Warum lässt Gott das zu?    
Die Heilung des Blindgeborenen   Johannes 9,1-7

Predigt von Pfr. Mathias Rissi in Niederweningen
im Neuen Abendgottesdienst am 27. September 2014 - (gegenüber der mündlichen schweizerdeutschen Fassung stark gestrafft)

 

Liebe Gemeinde

Heute haben wir uns eine der schwierigsten Fragen vorgenommen. Um es gleich vorneweg zu sagen: es gibt keine letzte gültige Antwort auf diese Fragen - und mit billigen Lösungen wollen wir uns nicht abgeben. Aber es ist doch einiges sagbar.
Wir alle wissen um schlimmes Leid und haben wahrscheinlich auch schon welches erfahren. Ich war vor fünf Wochen an der Beerdigung des 31-jährigen Sohnes von lieben Freunden. Ein hoffungsvoller junger Mann, Cevi-Leiter, beliebt, tüchtig – gedankenlos verunfallt, er ist gestorben und hat es wohl nicht einmal bemerkt. Ein furchtbarer Verlust für alle. Ich sage: Auch für Gott. Wie kann Gott auf einen wie ihn verzichten. Warum lässt Gott das zu?

Öfter habe ich den Eindruck: Ausgerechnet ernsthafte Menschen und im Glauben verwurzelte trifft es am meisten!
Die Frechen und Gemeinen liegen an der Sonne und ihr Unrecht zahlt sich aus!
Versagt Gott? Oder gilt das alte Bibelwort: Der Herr züchtigt, die er lieb hat? Das kann's doch nicht sein!
Oder der gut gemeinte Rat: Es wird schon für etwas gut sein! Nein, herzlos ist das! Sowieso in diesem Augenblick. Vielleicht kann jemand im Rückblick das dann so sagen - aber nicht mitten im Elend und in der Anfechtung.

Wichtig ist mir zunächst eine feine Unterscheidung: oft wird Gott zum Schuldigen gemacht, wo menschliche Schuldige sich verdrücken wollen...
Es gibt Leid genug, an dem die Betroffenen selbst schuld sind. Tragisch ist es gleichwohl.
Es gibt Leid, das die einen verursacht haben und andere müssen es »ausbaden«
Wir fragen ja so gern nach den Schuldigen (am liebsten, solange es nicht wir selbst sind).
Aber in genug andern Fällen bleibt die Frage: Wer ist schuld? Warum muss ich das erleiden?

Schon im Alten Testament hat die Frage nach Gottes Gerechtigkeit die Israeliten beschäftigt. Ihre Antwort finden wir im Buch Hiob. Hiob ist das Paradebeispiel eines ohne erkennbaren Sinn Leidenden. Nachdem alle drei erwachsenen Kinder gestorben sind, sagt er: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt!   (Hiob 1,21)
Hiob führt uns zu einer ersten Antwort: Welches Recht habe ich denn, von Gott Rechenschaft zu verlangen? Denn wer sind wir schon? Wissen wir denn wirklich, was gut und was schlecht ist? Mussten wir nicht öfter erleben, dass war wir für gut hielten sich später als schlecht entpuppte. Und umgekehrt, dass Gott auch »auf krummen Zeilen gerade schreibt?« Unsere Einteilung in gut und böse, richtig und falsch ist so subjektiv und im Moment gefasst und gefangen.
Eine zweite Antwort gibt unser Verstand.
Wenn Gott nur das Gute zuließe, dann wären wir Marionetten. Liebe braucht Freiheit. Wenn Gott uns ihm ähnlich, d.h. ihm entsprechend schaffte, dann gab er uns damit die Freiheit, ihn zu lieben, oder uns von ihm anzuwenden. Offenbar wollte er, dass wir Ja aber auch Nein sagen können. Damit ist die Möglichkeit Fehler zu machen da.

Was tut Hiob, da er keine Antwort weiß? Er wendet sich an Gott.
Er vertraut auf Gott – das ist ein Strohhalm – nur ein Strohhalm, aber immerhin.
Es kann sein, dass Du diese Fragen »Warum? Warum ich? Wozu?« ein ganzes Leben lang mit dir herumschleppst und keine Antwort findest. Und auch trotz alles Glaubens keinen göttlichen, tieferen Sinn in einem Schicksalsschlag entdecken kannst. – Das kann sein...
Dann bist Du entweder ein armer Tropf oder du kannst mit Paulus sagen: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten dient. (Römer 8,28) und das trägt dich trotz allem. Aber ist das alles?

So wenden wir uns der Geschichte in Johannes 9,1-7 zu. Da ist etwas, wie ein dunkler Fluch: Der Ärmste ist blind geboren. Typisch menschlich kommt gleich die Frage: Wer ist schuld? Er selbst? Seine Eltern? Und auf die Frage der Jünger gibt Jesus eine uner­wartete Antwort: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.
So etwas hat der Blinde zuvor sicher noch nie gehört. Der gesunden Menschenverstand sagt: Die Behinderung ist eine Last und was Jesus sagt ist eine Zumutung. Tatsächlich eine blanke Zumutung: Ausgerechnet dieser Blinde soll Zeugnis werden für Gottes Herrlichkeit
Wenn das stimmte, dann gäbe es kein Geschöpf, an dem das nicht auch möglich wäre. Also wenn jemand sich fragt: Wozu lebe ich noch – ich mag nicht mehr… so soll er das hören, was der Blinde hörte: Du bist dazu da, dass die Werke Gottes an dir, ausgerechnet an dir, offenbar werden! - Es kann sehr wohl sein, dass ich es nicht verstehe, jetzt nicht, vielleicht mein ganzes Leben lang nicht - aber die Verheißung bleibt!
Gott will dieser von Mutterleib an blinden Menschheit seine Geduld und Güte zeigen
Jesus Christus ist dazu da, dass die Werke Gottes an ihm, offenbar werden! Jesus sagt es rätselhaft: Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Wir denken dabei unweigerlich an die Zeit zwischen Karfreitag und Ostern. Aber jetzt ist Tag, jetzt leuchtet sein Licht.

Also schauen wir auf Christus! An ihm werden die Werke Gottes offenbar. Allerdings ganz rätselhaft, denn Gott wird Mensch. Er ist so ganz anders, als die Götter der Antike: die sind imprägniert, sie sind immun gegen alles Leid. Sie »lustwandeln« unter den Menschen. Sobald es Zoff gibt, belohnen und bestrafen sie im Schnellverfahren und dann verduften sie in den Olymp, um sich göttlichem Zeitvertreib hinzugeben. Nicht so der Gott der Heiligen Schrift.
Aber auch nicht wie in den östlichen Religionen. Bei allem Respekt vor den großen ethischen und meditativen Leistungen: Gott schafft nicht eine Religion, die die Menschen leidenschaftslos werden lässt, wie es das Ziel des Buddhismus ist. Ganz im Gegenteil: Jesus ist die Mensch gewordene Leidenschaft Gottes für die Menschen.
Paulus ist sich dieser unglaublichen Aussage noch ganz bewusst, wenn er schreibt: Während die Juden Zeichen fordern und die Griechen Weisheit suchen, verkündigen wir Christus den Gekreuzigten - für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit,
und er fährt fort: für die aber, die berufen sind, Juden wie Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Denn Gott ist ganz bei den Menschen, in Jesus ist er ganz Mensch: Freut sich mit den Fröhlichen, weint mit den Traurigen und leidet Spott und Schmerzen bis zum Tod am Karfreitag.
Das ist Gottes Antwort auf die Frage Warum: Gott selbst ist da! Leidet mit! Stell Dir das vor! Er ist da bei Dir! Er hat selbst Warum? geschrieen: »Warum hast du mich verlassen?« Gott ist ganz da. Er hat ausgehalten und führt uns hindurch und weiter: Die österliche Auferstehung und die Gabe des heiligen Geistes zu Pfingsten weisen dann einen neuen Weg: Gott schenkt Heil.

Dies jedoch ist keine Vertröstung auf die noch ausstehende Vollendung der Gottesherrschaft. Hier im Johannesevangelium demonstriert es Jesus: Zum Heil kommt die Heilung.
Die ist zwar etwas peinlich und unappetitlich. Jesus spuckt auf den Boden und rührt mit Spucke und Staub eine schmierige Paste an und streicht sie dem Blinden in die Augen: Geh, wasch dich am Teich Shiloah. Der Blinde muss nicht eine Spezialklinik aufsuchen oder einen Superdoktor, sondern nur sich waschen gehen. Er gehorcht – und wird sehend. Will Jesus hier daran erinnern, dass wir alle Staub sind, oder spielt er darauf an, dass Gott auch mit Speichel und Staub große Dinge tun kann? Es bleibt eben dabei: wir sind in Verlegenheit, wenn Gott unter uns wirkt.
Das ist heute doch genau so: Der Arzt verschreibt einem irgend so eine Pille, man schluckt sie – und sie wirkt! Das kleine Ding! Wir sagen dann gerne, der Arzt habe die richtige Therapie verschrieben. Es ist uns unangenehm, zu sagen: der Herr hat den Arzt das richtige Mitteil finden lassen und mich geheilt.

Zum Schluss der Geschichte (Verse 35-38) gibt der Geheilte Gott die Ehre. Nachdem Jesus sich ihm zu erkennen gegeben hat, fällt er vor Jesus auf die Knie und bekennt: Ich glaube, Herr… Er ist nicht mehr ein dem Schicksal Ausgelieferter, als Vertrauender ist er frei!
Hoffentlich finden auch Du und ich so »den Rank« zu Lob und Dank!

Amen

Pfr. Mathias Rissi

 

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