Predigt am 9. Juli  2017

Lukas 8,40ff -  Die Auferweckung der Tochter des Jaïrus -  Pfr. Mathias Rissi   Jes 53,3-5

 

 

Als Jesus zurückkehrte, empfing ihn viel Volk; sie hatten nämlich alle auf ihn gewartet. Da kam ein Mann mit Namen Jaïrus, der war Vorsteher der Synagoge. Er fiel Jesus zu Füssen und bat ihn, in sein Haus zu kommen. Denn er hatte eine einzige Tochter von etwa zwölf Jahren, und die lag im Sterben. Als Jesus hinging, erdrückten ihn die Leute beinahe.
dazwischen wird geschildert, wie Jesus durch die blutflüssige Frau aufgehalten wird
...
Noch während er redet, kommt einer aus dem Haus des Synagogenvorstehers und sagt: Deine Tochter ist gestorben! Bemühe den Meister nicht weiter! Als Jesus das hörte, antwortete er ihm: Fürchte dich nicht, glaube nur, und sie wird gerettet werden! Er ging ins Haus und ließ niemanden mit sich hinein außer Petrus und Johannes und Jakobus und den Vater des Kindes und die Mutter. Alle weinten und klagten um sie. Er aber sprach: Weint nicht! Sie ist nicht gestorben, sie schläft. Da lachten sie ihn aus, weil sie wußten, daß sie gestorben war. Er aber ergriff ihre Hand und rief: Kind, steh auf! Da kehrte ihr Geist zurück, und sogleich stand sie auf. Und er befahl, man solle ihr zu essen geben.     
Lukas 8,40-42;49-55

 

Liebe Gemeinde

Fürchte dich nicht, glaube nur! Das ist ein mächtiges Wort, das Jesus hier in die hoffnungslose Situation hineinstellt. Kein anderes Wort haben wir heute nötiger, als das: Fürchte dich nicht, glaube nur! Wir persönlich und für unsere Welt.

Wir brauchen den, der so etwas sagen kann. Der uns an der Hand nehmen kann, so wie Jesus dieses Mädchen an der Hand genommen und ins Leben gerufen hat. Ich erinnere mich an den Chemiker mit dem ich zusammen in einem militärischen Wintergebirgskurs war. Tagsüber durften wir mit Ski und Fellen die schönsten Touren machen, abends hatten wir lange Zeit für Gespräche. Er sagte mir: »Ich finde die Bibel das spannendste Buch, habe es auch schon oft gelesen und das Christentum die beste Religion. Aber ich bin Atheist. Ich kann nicht glauben. Ich muss da allein durch. Du kannst glauben, du kannst beten! Darum beneide ich Dich!« - Ja, wir sind wirklich zu beneiden, - ist uns das bewußt? Wir können beten,  wir können uns an Christus wenden, der uns an der Hand nimmt.

Wir, die ganze Welt, wir sind in der Jaïrussituation. Sein Kind lag todkrank darnieder. Er hatte wohl schon alle Ärzte zu Hilfe gerufen, aber nun musste er alle menschliche Hoffnung aufgeben. Nach den Berichten der Evangelien scheint er zunächst geahnt zu haben, dass es zu Ende sei, bevor er es sicher wusste. Gewißheit bringen dann seine Diener: Deine Tochter ist gestorben! Bemühe den Meister nicht weiter!  Gewiß erinnern sie sich auch an solche Momente, wo wir das Verderben über uns oder über uns liebe Menschen hereinbrechen sahen. Aber genau so wahr wie alle persönlichen Erfahrungen ist heute die Tatsache, dass unsere ganze Zeit und unsere ganze  Welt unter solch schweren Drohungen steht: Wir schlagen die Zeitung auf, Radio und Fernsehen bringen es: Auf Schritt und Tritt begegne ich Menschen, die erschüttert sind: von den Schattenseiten der Globalisierung, von Bürgerkrieg, Drohung mit koreanischen Raketen, der Hunger, von der Zunahme der Brutalität und dem Verlust Zivilcourage und von der menschengemachten Klimaveränderung. Es kann heute kein Zweifel mehr daran sein: Die Entwicklung treibt dunkeln Möglichkeiten entgegen. Einen Teil werden wir ausbaden, aber dann unsere Kinder!

In der Bibel heissen solche Stürme und Zusammenbrüche »Gerichte«. Damit ist gemeint, dass sie nicht von ungefähr kommen, sondern gleichsam die reifen Früchte eines verhängnisvollen Wachstums sind, sozusagen Rechnungsabschlüsse, wie sie nun einmal gemacht werden müssen. Aber die Gerichte Gottes sind nicht durchschaubar oder eins zu eins anrechenbar. Wer heute arbeitslos ist, hat ja auch nicht zuvor Millionen abgezockt. Jesus selber hat, wenn er auf solche dunkeln Schicksale stiess, diese Betroffenen als im Todesschatten dieser Welt stehende angesehen, als Menschen, denen er zu Hilfe eilt, über denen er die grosse Barmherzigkeit eines neuen Tages Gottes anzeigte. Und nun gilt dies eben auch für die Gerichte, die über die Völkerwelt hereinbrechen.

Wir ernten heute die bitteren Früchte, die schon zur Zeit unserer Vorfahren und erst recht in unserer eigenen Gegenwart herangereift sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir müssen zugeben, dass wir unsern Wohlstand auf Kosten von Millionen hungernder und hoffnungsloser Menschen geniessen. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten 60 Jahren immer mehr vom Glauben entfernt. Die Kirchen sind leer geworden. Der moderne Mensch meint Gott nicht mehr nötig zu haben, weil er sich alles, was er braucht, kaufen könne. Und das Hauptproblem: Gierig war der Mensch schon immer! Aber das Maß, diese Gier auszuleben ist global und zur globalen Gefahr geworden.

Auch in der Geschichte des Volkes Israel hat es Augenblicke gegeben, wo Propheten, nach vielen vergeblichen Warnungen sagen mussten: Es ist zu spät! Nun kommt, was kommen muss, und niemand kann es aufhalten. Ich bin kein Prophet, aber manchmal denke ich, es könnte auch für unsere Gesellschaft zu spät sein. 1996 erschien das Buch »The clash of civilisations« – »der Kampf der Kulturen«. Heute wissen wir, daß das nur ein kleiner Ausschnitt unserer Probleme ist. Ich bin versucht den Titel zu ändern in »The crash of civilisation«. Der Zusammenbruch unserer Gesellschaft.

In unserer Geschichte wird also erzählt, wie die Leute kommen, und sagen: Es ist zu spät, bemühe den Meister nicht weiter! – Zu spät!  Nämlich für alle menschlichen Versuche dem kommenden Unheil zu wehren. Wie es für Jaïrus zu spät war, um sein Kind durch bessere Ärzte, neue medizinische Mittel, am Leben zu erhalten. Ich denke, dass unsere Gesellschaft heute eine ganz grosse Chance hat, umzukehren. Heute ist es so, dass sogar die Philosophen diese Botschaft verbreiten: »Du mußt dein Leben ändern« so lautet der Titel des Bestsellers von Peter Sloterdijk – eine Botschaft, die man sich in der Kirche fast nicht mehr zu sagen traute. Eine Botschaft, die die Kirche aber nie hätte verschweigen dürfen!
Es müsste doch eigentlich der Letzte erkennen, dass es mit eigener Kraft nicht weitergehen kann, und dass wir umkehren müssen zur Quelle des Lebens. Wenn irgendwann, dann ist es doch heute die Stunde, da Gott uns eine neue Erweckung schenken müsste. Jaïrus hat erkannt, wie spät es war. Er hat sich Jesus vor die Füße geworfen.

Diese Demut brauchen wir. Weg von allem falschen Stolz, weg von aller Einbildung auf unsere gutbürgerliche Bravheit oder unsere Christlichkeit. Jaïrus war demütig und mutig zugleich. Ist es Ihnen auch aufgefallen: Seit Monaten haben unzählige Spezialisten und Fachleute ihre Interviews gegeben. An Analysen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Probleme fehlt es heute nicht. Und das ist ja gut so, aber Analysen allein helfen wenig. Zur Umkehr brauchen wir den Mut! Wir brauchen die Wendung, die von oben von Gott her kommen muss. Daran fehlt es. Es fehlt an der Erkenntnis Gottes, der im Kreuz und in der Auferstehung seines Sohnes längst schon an uns gehandelt hat.

Aber das ist offensichtlich gar nicht so einfach. Es ist damals dem Jaïrus, der als Synagogenvorsteher einer der angesehensten und klügsten Männer von Kapernaum war sicher nicht leicht gefallen, zu kapitulieren: Das grösste Hindernis für eine neue Hoffnung sind die Flötenbläser und Klageweiber, die männlichen und die weiblichen. So sollen wir nicht jammern über unsere Welt, aber dafür treuer beten, dass Gott sie durch unsere Umkehr zu ihm segnet. Wir meinen nun damit nicht einfach die andern. Es geht uns alle an.

Auch für uns ist es nie zu spät.  Jesus bringt die Hoffnung in das Trauerhaus des Jaïrus. Jesus bringt die Hoffnung in das Trauerhaus unserer Welt und Ihres und meines Lebens.
Er aber ergriff ihre Hand und rief: Kind, steh auf!  Da kehrte ihr Geist zurück, und sogleich stand sie auf.

Sehen Sie, liebe Gemeinde, das ist unsre Hoffnung, dass die Bedrohungen unserer Zivilisation, dass diese Tage des Erschreckens doch ein neues Suchen nach Gott erwecken können. Dass wir alle ganz neu erkennen, dass wir ohne Christus verloren sind. Mit Christus aber Gerettete. Im Blick auf die Weltgeschichte und im Blick auf unsere Zukunft, bis dorthin, wo unsere letzte irdische Stunde zur ersten Stunde der Herrlichkeit Gottes werden darf, weil Christus für uns gestorben und auferstanden ist.

Ganz besonders gefällt mir, dass unser Bericht dann mit einem wunderbar unerbaulichen prosaischen Satz endet: Und er befahl, man solle ihr zu essen geben. Beim Essen da sind wir wieder ganz dem Leben zugewandt! Wir können da an den berühmten Luther zugeschriebenen Satz denken: » Wenn ich wüßte, daß morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.« Gerade weil wir uns von Jesus an der Hand nehmen lassen, aufs Neue und ganz   –    gerade darum dürfen wir unsern Alltag ganz natürlich aus seiner Hand nehmen. AMEN

Pfr. Mathias Rissi

 

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