricht, die zerstörerischen Wassermassen alles unter sich begraben?

Dabei sind doch unter diesem Volk die Väter und Mütter, deren Kinder Jesus gesegnet hat. Da sind die Brüder und Schwestern und Verwandten von jenen Ungezählten, die von Jesus soviel Gutes empfangen haben, denen Jesus geholfen hat aus Verzweiflung, Not, aus Krankheit und Ausgestoßensein. Unter diesen Menschen am Karfreitagmorgen sind gewiß viele, die Jesus fünf Tage vorher wegen der Auferweckung des Lazarus jubelnd empfangen haben mit Hosianna-Rufen. Und jetzt schreien sie: Kreuzige ihn! ??

Nun gibt aber die Bibel weitere Auskunft über Barabbas. Wir finden bei Matthäus ein Wort, das uns einen Schritt weiter führen kann im Verständnis dieser seltsamen Tatsache. Barabbas ist nämlich kein gewöhnlicher Mörder, sondern ein besonderer, ein »episämos«, ein berühmter. Barabbas ist in einem Aufruhr, bei dem es Tote gab geschnappt worden. Barabbas gehört zu jenen Kreisen, die gegen die fremden Eindringlinge, gegen die Römer eine Verschwörung machten, und mit allen Mitteln die römischen Besatzer aus dem Land hinauswerfen wollten. Barabbas ist ein politischer, ein berühmter Mörder. Sein Anschlag ist mißglückt. Solche Mörder werden sonst, wenn ihnen der Anschlag glückt, nicht Mörder genannt - die Bibel nennt ihn trotzdem so - die Völker aber nennen solche Männer Helden, nennen sie Retter des Landes. Man bekränzte sie mit Lorbeer und heute heftet man ihnen einen Orden an die Brust und baut ihnen ein Denkmal. In unserer Schweizergeschichte wird der Tell schließlich auch verehrt. Barabbas ist ein Mann der Selbsthilfe. Er will nicht einfach warten, sondern er verspricht Hilfe von unten herauf und setzt alles daran, diese Hilfe zu schaffen. Nicht ein Martin Luther King - Barabbas ist ein forscher Mann der Gewalt. Barabbas hat unsere Sympathie, unsere menschlich natürliche Sympathie, er macht nicht viele Worte, er hilft den Unterdrückten. Ihm schlägt unser Herz zu. Er ist Barabbas, das heißt wörtlich: "Sohn des Vaters". Stolz blickt der Vater auf ihn. Er ist der Lieblingssohn, ein Idol.

Nun steht neben Barabbas einer, der auch ein Sohn ist, auch Sohn seines Vaters, aber eines ganz anderen Vaters. Auch er ist ein Idol, aber nicht ein Idol dieser Welt, sondern des Himmels. Pilatus weiß gar nicht wir tief seine Worte greifen, wenn er sagt: Da seht den Menschen!  Wenn die Menschen das verstehen und ihn jetzt so sehen könnten: da steht Jesus. Er ist, was der Mensch seiner göttlichen Berufung nach sein könnte. So hatte Gott das gedacht, wls er die Menschen ins Leben rief. Der Mensch nach dem Bilde Gottes.

Auch Jesus ist gekommen, aber nicht von unten wie Barabbas, sondern von oben, von zuoberst herabgestiegen, ganz hinab. So tief hinab, daß wir es gar nicht fassen können. (Phil 2,5ff)

Welchen wollt ihr – den von unten oder den von oben? Jesus versucht nicht, sich zu retten. Er sagt kein Wort der Verteidigung, nichts! Er hätte reden können, sie wären verstummt! Er hätte beim Volk ums Leben flehen können. – Nein, Jesus Christus ist, was er ist, nicht von Volkes Gnaden, sondern von Gottes Gnaden. Er erbettelt seine Freiheit nicht vom Volk und nicht von Pilatus. Er hat gebetet: Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und nun geht er den Weg, den ihn der Vater führt. Er geht den Weg des Opfers. Den Weg, gegen den sich jede Faser in uns sträubt: den Weg des Gehorsams, den Weg ans Kreuz.  
Welchen wollt ihr von diesen zweien? Auflehnung oder Opfer, Selbstverwirklichung oder Gehorsam, duldendes Kreuz oder brutale Tüchtigkeit: Welchen wollt ihr: Jesus oder Barabbas?

Liebe Geschwister, wir erschrecken bei diesen Gedanken und uns wird klar, warum das Volk Jesus verwirft und den Barabbas wählt. Das hat nicht nur jenes Volk getan, das tun sie heute alle, zwar die einen mehr die andern weniger. Es ist nicht nur eine Entscheidung zwischen zwei Persönlichkeiten, sondern zwischen zwei Lebenshaltungen. Unsere Welt segelt heute unter der Flagge des Barabbas. Von klein auf in der Schule lernen wir uns zu behaupten, und zu bestehen. Bei der Arbeit bewährt sich die Barabbas Haltung. Wo es hart auf hart geht: in der Politik, zuhause, in der Arbeit, in der Ausbildung – immer gewinnt Barabbas.

Jesus oder Barabbas – eine unheimliche Wahl! Wenn je eine Wahl eine Qual war, dann sicher diese! Könnte man sie nicht bequemer machen? Wir könnten der Wahl aus dem Weg gehen und uns gut schweizerisch neutral erklären. Neutral sein, das hieße: sowohl als auch, eben beide, Jesus und Barabbas! Es ist immer die Versuchung der Menschen gewesen, beide haben zu wollen. Vielleicht hat man manchmal den Kompromiß so schließen wollen, indem Jesus für den inneren Bereich, die Frömmigkeit, und der tüchtige Barabbas für das Leben gegen außen gelten sollte. Wir wissen, wie dieser Kompromiß immer wieder Unheil über unsere Welt gebracht hat.

Ja, es ist vielleicht das harte Glück unserer Zeit, daß wir uns entscheiden müssen. Hart deshalb, weil die Herausforderungen unserer Zeit hart sind, wenn es um die Zukunft der Schöpfung geht – aber es ist auch etwas Herrliches, welche Zuversicht und Kraft von Jesus ausgeht.

Jesus oder Barabbas – das ist eine gewichtige Entscheidung. Darf man die von Menschen verlangen? Ist sie nicht zu radikal und schwer? Steht der Mensch nicht schrecklich verloren und allein in dieser Entscheidung? Nun, liebe Schwestern und Brüder, ist es aber Jesus Christus, für den wir uns entscheiden dürfen. An jenem Karfreitagmorgen hat er einmal sein Schweigen vor Pilatus gebrochen, als Pilatus fragte: Bist du der König? – Du sagst es!  Er ist König, König auch über Pilatus, König auch über Barabbas. Und dieser König hat uns gesucht, ehe wir ihn suchten - wie Jesus sagte: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.  (Joh 15,16)  - Er hat sich für uns entschieden, ehe wir uns entscheiden konnten. Und er steht heute nicht mehr gebunden vor Pilatus. »Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters«. Er zieht uns auch hinein in sein Reich. Nicht so, daß wir Gehorsam schwören müßten, sondern so, daß wir mit betenden Händen vor ihn treten können, weil es auf ihn letztlich ankommt. Welchen wollt ihr? – Nein umgekehrt: einer von beiden will euch. Für uns steht er vor Pilatus, geht er ans Kreuz in den Tod und durch den Tod, für uns ist er auferstanden von den Toten. Zu ihm dürfen und wollen wir uns bekennen. Und neues Leben und ganzes Leben empfangen. So wie wir es gestern abend im Lied gesungen haben: In Christus leben, in Christus sterben, in Christus auferstehen.

Amen

 

 

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