Wie konnte Jesus auf dem Wasser gehen?
Warum "geht er nicht baden" wie unsereiner? 

Der Neue Abendgottesdienst, 27. August 2016 - Pfr. Mathias Rissi

Matth 14 Vers 22-33

Matthäus 14,22-33 Der Seewandel Jesu und der sinkende Petrus

 

Liebe Gemeinde

 

Mein Großvater erzählte mir seinerzeit von einem gottesfürchtigen Lehrer in St. Gallen. Nachdem der in der Schule die Geschichte vom Seewandel Jesu erzählt hatte, wollte er es den Kindern zeigen, daß er mit einem unerschütterlichen Glauben auf dem Wasser gehen könne wie Jesus. Mit der Klasse sei er zu den «Drei Weihern» hinaufgegangen – und natürlich kläglich eingetaucht. Haben Sie etwas anderes erwartet?
Aber welche Chance hat Gott da vertan. Man stelle sich vor, was solch ein Wunder in St. Gallen bewirkt hätte…oder etwa doch nicht?

 

Wir könnten uns richtig festbeißen an dieser Aussage, daß Jesus über das Wasser ging. Stimmt das wirklich? Es wäre gewiß faszinierend, wenn wir das erklären könnten. Es ist wahr: Normalerweise geht das nicht. Alles was eine Dichte von mehr als 1 hat, also schwerer als Wasser ist, muß untergehen. Es gibt einen Grenzbereich für extrem kleine Tiere und Gegenstände wie den Wasserläufer oder ein Blatt – die werden von der Oberflächenspannung des Wassers am Sinken gehindert. Aber das alles gilt ja für Jesus nicht. Wenn er es wirklich konnte, dann müßte das sofort Gelüste wecken, Jesus nachzueifern: Wozu noch Schiffe bauen: Die echten Gläubigen, die schreiten über das Wasser!! – Ob das allerdings sehr ergiebig wäre?[1] Es ist gewiß gescheiter, danach zu fragen, was die Geschichte verkündigt: Was sie über Jesus aussagt und was über uns: Nämlich, daß Jesus uns begleitet und den sinkenden Petrus nicht fallen läßt.

 

Doch beginnen wir von vorn: Matthäus fängt mit merkwürdiger Bemerkung an: Jesus schickte die Jünger voraus, weg! Nach dem Höhepunkt der Speisung der Fünftausend müssen sie auf den rauhen See hinaus und in den Alltag hinein. Sie sollen sich jetzt allein bewähren, ohne daß Jesus ständig über die Schultern schaut und ständig die richtige Lösung »einbläst« (schweizerdeutsch für einflüstert). Verantwortlich sollen wir vor ihm leben und handeln. Aber nicht immer und überall ist er verfügbar.

Das bewahrt uns einerseits vor falscher Sicherheit: Es gibt Leute, die gebärden sich, wie wenn sie «den Heiland im Sack» hätten! Das können wir nicht. Anderseits sind wir nie hundertprozentig sicher, ob unsere Entscheidungen, Gedanken und Taten auch wirklich dem Willen Gottes entsprechen. Wir stellen fest, daß andere aufgrund des gleichen seriösen Glaubens in manchen Fragen zu andern Antworten kommen. Denken wir nur an Fragen wie: Frieden, Europa, Asyl, Erziehung, Forschung, Gentech wie kontrovers sind da die Meinungen auch unter Christen.

Oft wissen wir schon bei kleineren Fragen nicht ein und aus. Dann kommt es zu Kurzschlußreaktionen. Wir nehmen die Ruder selbst in die Hand nehmen, wie Jesus uns das zwar zumutet, aber wir verschleißen uns und die Sache, die wir vertreten. Mark Twain hat ein seinem Roman «Tom Sawyer» ein herrliches Beispiel dafür gegeben. Tom Sawyer und Huck Finn sind von zuhause durchgebrannt und wollen zu einem Inselchen im Mississippi rudern. Da heißt es: «Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengungen» - So rudern zuweilen auch wir, wenn wir das Ziel nicht mehr sehen, mit aller Kraft. Aber es entsteht nur Schaum.

 

Vor Jahren hat eine Computerfirma mit einem Inserat für ihre Software geworben: Ein Mönch vor einem PC erklärt: 'Ich lüge nicht, wenn ich sagen, daß ich mein Kirchenblatt ohne Gottes Hilfe herstelle'. Er denkt natürlich an den PC, sein «Werkzeug». Aber im Grund ist diese Aussage eine Katastrophe: Alles kommt doch darauf an, in entscheidenden Fragen und bei großen  Weichenstellungen den Willen Jesu einzubringen. Das haben die jugendlichen Fans von Jesus durchaus besser begriffen. Vor ein paar Jahren kam die Mode auf, die Schlüssel an einem Karabinerhaken am langen Band  um den Hals zu tragen. Manchmal stehen Botschaften auf dem Stoffbändel. Z.B. «Gleis 7» (für die SBB), «Bluewin» oder eben «WWJD» das ist: «What Would Jesus Do?» - Was würde Jesus tun?

 

Es gibt Menschen, die machen uns einen nachhaltigen Eindruck, weil sie das was Jesus wollte, so klar und deutlich umsetzen, wie etwa Martin Luther King jun. Das beschämt mich immer wieder. Ich gebe mir doch auch Mühe. Aber ich komme da einfach einige Nummern kleiner heraus. Wir sind vielleicht bereit zu großen Taten mit Jesus. Sollte er jedoch einmal auf die eine oder andere Weise in unser Leben eintreten, erkennen wir ihn? – oder halten wir ihn für ein Gespenst, wie die Jünger taten? Vielleicht haben wir die Empfindsamkeit dafür verloren, daß er sehr unscheinbar in unser Leben durch sein Wort oder einen Mitmenschen eintreten kann. Das erste was uns die Geschichte zusagt, ist, daß Jesus zu seinen Menschen kommt, auch wenn sie im brodelnden See schier verloren gehen.

 

Unser Glaube gleicht dem des Petrus. Als Petrus dann den Herrn erkennt, stürzt er sich in Aktion – und hält das gar für Glauben. Oft wird nur wenig von der souveränen Freiheit der großen Christen bei uns spürbar. Sie bleiben auch bei Todesgefahr bei ihrer Sache. Wir bezeichnen uns als Realisten, Pragmatiker und Konformisten. Wenn es wirklich ernst wird, wie rasch geht unser Glaube unter, wie der des Petrus. So ist es: Wenn du dich auf Jesu Wort einläßt, und es als Herausforderung erkennst, siehst du zuerst den Abgrund zwischen seinem Wort und Willen und deinem eigenen Leben und Handeln. Diese Erfahrung mutet Jesus jedem zu, auch Petrus. Es ist so und es ist gut so!

Erst die Erfahrung, daß er nichts in der Hand hatte, machte ihn reif, sich einzig von Seiner Hand halten zu lassen. Wer sich von Jesus tragen läßt, der kann den Gang übers Wasser riskieren.

 

Längst ist klar: Verglichen damit wäre es ein Kinderspiel über das Wasser zu schreiten. Wasser ist hier mehr als nur H20. Wasser ist der Inbegriff dessen, was an Problemen über unserm Kopf zusammenschlagen will. In der Taufe bekennen wir genau dies: Mit Jesus Christus sind wir untergegangen, sozusagen gestorben! Und er streckt uns die Hand entgegen und zieht uns wie den Petrus hinauf ins Leben. Der Glaube bekennt, daß diese Hand uns entgegengestreckt ist, das hat Gott uns in der Taufe für das ganze Leben bezeugt – wer darauf eingeht, kann frei, unabhängig, ohne Furcht den Gang übers Wasser antreten. Nimm die ausgestreckte Hand an, Du mußt die Kraft nicht aus sich selbst entwickeln. Gerade wenn Ostern der Hintergrund dieser Geschichte ist, erhält sie eine noch tiefere Dimension: Der, welcher unsere Hand hält ist Jesus Christus, der Herr über Leben und Tod.

 

Es gibt eine buddhistische Parallelerzählung. Sie würde sogar gut zum Gründer Gautama Buddha passen. Die Grundidee des Buddhismus ist bekanntlich, daß das Elend in der Welt von den Leidenschaften des Menschen herrühre. Die Meditation soll dazu verhelfen, daß jemand nicht mehr in ein verzehrendes Liebesfeuer oder in Rage gerate, sondern so ganz über den Dingen stehe, daß eben alles unwichtig werde. So geht ein Buddha geht übers Land. Er ist tief in seine Meditation versunken und merkt gar nicht, wie er auf einen Fluß hinaus geht. Er schreitet bis zur Flußmitte, bis er inne wird, daß er auf dem Wasser schreite und daß dies doch unmöglich sei. Sogleich beginnt er zu sinken. Halt – er besinnt sich: Hier hilft nur Meditation! Er versenkt sich mit der Meditation und, o Wunder, er kommt wieder auf die Wasseroberfläche und setzt seinen Weg ans andere Ufer trocken fort.

Was den Schüler Buddhas über Wasser hält, ist seine meditative Leistung. Uns Christen hält einzig die Hand unseres Herrn, aber die hält uns auch, wo wir schwach sind.

Amen

 

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1 Ich will nicht vorenthalten, daß die neutestamentliche Wissenschaft über diesen Abschnitt intensiv nachgedacht hat. Einige vermuten, diese Geschichte könnte ursprünglich aus der Zeit nach Ostern stammen, wo der auferstandene Jesus gelegentlich den Jüngern erschien.

Die Geschichte weist tatsächlich frappante Ähnlichkeiten mit den nachösterlichen Erscheinungsgeschichten auf:

Wir wissen, daß die Evangelien nicht als Biographie Jesu zu verstehen sind. Die Evangelisten haben die einzelnen Perikopen (Abschnitte) kunstvoll und literarisch, teils geografisch, teils nach Themata geordnet und die Botschaft aus den ihnen überlieferten Einzelberichten oder bereits vorhandenen Erzählungssammlungen zusammengestellt.
So stünde die physikalische Schwierigkeit nicht mehr im Vordergrund und wir könnten wir uns der Botschaft dieser eigenartigen Seeüberquerung stellen.

 

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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