29. März 2020 - Passionspredigt  Markus 14,53-65                Predigt hören

 

Sonntag »Judika«, 29. März 2020 - Pfarrer Mathias Rissi

 

 

Im Garten Getsemani

 

Und sie kommen an einen Ort, der Getsemani heißt. Und er sagt zu seinen Jüngern: Bleibt hier sitzen, solange ich bete. Und er nahm Petrus und Jakobus und Johannes mit sich, und er begann zu zittern und zu zagen. Und er sagt zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt, bleibt hier und wacht! Und er ging ein paar Schritte weiter, fiel zu Boden und betete, daß, wenn es möglich sei, die Stunde an ihm vorübergehe. Und er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst. Und er kommt zurück und findet sie schlafend. Und er sagt zu Petrus: Simon, du schläfst? Vermochtest du nicht eine Stunde wach zu bleiben? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt! Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach. Und wieder ging er weg und betete mit denselben Worten. Und wieder kam er zurück und fand sie schlafend, denn die Augen waren ihnen schwer geworden, und sie wußten nicht, was sie ihm antworten sollten. Und er kommt zum dritten Mal und sagt zu ihnen: Schlaft nur weiter und ruht euch aus! Genug, die Stunde ist gekommen, jetzt wird der Menschensohn in die Hände von Sündern ausgeliefert. Steht auf, laßt uns gehen! Seht, der mich ausliefert, ist da.
Markus 14,32-42

 

Liebe Gemeinde

Am heutigen Sonntag wollen wir zuerst dies festhalten: Gott kennt den Garten Getsemani. Gott weiß um die Verzweiflung und die Einsamkeit, die sich unser bemächtigen kann: Von Jesus heißt es er begann zu zittern und zu zagen. – Da ist gar nichts mehr von Souveränität und göttlicher Allmacht zu spüren.
Am letzten Abend in seinem Leben, nach dem Abendmahl nimmt er drei seiner vertrauten Jünger mit und offenbart ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt  – der Weg ist vorgezeichnet, das Kreuz unausweichlich!

Wie ganz anders wurde uns der griechische Philosoph Sokrates in seiner Todesstunde geschildert[1] – 399 vor Christus war er vom Athener Staat wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden. Völlig ungerührt soll er den Giftbecher mit dem bitteren Trank der Schierlingspflanze in die Hand genommen und leer getrunken haben. Sein letztes Wort, er schulde Asklepios, dem Gott der Heilkunst, noch einen Hahn – diese Opfer sollten nun seine Freunde für ihn bringen – Welch erhabene Geste.

Bei Jesus ist nichts davon zu spüren. Im Gegenteil: Nackte Verzweiflung bemächtigt sich seiner. In Jesus Christus ist Gott ganz bei uns angekommen, er ist ganz unten. Jetzt braucht er die Hilfe seiner Freunde: Meine Seele ist zu Tode betrübt, bleibt hier und wacht!  Sie sollten Jesus beistehen.
Er hatte es doch gewußt und angekündigt: Ihr werdet alle zu Fall kommen
[2] - nicht nur Judas, auch Petrus und hier die drei. Jesus behält recht. Die Jünger schlafen ein. Sind sie müde? Sind sie vielleicht eher im Vertrauen auf Jesus erlahmt, wenn er nicht »zieht«?
Was gibt es im Garten Getsemani noch zu wachen und zu hoffen? Das Schicksal ist doch vorgegeben, wir Menschen sind sterblich. Für Jesus ist der Weg mit letzter Klarheit vorgezeichnet. Kompromißlos ist er auf die tödliche Abrechnung zugesteuert. Die Jünger schicken sich drein. Dabei hatte eben beim Abendmahl Jesus Christus ihnen Leben, den unverbrüchlichen Bund und Heil und Rettung verheißen.
Jetzt geht es auf Biegen und Brechen um alles. Der ganze Glaube und Gottes Verheißungen stehen auf dem Spiel. Da sollen sie Jesus unterstützen. Jesus ringt mit dem Willen Gottes: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst.

In diesen Ausnahmewochen und am heutigen Sonntag ist uns bewußt, daß Jesu Gebet das Gebet von vielen Menschen ist: Laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Wie oft wurde und wird es gebetet in Krankheit, bei einer beängstigenden Diagnose, in Sorge um nahe Menschen, in Not, ja heute sind es die Menschen rings um die ganze Erde, die hoffen, daß der Corona-Kelch vorübergehe.

Und Jesus betet genau so, wie wir Menschen das tun. Hier ist er »wahrer Mensch«. So haben sie im dritten Jahrhundert gesagt, als sie versuchten das Geheimnis Jesus Christi in Worte zu fassen. Einerseits ist er »wahrer Gott«, eben ganz anders als wir: bei Jesus Christus erfahren die Menschen die Gegenwart Gottes. Anderseits und ganz paradox ist er »wahrer Mensch«, also ausgeliefert und machtlos. Dies wird faßbar in seiner Bitte, daß die Stunde, der Kelch vorübergehe. Jesus ist anders als die Götter der Religionen: Wenn Menschen sich Gedanken über Gott machen, dann paßt das nicht zusammen: Gott und Angst, Gott und Leiden, Gott und Tod. Die Götter der Religionen kneifen jeweils, wenn es brenzlig wird. Aber Jesus kneift nicht, er ist am Ende, in tiefster Not, verzweifelt: Wo ist Gott? Ist er nicht allmächtig? Könnte er es nicht auch anders wollen und machen?
So beten wir doch auch: Gott, mach es, so wie wir es gerne haben möchten. So dichtet Matthias Claudius im wunderbaren Abendlied
[3]: »Verschon uns Gott mit Strafen und laß uns ruhig schlafen…«  Danach sehnen wir uns.

In unserer Ohnmacht – wie ist uns Jesus doch so nahe! Hier in der Tiefe des Lebens wird schonungslos offenbar, daß alle stolze Selbstbehauptung jetzt versagt. Das gern gesagte »Hilf dir selbst« und die Ärmel hochgekrempelt – es versagt und verpufft.
Hätte Jesus es nicht anders machen können? Gewiß, er hätte es nicht nötig gehabt, er hätte nur für sich schauen können. Er hätte nicht Leib und Leben für die andern einsetzen müssen – Warum macht er das durch? – Es geht eben in Getsemani um mehr als das Schicksal eines Einzelnen. Es geht um das Werk der göttlichen Gnade. Das kann nicht geschehen, wenn nicht die Gnade Gottes gesucht wird im Gebet. In der Bewegung des Gebets, in welcher sich der Mensch Gott anbefiehlt und zur Verfügung stellt. Jesus geht den Weg mitten durch Verzweiflung und Trotz. Daran hängt für uns alles, daß Jesus diesen Weg gegangen ist, gebetet hat und jetzt noch betet.

Wacht und betet Aber die Jünger schlafen ein – Deutlicher könnte die Symbolkraft nicht sein: Wir können nicht einmal auf unseren Glauben bauen!
Paulus hat das erkannt, wenn er sagt: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!
[4]

Es gibt viele Menschen, die bilden sich etwas auf ihren Glauben ein. Als könne Gott stolz sein auf sie und ihnen für ihren Glauben gleichsam auf die Schulter klopfen. Ein schöner Glaube!  der in der Bewährungsprobe einfach einschläft… So zeigt es sich im Garten Getsemani, daß der Glaube nicht unsere Leistung ist.
Wir bekennen etwa, daß Christus »für uns« diesen Weg gegangen sei. Wenn es etwas gibt, das dieses »für uns« Christi zeigt, dann ist es das Getsemani-Geschehen. Was Jesus da tut, das hat gar keine Entsprechung im Leben der Glaubenden. Sie konnten nicht einmal  eine Stunde mit ihm wachen. Aber er – er  allein – hat an unserer Stelle gebetet und gewacht.
Mit Karfreitag und Ostern hat er den Tod entmachtet und dem Leben zum Durchbruch verholfen.
Von da aus bekommt unser Wachen und Beten einen neuen Sinn. Die Rollen sind seit der Auferstehung vertauscht: Er wacht und er betet mit und für uns.

Wachen und beten heute – die Kirchen in der Schweiz ermuntern, ein Zeichen der Hoffnung zu setzen und jeden Donnerstagabend um acht eine brennende Kerze am Fenster zu plazieren und zu beten. Als Zeichen der Verbundenheit mit all jenen, die am Virus erkrankt sind, im Gesundheitswesen arbeiten und in der Isolation zu vereinsamen drohen.

Wachet und betet – So laßt uns beten:

Herr, Jesus Christus, wir danken dir für deine Treue, für dein Gebet für uns. Du hast für uns durchgehalten und durchgerungen.
Wir bitten um Deinen Segen:
Um Kraft für unser Leben, da wo wir nicht ein noch aus wissen,
dafür, daß wir uns Dir anvertrauen: nicht wie wir wollen, sondern, wie du willst.
Wir bitten dich für alle, die jetzt in großer Sorge sind um ihre Gesundheit, daß sie Hilfe erfahren und nicht in Verzweiflung geraten, sondern deine Gegenwart und deinen Trost erfahren.
Für alle, die in dieser Seuchenzeit nicht arbeiten dürfen und in Existenznot geraten, daß sie nicht vergessen gehen.
Für das verwöhnte, vergeßliche Menschengeschlecht, das momentan wieder durchbuchstabieren lernt, daß unseren Möglichkeiten enge Grenzen gesetzt sind. Lehre uns teilen und füreinander schauen und unser Leben neu auf dem Fundament deiner Liebe entdecken.
Du hast uns durch Kreuz und Auferstehung verheißen, daß du uns über alles Verstehen und menschliche Können mit deiner Gnade, mit deinem Segen und mit ewigem Leben beschenkst – Laß uns darin die große Zuversicht für die kleinen und großen Herausforderungen und für unser Leben überhaupt gewinnen und, wo wir schwach sind, da tritt Du selber unermüdlich für uns ein. Wir loben und preisen dich.
Amen


 

[1] In Platons Dialog »Phaidon«

[2] Markus 14, 27

[3] Der Mond ist aufgegangen RG 599

[4] 1. Korintherbrief 1,29+31 und 2. Korintherbrief 10,17

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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