Das Gleichnis vom neuen Kleid

Gottesdienst in Meilen ZH am  2. August 2009

Lukas 5,36-39  -  Pfr. Mathias Rissi  

 

Das neue Kleid

Er gab ihnen auch ein Gleichnis: Niemand schneidet einen Flicken von einem neuen Mantel ab und setzt ihn auf einen alten Mantel, sonst ist der neue zerschnitten, und zum alten paßt das Stück vom neuen nicht. Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche, sonst zerreißt der neue Wein die Schläuche und läuft aus, und die Schläuche sind dahin. Nein, neuen Wein muß man in neue Schläuche füllen! – Und niemand, der alten trinkt, will neuen, denn er sagt: Der alte ist gut.

Luk.5, 36–39

 

Liebe Gemeinde

In ihren 1. August-Ansprachen stimmen die verschiedensten Redner darin überein: Es müsse etwas neu werden. Wir  hätten überbordet und müssten »mit neuem Elan zu neuen Zielen aufbrechen!« meinte etwa der Bundespräsident. Da hat er gewiss recht! Das gilt ja nicht nur für Politik, Wirtschaft und Ökologie. Auch die Kirche soll neu werden. Erinnern Sie sich noch an das »reformiert.« vor ein paar Wochen. Da war links zu lesen: »Die Kirche am Ende«. Angeführt waren allerlei Gründe für das Schrumpfen der Kirche. Auf der rechten Seite stand ebenso fett gedruckt: »Am Ende die Kirche«. Dort wurde dann berichtet wie in unsern Tagen das Interesse an der Kirche doch, besonders bei jungen Menschen, wieder zunehme. Aber auch bei den Politikern scheint die Kirche wieder beliebter zu sein.
Ob es darum geht, Minarette zuzulassen oder zu verhindern, ob es um die Wiederherstellung der abendländischen Werte geht – da kommt manchem Politiker doch die gute alte Kirche wieder in den Sinn. Die eben doch besser gegen religiösen Fanatismus gewappnet ist, als der kämpferische Islamismus. Das christliche Abendland  soll verteidigt werden. So hat aus Angst vor dem Islam mancher Zeitgenosse auch die Kirche wieder entdeckt. –  Ich freue mich auch, wenn ein Politiker die christliche Ethik gut findet. Ich freue mich besonders, dass unsere Jugendlichen im Unterricht sehr positiv zum christlichen Glauben eingestellt sind. Stellen Sie sich vor: Auf der Heimfahrt vom Konflager im Zug hat mich eine Konfirmandin gebeten, mich zu ihnen zu setzen und nochmals eine Geschichte aus der Bibel zu erzählen, weil sie die
message (d.h. die Botschaft) herausfinden möchten. Und dann wollten sie auch nochmals zwischen Basel und Zürich ein Abendmahl feiern, wenn nötig auch mit Pommes-Chips und Cola…. Das hat sich sehr zum Positiven geändert in den vergangenen 20 Jahren.

Aber das Problem der Zukunft der Kirche liegt natürlich viel tiefer als in der Frage wie populär die Kirche gerade ist. Vor Jahrzehnten schon, als die Kirchen noch voll waren, hat der bekannte Pfarrer Hermann Kutter auf der Neumünsterkanzel das Problem der Kirche auf den Punkt gebracht. Er sagte damals: »Das Problem der Kirche ist, dass wir aus dem Evangelium von Jesus Christus eine landläufige Religion gemacht haben.« Vor lauter Christentum höre man den Heiland nicht mehr. Christus habe nie gesagt: Ich bin die Gewohnheit, er habe gesagt: Ich bin die Wahrheit. Wir haben der Kirche Jesu Christi ein altes Kleid angezogen. Es ist ein schönes Kleid, unsere Kirche wirkt edel, gepflegt. Wir geben uns Mühe, möglichst keine Fehler zu machen und über alle Zweifel erhaben zu sein. Aber das ist genau das Problem der Religion. Sie geht nicht mehr unter die Haut. Sie ist nur noch Kultur. Glaube ist etwas anderes, Glaube geht unter die Haut. Martin Luther hat bekanntlich einmal sogar das gefährliche Wort gesagt: Sündige tapfer, dann lernst du auch, was Vergebung ist. Wir könnten das ergänzen und sagen: Zweifle tapfer, dann erfährst du was Gnade ist.

Vor unserem Predigtwort steht im Lukasevangelium, wie Jesus den Zöllner Levi beruft. Die damalige jüdische Gesellschaft hasste die Zöllner. Die kollaborierten bekanntlich mit den römischen, also heidnischen Besatzern. Und punkto Unrecht und Gemeinheit stand es bei den Zöllnern ja wirklich meist ganz schlimm. Jedermann wusste, dass Zöllner Geldmenschen waren.  Aber gerade einer aus dieser Sorte wurde nun von Christus in die Nachfolge gerufen. Erstaunt stellen wir fest, dass Jesus ihm nicht eine Moralpredigt hält. Er sagt nicht: Mein lieber Levi, so geht das nicht weiter, du musst dir Mühe geben ein rechter Mensch zu werden. Da wird nichts geflickt - da wird neu gemacht! Lukas berichtet ganz einfach: Danach ging er hinaus und sah einen Zöllner mit Namen Levi am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir! Und der liess alles zurück, stand auf und folgte ihm. Und dann geht er hin und lädt eine grosse Zahl von Zöllnern und anderen Versagern zu Tisch, um sein neues Leben in einem Fest zu feiern.

Die unüberhörbare, köstliche Botschaft unseres Bibelwortes heisst also: Wo Christus auftritt, wird etwas neu! Das ist eine Tatsache, die uns aufhorchen lassen muss. Neu, das wäre ja fantastisch! Wir leben doch wahrhaftig in einer abgestandenen Welt. Es müßte anders werden! Neue Gesichter müssen her: Ist es nicht unglaublich, welche übermenschlichen Erwartungen auf den amerikanischen Präsidenten Barack Obama projiziert werden? Da ist so viel Hoffnung. Aber kaum gewählt wurden gleich die Stimmen laut, jetzt müßten auch Taten folgen. Ja, wir leben in einer Welt in der viel geflickt wird, in der Politik und jetzt leider erst recht in der Wirtschaft und selbst der neue Cisalpino kommt von Anfang an nicht ohne Flicken aus. Und dann bleibt am Ende alles beim Alten. Wir wollen ehrlich sein und gestehen, dass es in unserm Leben ja auch immer wieder so ist. Und dabei spüren wir doch alle, dass es jetzt einen wirklichen Neuanfang braucht.

Wir brauchen ein neues Kleid. Wie hat Jesus gesagt?: Niemand schneidet einen Flicken von einem neuen Mantel ab und setzt ihn auf einen alten Mantel, sonst ist der neue zerschnitten, und zum alten passt das Stück vom neuen nicht. Was Jesus mit dem neuen Kleid meint, durchzieht das ganze Neue Testament. Christus macht einen für uns Menschen sehr guten Tausch: Er übernimmt unsere alte Wäsche und schenkt statt dessen das neue Leben voller Gnade. Nikolaus von Zinzendorf hat es so gesagt: Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck- und Ehrenkleid. Paulus spricht Klartext, wenn er im Römer 13,14 sagt: Zieht vielmehr den Herrn Jesus Christus an. Oder im Kolosserbrief 3,9f: Ihr habt doch den alten Menschen mit all seinem Tun abgelegt und den neuen Menschen angezogen, der zur Erkenntnis erneuert wird nach dem Bild seines Schöpfers. Und in der Offenbarung wird berichtet, wie die Menschen, die angetan sind mit weissen Kleidern Eingang in die Ewigkeit finden. Am schönsten ist es zu hören, wie der verlorene Sohn bei seiner Heimkehr ein neues Kleid geschenkt bekommt.

Noch klarer wird Jesus dann im Bild von den alten und neuen Schläuchen. In seiner Zeit wurde der Wein nicht in Barrique ausgebaut und in Glasflaschen oder Tankwagen transportiert wie bei uns heute, sondern eben in aus Tierhaut hergestellten Schläuchen. Und der junge Wein muss bekanntlich gären, um reif zu werden. Der Gärprozess kann alte Schläuche zum Platzen bringen und dann geht alles verloren. Fest steht: wo Jesus in ein Leben tritt, da beginnt ein neues Leben. Wir sind gefragt, wie steht das bei uns? Wir glauben vielleicht schon seit vielen Jahren. Ist das Gewohnheit geworden, landläufige Religion? Oder ist etwas neu geworden. Ist es das neue Kleid, das die Kirche trägt?

Die Sache mit dem neuen Kleid ist ja nicht ungefährlich. Wir wissen alle, dass das neue Kleid auch zu einem Deckmantel werden kann. Ich habe einmal gelesen, auf der indonesischen Insel Nias hätten die Holländer den Eingeborenen das Evangelium verkündet und der ganze Stamm hatte sich taufen lassen. Um der Bevölkerung zu helfen, wurde eine neue Strasse durch den Urwald gebaut. Innert kurzer Zeit sei die Strasse aber mit einem Zickzackpfad ausgetrampelt gewesen Die Eingeborenen waren gewohnt im Zickzack durch den Urwald zu gehen. So gingen sie eben auf der neuen breiten Strasse weiter im alten Zickzack. Es wäre doch ein Jammer wenn wir in den Lumpen des alten Kleides weiterleben würden.

Ja, es ist gar nicht so einfach, selbst wenn wir der Liebe Gottes ganz gewiss sind. In Gottes Gerechtigkeit das Leben zu gestalten ist nochmals eine ganz andere Sache: Mit den manchmal mühsamen lieben Mitmenschen: zum Beispiel den Kindern, dem Ehepartner, den Mitarbeitenden… und wohl am meisten wir selber mit uns selbst! –  Aber nun gilt auch da die befreiende Botschaft, dass Christi Blut und Gerechtigkeit unser Schmuck und Ehrenkleid ist. Dass er uns mit allen unsern Fehlern trägt. Wir alle leben davon, dass er uns nicht nur einmal, sondern täglich wieder neu, das neue Kleid schenkt. Die meisten von uns glauben ja seit vielen Jahren und wissen ungefähr, was er uns sagen will. Aber das ist Gewohnheit und Jesus will jeden Tag neu mit uns reden. Wir können nur bitten. Herr Jesus, wecke uns immer wieder auf. Lass uns ganz neu auf dich hören. Du bist ja auch heute unter uns. Das, was Lukas von Levi  berichtet hat, das gilt auch uns heute. Er sieht uns und sagt uns neu das erlösende Wort: Folge mir nach! Herr, hilf uns, dass wir auch heute Morgen, angetan mit dem geschenkten neuen Kleid Deiner Gnade aufstehen und Dir nachfolgen.

Jesus sagt dann noch einen letzten Satz, der das Gleichnis gerade umkehrt. Denn nun vergleicht er das neue Kleid mit dem alten Wein und sagt: Und niemand, der alten trinkt, will neuen, denn er sagt: Der alte ist gut. Wer einmal Gottes Gnade und Liebe hat schmecken dürfen, der müsste ja dumm sein, wenn er etwas anderes begehrte. Bei Jesus sein ist doch das Wunderbarste, was uns passieren durfte. Jesus ist nicht umsonst gestorben. Wir dürfen sagen: Herr, wir glauben. Wir haben zwar immer wieder geflickt, aber Du gibst uns das neue Kleid. Wir können dafür nur von Herzen danken und uns immer wieder am neuen Gnadenkleid freuen.

Können Sie sich noch daran erinnern, wie das war, als Sie einmal ein besonders schönes gut sitzendes Kleid gekauft hatten? Wie Sie da vor dem Spiegel standen und das neue Kleid von allen Seiten betrachteten? Genauso, nein, noch viel mehr freuen wir uns doch am neuen Gnadenkleid. Diese unsere Freude und Dankbarkeit wird ausstrahlen auf die christliche Gemeinde, die ja aus lauter neu eingekleideten Menschen besteht.

Um zum Schluss nochmals auf das Wort aus dem Kirchenboten zurückzukommen, das wir am Anfang erwähnt haben, das Wort von der Zukunft der Kirche. Dazu zitiere ich ein Wort von Martin Luther. Er hat das neue Kleid der Gnade für sich und die Gemeinde annehmen dürfen und er sagt einmal: Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachkommen werden es auch nicht sein; sondern der ist’s gewesen, ist’s noch,  und wird’s sein, der sagt; Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende. 

Amen

Pfr. Mathias Rissi

 

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