Der »ungläubige« Thomas , Joh 20,24ff      Das Thomasbekenntnis  Joh 20:19-29

 

Predigt in der Evang.-ref. Kirche Meilen
Sonntag Quasimodogeniti, 30. März 2008, Pfr. Mathias Rissi, Meilen   Gen 1,26-28

 Johannes 20,24-29  (alle Bibelzitate sind der Neuen Zürcher Bibel von 2007 entnommen)

24 Thomas aber, einer der Zwölf, der auch Didymus genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben. 26 Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, und er trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch! 27 Dann sagt er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus sagt zu ihm: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und doch glauben!  

 

Liebe Gemeinde

 

Der Volksmund weiß, wie man mit unglaublichen Geschichten umzugehen habe: »Wer’s glaubt, wird selig!« Denn »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« oder Neudeutsch: Controlling ist besser. Es ist immer gut, eine gesunde Portion Skepsis zu haben und nicht leichtgläubig  alles gleich für bare Münze zu nehmen. So begegnet uns auch Thomas. In der heutigen Welt wäre er ein Mensch mit besten Karriereaussichten. Er läßt sich nichts vormachen und will sich selber überzeugen.

Anderseits: Ohne Vertrauen kommt man nicht weit! Man muß doch einfach glauben! All diejenigen unter uns, die einmal den Schritt in eine Ehe gewagt haben, die wissen es: man kann nicht eine Ehe anfangen und sagen: ›Aber bevor wir heiraten, will ich den Beweis, daß die Liebe echt ist und ewig hält!‹ Nein, es geht nur, indem wir Vertrauen wagen. Und wir hoffen dann sogar, ein ganzes Leben damit gestalten zu können.

Und doch, ich verstehe Thomas. Bei der Auferstehung ist es schon noch anders. Ostern ringt uns eine übermenschliche Portion an Vertrauen ab. Daß Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, das ist ohne Beispiel in der Geschichte. Und die Fakten, mit denen Thomas konfrontiert wurde, sind alles andere als eindeutig: Jesu Grab war leer am Ostermorgen, das war wohl wirklich so, denn darin stimmen sowohl die Aussagen der drei Marien und der Jünger genau so wie die Aussagen der Gegner Jesu überein. Aber wie das leere Grab zu verstehen sei: Da sprechen die Jünger von Auferstehung, die Gegner von Leichenraub. Und erst die Aussagen von Menschen, die sagen, Jesus sei ihnen begegnet,  die klingen nicht vertrauenserweckend, wenn sie sagen, sie hätten ihn teilweise aber erst im zweiten Anlauf erkannt. Da verstehe ich Thomas, wenn er sagt: Ich glaube es erst, wenn ich es selber sehe! Niemand wird es bestreiten: die Auferstehung sprengt den Horizont des menschlichen Verstandes – und das wird auch nach dem Amen dieser Predigt noch so sein: Auferstehung ist nicht zu verstehen.

Das Befreiende am heutigen Schriftwort ist: der Herr läßt den Thomas mit seiner Skepsis nicht links liegen. Genau eine Woche nach Ostern, wieder am Sonntag geschieht es: Und Thomas muß erfahren, daß Je­sus ihm Wort für Wort zugehört hat. So unsichtbar die Ewigkeit ist, so nah ist sie uns. Thomas muß keine lange Erklärungen abgeben. Ohne Umschweife kommt Je­sus auf Thomas zu. Die Geschichte von Thomas spricht uns ganz direkt an: Gib es zu, du suchst diese Sicherheit, du willst sie haben, du willst Gewißheit haben, und du zwei­felst! Aber er kommt zu dir, er zeigt sich dir. Dem ungläubigen Thomas zeigt der Auferstandene seine Hände und Wundmale. Er sieht, das reicht. Thomas glaubt jetzt auch. Thomas wollte berühren. Ich vermute, daß allein schon das Sehen ihn überwältigt hat.[1]

Das Gespräch zwischen Thomas und Jesus wickelt sich im Telegrammstil ab. Thomas’ Antwort zeugt von Überwältigung: Mein Herr und mein Gott! Worauf Jesus sagt: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Und es ist als ob er durch den Thomas hindurch schaut durch 2000 Jahre hin bis zu uns, wenn er sagt: Selig, die nicht mehr sehen und doch glauben!

Thomas ist das Bindeglied zwischen den Jüngern damals und uns heute. Dieses nicht sehen und doch glauben konnte bisher 2000 Jahre überdauern – wer ist in dieser Zeit nicht alles gekommen und gegangen – aber dieser Glaube hat Völkerstürme und Kulturen überlebt.

Zu uns sagt Jesus: Selig, die nicht mehr sehen und glauben!    »Selig« ist ein sehr altertümliches Wort. In den »modernen« Bibel-Übersetzungen der 80-er Jahre hatte es  weichen müssen[2]. Die Neue Zürcherübersetzung von 2007 ist wieder zum »Selig« zurückgekehrt (Matth. 5,3-12). Freude und Glück ist eben nicht genug! Die Iraker haben Glück, daß sie soviel Erdöl im Boden haben. Sind sie glücklich? Es ginge ihnen besser, wenn sie weniger, oder am besten, wenn sie gar kein Öl hätten, denn um Sand werden keine Kriege geführt.

Das Thomasbekenntnis: Mein Herr und mein Gott!  ist der Prüfstein. Findet man bei uns nur seichtes, billiges Durchschnittschristentum, das den Glauben nicht kennt, der Berge versetzt und der eine Welt überwindende Kraft hat? Eine Religion, deren Sprachregelung von Nächstenliebe spricht und die eine hochstehende Ethik kennt, aber die Auferstehung reduziert sich auf die Liebe, die irgendwie ja doch noch eventuell stärker sein könnte als der Tod. Das klingt ja schön, entspricht aber nicht dem österlichen Klartext der Bibel.

Mir kommt unsere Christlichkeit manchmal vor, wie wenn ein Autofahrer Wasser in den Benzintank schütten würde. Die Benzinuhr zeigt zwar wieder voll an. Aber ein Auto mit Wasser im Benzintank fährt nicht mehr lange und fährt nicht gut. Da stottert der Motor bald, und man bleibt auf der Strecke.

Kann da die Angst vor den Minaretten noch jemand erstaunen?[3] Wenn der Glaube keine Kraft hat, dann ist die Kirche eben auch nur ein Kulturverein. Dann ist das Christentum eine Religion unter anderen. Vielleicht zwar eine sehr gute, hochstehende. Wir denken an die Menschenrechte, die ihre Werte aus dem Neuen Testament beziehen[4], z.B. die Gleichwertigkeit der Menschen unabhängig von Geschlecht, Rasse und Stand. Wenn aber der Glaube keine Kraft hat, dann bleibt nur eine »Ideologie« zurück, die abgelöst werden könnte. Dann steht im christlichen Abendland die Religion zur Disposition.

Der Theologe Karl Barth – Sie wissen, daß ich auf ihn hohe Stücke halte – er hat ja unglaublich kompliziert geschrieben, nicht nur ein paar Aufsätze, sondern gleich meterweise im Büchergestell. Aber eine Sache hat er mit letzter Deutlichkeit festgehalten, wenn er für einmal ganz einfach von Glauben im Unterschied zu Religion sprach.

Religion ist das uralte Bemühen der Menschen im Leben zu bestehen. Was haben sich die Menschen nicht alles ausgedacht und auferlegt. So entstanden wertvolle, kunstvolle Religionen, mit denen sich die Menschen bemühen, Gott näher zu kommen – immer jedoch blieb die ungute Ahnung: Ich schaffe es ja nie im Leben, Gott zu erreichen. Aber Glaube ist etwas ganz anderes: Glaube ist Vertrauen auf Gott, der die Menschen erreicht hat. Thomas sagt: Mein Herr und mein Gott! Denn hier geht es um alles oder nichts! Sind wir religiös oder glauben wir? Ohne den Auferstandenen wären wir eben auch nur Angehörige einer Religion, einer hochstehenden, ethischen zwar, aber genau so auch einer fragwürdigen und verdorbenen, denn was ist nicht alles im Namen der christlichen Religion verbrochen worden.

Religionen und Ideologien kommen gerne mit Vorschriften und Verboten daher. Verbote haben aber selten etwas genützt, das zeigen sowohl unsere Lebenserfahrung wie auch ein Blick in die Weltgeschichte. Wer den Minaretten etwas entgegensetzen will, muß mehr haben, als ein zur Kultur erstarrtes Christentum. Das ist zuwenig.

Nein! Nein! und nochmals Nein! Es geht genau und zu allererst und überhaupt um das eine, daß der ungläubige Thomas sich dem Auferstandenen unterwirft und ausliefert: Mein Herr und mein Gott – Du bist der Herr meines Lebens und der Welt!

Glaube, der Glaube an Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen ist Seligkeit, Freude und Friede.

Sie erinnern sich an die Volksweisheit am Anfang der Predigt: ›Wer’s glaubt wird selig‹? – Jesus hat es dem Thomas und uns anders gesagt. Und wir nehmen es gerne in Anspruch. Jawoll: Wer’s glaubt, ist selig!

Amen


 


[1] Es fällt im Text an Jesu Antwort auf: Du glaubst, weil du mich gesehen hast.

[2] z.B. in der »Guten Nachricht« in den Seligpreisungen: »Freuen dürfen sich…«

[3] in der Schweiz ist ein Volksbegehren zustande gekommen, das verlangt, ein Minarett-Verbot in der Verfassungen festzuschreiben.

[4] auch wenn die Kirche sie lange Zeit unterdrückt und ihre Macht mißbraucht hat.

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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