Lukas 19,1-6  der Oberzöllner Zachäus - Predigt Pfr. Mathias Rissi Ge

28. Oktober 2012 In der Fridolinskapelle Siglistorf

Liebe Gemeinde

Der Oberzöllner Zachäus, ein alter Bekannter, hat wieder einmal bei mir angeklopft. Es geht Ihnen aber gewiß gleich wie mir. Es ist gar nicht so einfach eine solch altbekannte Geschichte wieder ganz neu zu sehen und zu hören. Da kommt mir ein Spitalbesuch in den Sinn. Die Patientin öffnete die Nachttischschublade. Sie war voll von Medikamenten. Und die Patientin erkläre mir, der Arzt habe angeordnet, daß sie all die Medikamente, die sie von zuhause mitgebracht habe, versorgen solle. Er möchte ganz neu und unbeeinflußt an ihr Problem herangehen. Das wollen wir nun auch mit unserm bekannten Bibelwort zusammen versuchen.

Da heißt es also im zweiten Vers: Und da war ein Mann. Es könnte auch heißen: da war eine Frau. Die Geschichte spielt in Jericho. Wir könnten also weiterfahren und sagen, die Geschichte spielt in Siglistorf an der Straße nach Fisibach. Dabei bleibt es in unserem Bericht nicht einfach bei der allgemeinen Bemerkung: Und da war ein Mann oder eine Frau. Der Mann hat einen Namen. So wie wir, Sie und ich einen Namen haben. Es geht also ganz persönlich um diesen Mann, der Zachäus hieß. Und es geht heute Morgen ganz persönlich um Sie und um mich, auch wenn wir jetzt nicht alle unsere Namen aufzählen können. Gott will uns begegnen.
Aber dabei gab es ein Problem. Zachäus wollte Jesus sehen, aber er konnte es nicht, wegen des Gedränges. Nun, dieses Problem haben wir nicht – leider,  könnte man sagen. Das war einmal anders – in meine Jugendzeit. Die Balgristkirche war Sonntag für Sonntag so voll, daß man den angebauten Saal öffnen mußte… Es waren wohl die Jahrzehnte nach dem Schrecken des zweiten Weltkriegs, in denen die Menschen in die Kirche drängten. Warum gab es in Jericho auf den Strassen ein Gedränge? Unser Bericht sagt klar, weil Jesus durch Jericho zog. Von diesem Jesus hatte man allerhand Erstaunliches gehört, darum wollte man die Gelegenheit benützen, ihn einmal persönlich zu sehen. Man wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Ja. Und wie ist das heute? Warum ist in der Kirche kein Gedränge? Wissen heute etwa alle wirklich, wer Jesus ist? Oder ist es der andere unheimliche Grund: daß Jesus vielleicht in unsern Gottesdiensten nicht vorbeikommt. Das wäre besonders traurig.

Und nun berichtet Lukas also, daß es über den Mann, der Jesus unbedingt sehen wollte, einiges zu sagen gibt: Einmal, daß der einen Namen hatte. Ein Mann, der Zachäus hieß, es heißt sogar noch weiter: der war Oberzöllner und sehr reich. Aus zeitgenössischen Quellen wissen wir, daß der Zöllnerberuf kein gutes Ansehen hatte im Volk. Einmal weil sie als Zollbeamten ja der römischen Besatzungsmacht dienten. Und offensichtlich wußten die damaligen Zöllner, ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit und Anstand, wie man mit Erfolg zu Geld kommt. Sie waren wohl rechte Abzocker. Sein Name Zachäus muß im Volk geklungen haben wie ein schlechter Witz: Denn die Leute werden im Namen Zachäus kommt das Hebräische »rein« herausgehört haben: Der Herr »Rein« oder von »der Herr gedenkt«.

Nun ist aber zu vermuten, daß er trotz all seines Geldes ein armer Mann war. Er suchte das Glück. Und das war ihm so wichtig, daß ihm die öffentliche Meinung egal war, wenn er als feiner Herr wie ein Schuljunge auf einen Maulbeerfeigenbaum kletterte. Ich stelle ihn mir eben nicht nur klein vor, sondern vielleicht auch etwas verfressen. Egal – Lukas sagt: er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Was war denn so wichtig?

Bei Lukas finden wir keinen Hinweis darauf, was dieser Zachäus genau suchte. Schade! Es wäre doch interessant und sogar hilfreich, wenn etwa berichtet würde, wie dieser Zachäus, von Gewissensbissen geplagt wurde, so daß er sich ruhelos die ganze Nacht im Bett herumwälzte und den Schlaf nicht finden konnte. Oder wenn Lukas erzählen würde, wie Zachäus einen Bekannten getroffen hätte, der ihm ganz wunderbar verändert erschien und daß der ihm berichtete, wie eine Begegnung mit Jesus sein Leben verändert habe. Aber nichts von alledem steht in unserm Bericht.

Aber dieser Mangel ist wohl kein Zufall. Es ist ja gut und nötig, daß Zachäus Jesus unbedingt suchen will. Es ist ja gut und nötig, daß wir zum Gottesdienst kommen, um Jesus zu finden. Aber das, worauf es ankommt wird dann berichtet, es heißt: Als Jesus an die Stelle kam, schaute er nach oben und sagte zu ihm: Zachäus, los, komm herunter, denn heute muß ich in deinem Haus einkehren. Jesus sagt: ich muß. Zachäus hat sich vielleicht im Blätterwerk des Maulbeerfeigenbaums versteckt, aber Jesus sieht ihn! Und Jesus sagt: ich muß! Lukas berichtet: Und er kam nach Jericho und zog durch die Stadt. Jesus will hier gar nicht verweilen, er hat ein anderes Ziel. Wir wissen es. Jesus will schließlich nach Jerusalem gelangen und dort zum Kreuz, wo er für die Menschen sterben wird zur Erlösung der Menschen, damit sie Leben! Aber eben, das ist nun die große Frage: Brauchen und wollen wir diese Erlösung wirklich? Oder ist das heutzutage ein Angebot ohne Nachfrage.

Der vor Jahren verstorbene deutsche Jugendpfarrer Wilhelm Busch, dessen Buch über Jesus heute noch gern gelesen wird, hat in einer Predigt versucht zu zeigen, wie wichtig das, was Zachäus suchte, für ihn und für uns ist. Busch erzählt in einer Predigt über diesen Text, wie er am 11. März 1945 nach einem vernichtenden Fliegerangriff auf Essen im Ruhrgebiet, wo er ein Jugendhaus hatte, zu seinem Jugendhaus geeilt sei, weil er wusste, daß sich eine Menge Jugendlicher im kritischen Augenblick im Haus befand. Er stieg über alle Trümmer auf der Strasse zu seinem Jugendhaus. Ein grauenvoller Anblick, die Häuser rings herum eingestürzt. Die Türe des Jugendhauses bis an den oberen Rand zugeschüttet. Ihm bebte das Herz, ob noch jemand lebte. Ringsum war alles still. Und dann sah er auf einmal zwischen dem oberen Rand der Türe und dem Schutthaufen eine Hand hervorkommen. Und dann erschien ein Kopf. Dazu gehörte ein unversehrter Junge, der schrie: Herr Pfarrer, wir leben alle! Ein unvergeßliches Bild, sagt Busch, wie ein verschütteter Mensch ans Licht drang. Gerade darum ging es bei Zachäus. Gerade darum geht es eigentlich auch bei uns heute Morgen. Verschüttete Menschen gelangen ans Licht! An das einzige Licht, an das Licht, das Jesus der Sohn Gottes, unser Erlöser ausstrahlt. Wir bitten Gott, daß er uns das auch heute Morgen wieder schenkt, daß wir alle sagen dürfen: Ich lebe mit der Gnade meines Herrn Jesus Christus.

Aber vielleicht denkt jetzt jemand: Wenn ich etwa höre wie jemand berichtet, wie wunderbar glücklich er war, als er die Erlösung durch Jesus erkannte – muß ich eine furchtbare Sünde begehen und ein großer Sünder sein, um auch ein solch erhebendes Gefühl der Erlösung zu erfahren. – Aber da müssen wir uns keine Mühe geben, es geht eben gerade nicht um ein Gefühl, auch nicht um unsere Schuldgefühle. Das Entscheidende ist eben nicht von Zachäus abhängig, sondern einzig und allein davon, daß Jesus sagt heute muß ich in deinem Haus einkehren. Ich weiß schon, die Geschichte hat eine Fortsetzung: Zachäus bekennt Jesus seine Fehler und will doppelt und vierfach entschädigen, wem er Unrecht getan hatte. Zachäus hat also seine Situation erkannt und wird sich ändern – aber das kommt erst. Das ist keine Bedingung, sondern eine Folge des neuen Lebens.

Und das geschah bei jenem Ast des Maulbeerfeigenbaums am Straßenrand von Jericho. Können wir uns vielleicht vorstellen, wie das war, wenn Zachäus später einmal mit einem Besuch durch die Strassen von Jericho spazierte. Und wenn er dann an jenem Maulbeerfeigenbaum vorbeikam. Wie er dann stillstand und auf den großen Ast zeigte und glücklich sagte: Da oben, da habe ich das wichtigste Erlebnis meines Leben gemacht, da hat mich Jesus gefunden! Wie ist das bei Ihnen? Ich kenne viele Menschen, die dankbar und fröhlich von ihrem Leben erzählt haben, die auch im Schweren einen guten Mut bewahrt haben. Menschen, die sich mit großem Engagement für andere und für die Schöpfung und für Frieden eingesetzt haben. Woher rührt ihre Zuversicht? Oft war es das: daß sie entdeckt haben, daß Jesus Christus sie gefunden hat.
Vielleicht war es so plötzlich und überwältigend wie bei Zachäus auf dem Ast des Maulbeerfeigenbaumes. Welchen »Maulbeerfeigenbaumast« würdest Du, liebe Gemeinde, zeigen? Die einen könnten sich ganz gewiß an ein solches einschneidendes Erlebnis erinnern. Bei andern ist es ein Weg über viele Stationen: Es sind vielleicht die Eltern, die Dir den Glauben vorgelebt haben, der Unterricht, in dem Dir Gott näher gekommen ist, eine Gesprächsgruppe – und irgendwann war es Dir dann klar, daß Christus Dich gefunden hat. … Ich hoffe natürlich, daß auch die Kirchenbank am Sonntagmorgen ein solcher Maulbeerfeigenbaum ist, wo Menschen aufgeht, daß Christus uns gefunden hat, so daß es auch von uns heißen kann: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.
Amen

Pfr. Mathias Rissi

 

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Evang.-ref. Kirchgemeinde Niederweningen