Das Gleichnis vom Senfkorn – Matthäus 13,31-32
Predigt gehalten am 3. Okt 2020 in Rorbas
Liebe Gemeinde
Wie heißt es so schön auf englisch: small is beautyfull,
klein ist fein.
Das paßt gut zu uns Schweizern, die in der Kleinheit Jahrhunderte in der weiten
Welt überlebt haben. Klein und "gwehrig". Die vergangenen Jahre haben auch die
Wirtschaft gelehrt, daß die Riesenbanken gefährlich sind. Kleiner scheint
besser.
Aber wirkt nicht Kleinheit manchmal auch beängstigend? Diese
Frage wird die Menschen damals umgetrieben haben, so wie sie auch für uns
aktuell ist: Wo spielt der christliche Glaube noch eine Rolle in der
Gesellschaft. Längst haben andere die Führungsrolle beansprucht und andere
Wertsysteme eingeführt anstelle der christlichen Nächstenliebe und Tugenden.
Und ganz persönlich, wenn sie in die vergangene Woche zurückblicken: welche
Rolle hat Gott in ihrem Leben da gespielt? Wäre alles nicht genau herausgekommen
ohne ihn, ohne Bibel und ohne Gebete?
Natürlich stellen wir fest, dass die gesellschaftliche
Bedeutung der Kirche immer kleiner geworden ist. Aber wir müssen uns ehrlich
fragen, was denn in unseren Tagen abgenommen hat? Und da müssen wir doch sagen,
es ist nicht die Zahl der gläubigen Menschen, sondern vielmehr die Zahl der
Mitläufer. Solange die Kirche die gesellschaftliche Hauptströmung war, da war
»man« einfach dabei. Aber heute ist es anders: die Kirche hat gerade noch einen
Platz am Rand zugewiesen bekommen. Aber was kommt? Wer weiß das?
Und da gibt uns Jesus, der Herr der Kirche, eine zunächst vielleicht
erschreckende aber im Grund doch unerhört tröstliche und erstaunliche
Mitteilung. Er erzählt ein Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit
einem Senfkorn, das einer nahm und auf seinen Acker säte. Es ist zwar das
kleinste unter allen Samenkörnern, aber sobald es hochgewachsen ist, ist es
grösser als alle anderen Gewächse und wird ein Baum, so dass die Vögel des
Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.
Es entspricht dem Geist unserer Zeit, ja dem Geist des
Menschen, daß wir das Grosse suchen. Davon erzählt schon der Turmbau zu Babel.
Alles muss grösser, schneller, bedeutender sein. Früher war ein Ereignis etwa
super!, aber das reicht nicht mehr, heute ist es mindestens mega oder sogar
giga-wichtig.
In Zeiten des Internet blicken die »influencers« gierig auf die Klicks, je mehr,
desto besser. In der Wirtschaft fusionieren die Großen , um noch größer zu
werden. So sieht es der Fortschrittsoptimismus. Wichtig ist, was groß
herauskommt – Ein Blick in die Predigtliteratur hat mir gezeigt, dass das
Gleichnis vom Senfkorn nicht sehr beliebt war. Auch im Glauben, in der Kirche
sind uns erfolgreiche Sachen eben lieber.
Wenn wir die Bibel aufschlagen, dann stellen wir aber fest,
dass Gott eine geheimnisvolle Liebe zum Kleinformat hat. Als er als Mensch zu
uns gekommen ist, hat er die Gestalt eines Babys gewählt. Dann waren es gerade
mal zwölf Apostel dazu einige Anhängerinnen, einmal waren es 70 und auf dem
Höhepunkt an Pfingsten waren es gerade mal 5000. 5000 – was ist das schon bei
den Millionen Menschen?
Der Berner Münsterpfarrer Walter Lüthi hat schon vor vielen Jahren in einer
Predigt gesagt: Wer so fixiert auf die Kleinheit der Kirche schaut und an
kirchlichen Minderwertigkeitsgefühlen leidet, der sei von der Zeitkrankheit des
Gigantismus angesteckt. Er sollte zum Arzt gehen. Und der zuständige Spezialarzt
ist Jesus Christus. Das Heilmittel, das er uns verschreibt sei Senfkorntee
und in schwierigeren Fällen Senfkorntabletten: Mit dem Himmelreich ist es wie
mit einem Senfkorn… Es ist zwar das kleinste unter allen Samenkörnern
Ich will ja ehrlich sein, ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir in unseren Kirchen kaum mehr Platz hätten für alle Gottesdienstbesucher. Ich denke dankbar an meine Jugendjahre zurück: In der Balgristkirche wo ich aufwuchs, mußte man oft an gewöhnlichen Sonntagen die Seitenwand zum Saal öffnen, damit 500 und mehr Leute auch wirklich einen Sitzplatz hatten. – Heute ist es anders. Offensichtlich hat Gott beschlossen, dass jetzt Senfkornzeit ist. Und wir dürfen getrost und dankbar seinen Senfkorntee trinken.
Das Gleichnis, mit dem uns Jesus seine Sicht des Reiches
Gottes beschreibt, wurde in der Kirchengeschichte oft falsch gedeutet.
Mir passierte der gleiche Irrtum, als wir im Gymi einmal das Aufsatzthema selber
wählen konnten, habe ich mich an diesem Gleichnis versucht: Der Anfang des
Christentums war unscheinbar, aber die Kirche wächst und wächst, bis die
Christenheit die ganze Welt umspannt. – Stimmt aber gar nicht!
Jesus sagte etwas anderes: Das Senfkorn sei zwar kleiner als alle Samenarten,
aber sobald es hochgewachsen sein wird, ist es grösser als alle anderen Gewächse
und wird ein Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen
nisten. Wenn wir genau auf die Zeitform achten, die Jesus gebraucht hat,
dann sehen wir, dass Jesus nicht sagt, die christliche Gemeinde werde immer
grösser und wichtiger, sie werde immer mehr das herrschende Reich Gottes. Er
braucht im griechischen Urtext das Futurum exactum (die vollendete Zukunft),
aber sobald es hochgewachsen sein wird... Jesus sieht also in diesem
Gleichnis die Aussagen vom Reich Gottes nebeneinander: Es ist gleichzeitig
kleines Samenkorn und doch auch der grosse Baum, der den Menschen Zuflucht und
Geborgenheit bietet uns und der ganzen Welt.
Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir im Noch-Nicht leben. Die Himmelreichsbäume stehen immer noch unter dem Kreuz. Wer an Christus glaubt, für den gibt es in diesem Äon noch keinen Baum, der das Kreuz Christi überragen dürfte. Natürlich war es schön, dass es eine Zeit gab, wo die Welt sagte, dass das Leben sich nach den Worten Jesu richten sollte. Wir müssen uns aber doch ganz ehrlich fragen lassen, wie weit das die christliche Gesellschaft denn auch getan hat.
Wir aber dürfen lernen mit Gottvertrauen unsere Gartenarbeit im Reich Gottes fröhlich zu tun, dabei einen Schluck Senfkorntee zu trinken und das Samenkorn getrost zu begiessen.
Gott liebt die Kleinen. Er steht zu den Kleinen. Aber ihr Kleinen, ihr dürft euch nun selbst auch nicht verachten. Wer Minderwertigkeitsgefühle pflegt, der verachtet die Liebe, der es gefallen hat das Himmelreich auf Erden in Senfkorngestalt existieren zu lassen, der verachtet also eigentlich Jesus Christus. Das gilt ganz allgemein, aber es gilt auch und besonders für Minderwertigkeitsgefühle in kirchlicher Form. Schliesslich wissen wir das Jesus gesagt hat. Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. (Lukas 12,32)
Walter Lüthi berichtet von einem jungen Pfarrer, der sehr unter dem schlechten Predigtbesuch in seinen Gottesdiensten litt. In seiner Not habe er den einst weitherum bekannten Pfarrer Herrmann Kutter besucht. Kutter war mit Ragaz zusammen einer der Gründer der sog. religiös-sozialen Bewegung und lebte damals im Ruhestand in Schaffhausen. Auf die Frage, ob er nun den Beruf wechseln solle, ob er halt einfach fehl am Platz sei, bekam er die Antwort: »Glaube, was du sagst, dann garantiere ich dir, dass dein Dienst am Wort eine Wirkung hat, auch auf die Dorfbewohner, die nicht zur Predigt kommen, ja über die Dorfgrenze hinaus ins ganze Land, bis an die Enden der Erde. Glaube, was du predigst, aber höre auf die Predigtbesucher zu zählen.«
Wir schaffen das Reich Gottes ja nicht, auch nicht mit der packendsten Predigt. Aber Jesus der Herr und Erlöser von Kirche und Welt – auf ihn dürfen wir vertrauen. Er wird wiederkommen und eine neue Welt schaffen. Darauf vertraue ich, auch wenn meinem Verstand und Spatzenhirn dazu etliche Dimensionen fehlen: Jetzt leben wie im Glauben, noch nicht im Schauen (2. Kor 5,7 und 1. Kor 13,9-13). Dann werden wir staunend sehen, wie er unsere unscheinbare Arbeit im Reich Gottes brauchen konnte und kann. Ein kräftiger Schluck Senfkorntee wird uns helfen, uns auf diesen Tag zu freuen und uns unsere Welt und erst recht unsere Kirche inzwischen seiner Hand anzuvertrauen.
Amen
Pfr. Mathias Rissi
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