4. November 2007   Matthäus 20,1-16   Reformationssonntag    Pfr. Mathias Rissi

Der Reformator Heinrich Bullinger, der nach Zwinglis Tod die Reformation in Zürich rettete, hat vor allem eines gewußt: Christus solus audiendus est – Christus allein soll gehört werden!

Aber das Selbstverständlichste ist nicht immer einfach. Auch im Falle dieses Gleichnisses Jesu:

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsherrn, der am frühen Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Nachdem er sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag geeinigt hatte, schickte er sie in seinen Weinberg. Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere ohne Arbeit auf dem Marktplatz stehen, und er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, will ich euch geben. Sie gingen hin. Wiederum ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat dasselbe. Als er um die elfte Stunde ausging, fand er andere dastehen, und er sagte zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag hier, ohne zu arbeiten? Sie sagten zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg! Es wurde Abend und der Herr des Weinbergs sagte zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten bis zu den Ersten. Und als die von der elften Stunde kamen, erhielten sie jeder einen Denar. Und als die Ersten kamen, meinten sie, daß sie mehr erhalten würden; und auch sie erhielten jeder einen Denar. Als sie ihn erhalten hatten, beschwerten sie sich beim Gutsherrn und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages und die Hitze ertragen haben. Er aber entgegnete einem von ihnen: Freund, ich tue dir nicht unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf einen Denar geeinigt? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten gleich viel geben wie dir. Oder ist es mir etwa nicht erlaubt, mit dem, was mein ist, zu tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte. Mt 20,1-16

Liebe Gemeinde,
vorigen Freitag habe ich das Gleichnis mit den Schülern gespielt. Sie kannten es nicht. Ich habe ihnen auch nichts weiter erklärt, sondern nur die Rollen verteilt: »Ihr seid Arbeitslose, die morgens um sechs auf dem Marktplatz für eine Arbeit anstehen und ich bin der Besitzer eines großen Weinguts.« Dann haben wir es gespielt. Die Schulklasse hat, ohne das Gleichnis zu kennen, alles perfekt gemacht. Und als dann bei der Lohnauszahlung am Abend die Letzten den ganzen Tageslohn bekamen und die Ersten genau so viel – da hätten Sie, liebe Gemeinde, die Empörung der Ersten hören sollen. – »So gemein! Wir haben den ganzen Tag gearbeitet und sollen jetzt nicht mehr bekommen als die Letzten.«

Wir verstehen das - ganz klar! Das Gleichnis geht gegen unser Gerechtigkeitsempfinden. Jesu Botschaft ist sperrig. Sie paßt nicht in unsere Welt. Bei uns gehören Leistung und Verantwortung belohnt. Wenn es nicht so wäre, wer würde sich da noch anstrengen? Es ist ärgerlich: es gibt eben wirklich Faulenzer und Profiteure. Und damit sich der Müßiggang sich nicht lohnt, gilt das Leistungsprinzip.

Freilich gibt es auch in unserem System einige Ungerechtigkeiten. Da bekommen einige Menschen für harte oder für verantwortungsvolle Arbeit nur einen schäbigen Lohn, während bei andern der Lohn schwindelhafte Höhen erreicht. Da kann sich dann niemand vorstellen, daß jemand so gute Arbeit leiste oder so viel Verantwortung trage, daß er das Achttausendfache des Minimallohnes verdiene. Trotzdem bleiben wir dabei. Wir wissen: Unser Zusammenleben braucht diese Anreize für Leistung und Verantwortung. Darum eben kollidiert das Gleichnis mit unseren Wertvorstellungen.

Nun ist es aber zuerst ein Gleichnis für das Himmelreich. Jesus sagt uns: so handelt Gott. Und Gott begegnete den Menschen schon immer so: Er vergalt nicht nach dem Verdienst, sondern er schenkte Liebe und Gnade, weil die Menschen das nötig hatten: Wir nennen nur einige Beispiele: Sara und Abraham, David, Simon Petrus, Maria Magdalena, Paulus.

Eigentlich war es immer klar. Und genauso klar ist es, daß diese Botschaft immer wieder in der frommen und in der weltlichen Leistungsgesellschaft zugedeckt wurde.

Unsere Vorfahren haben das in der Reformation wieder entdeckt: Gott gibt, weil er die Menschen liebt und nicht etwa weil wir Menschen es verdienen. Das Gleichnis stört unsere Kreise. Es drängt uns auf, daß es außer der unsrigen noch eine andere Sichtweise gibt. Die Sichtweise Gottes. Wir sehen es so: Ich bekomme, was ich verdiene – ich habe früh gearbeitet, es war streng, ich habe geschwitzt. Entsprechend hoch ist der Lohn. Und wer erst spät dazu gekommen, der bekommt eben auch gemäß seiner Leistung. Gott sieht uns anders: Ich gebe dir, was du brauchst! Den ganzen Taglohn. Die ganze Vergebung, den ganzen Frieden, das ganze ewige Leben. Ein Leben ohne jene letzte, tiefste Angst, Verzweiflung und Verlorenheit!

Was wir nie verdient hätten – er schenkt es. So werden wir aus Letzten Erste. So lädt er uns heute auch zum Abendmahl ein und schenkt uns, seinen Gästen, sich selber: nicht anteilmäßig nach der Frömmigkeit oder gemessen an unseren guten Taten, sondern ganz und vorbehaltlos schenkt er in den Zeichen Brot und Wein jenen »Denar« den wir zum Leben brauchen.

Dabei geht im Gleichnis Jesu immer noch alles sehr gerecht zu und her: Niemand bekommt etwas geschenkt, denn alle haben im Gottesreich gearbeitet. Auf der andern Seite aber bekommen alle etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, das Leben in der Verheißung zu gestalten. – Hand aufs Herz, liebe Gemeinde: Wenn uns das zu Minimalisten macht, wie sind wir dann noch zu retten? Sind wir dann nicht die Hinterletzten?

Es könnte aber sein, daß heute jemand unter uns ist und sich genau so fühlt, wie die letzten Arbeiter: Mich braucht niemand. Mich sieht niemand. Sie nützen mich nur aus. Aber wenn ich jemanden brauchte, sind sie alle weg. Es könnte sein, daß heute jemand da ist und sich an die Wand gedrückt vorkommt. Für all diejenigen ist Jesu Gleichnis eine herrliche Botschaft: Da ist einer, nicht irgendeiner, sondern Gott selber, der Herr, der die Letzten gesehen hat und sie liebhat und sie ernst nimmt und sie in seine Arme nimmt.
Und wenn wir selber einmal zu den Ersten gehörten, dann möchte er uns zumindest die Augen für diese Letzten öffnen.

Das ist eine große Herausforderung in einer Welt, die nicht vom Leistungsprinzip abrücken will oder kann: Da muß wenigstens die Kirche, die Gemeinschaft der Nachfolger Christi, in ihrem Einflußbereich zeichenhaft diese Umwertung zeigen und leben! Sie kann doch nicht anders, als sich für die Letzten und Verlorenen einzusetzen. Hat nicht gerade darum Pfr. Ernst Siebers Engagement für Clochards und Benachteiligte im geschäftigen Treiben der Weltstadt Zürich soviel positives Aufsehen erregt?

Christus solus audiendus est. Christus allein ist Gehör zu schenken. Indem wir ihm Gehör schenken, gehören wir zu ihm. Denn er war selber der Letzte! Am Kreuz mußte er sterben. Eigentlich kein Wunder, wenn einer alles verkehrt macht, wie Jesus mit seiner Predigt. Das konnte ja gar nicht gut gehen, wenn einer sich so querstellt. Doch sogar dort bleibt er sich treu und es stimmt: Der Erste ist zum Letzten geworden: Verspottet, angespuckt und ausgelacht - bis zum traurigen Ende, um als der Letzte für die Verlorenen einzustehen.

Aber da haben die Menschen die Rechnung ohne Gott und seinen tiefgründigen Humor gemacht. Es ist gewiß wahr: Mit dem Tode ist es für die Menschen aus. Der Tod ist das Letzte. Aber am Ostermorgen kehrt der Herr schon wieder alles um, zum Segen und Leben für uns alle: Im Auferstandenen ist der Letzte zum Ersten geworden.
Da könnte in uns etwas beginnen, damit nicht nur ein Zweifel an unserer Gerechtigkeit nagt, sondern, daß wir in der Gewißheit, daß Jesus Christus uns, auch wenn wir die Hinterletzten wären, zutraut in seinem Dienst Erste zu sein.

Amen

Pfr. Mathias Rissi

 

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