Matthäus 21,28-31 - Der Vater und die beiden Söhne
23. Juli 2023  
in Greifensee
Pfr. Mathias Rissi

JA oder NEIN - und die Konsequenzen

Was meint ihr? Es hatte einer zwei Söhne; und er ging zum ersten und sagte: Geh, mein Sohn, und arbeite heute im Weinberg!  Der aber entgegnete: Ich will nicht; später aber reute es ihn, und er ging hin. Da ging er zum anderen und sagte dasselbe. Der entgegnete: Ja, Herr!, und ging nicht hin. Wer von den beiden hat den Willen des Vaters getan? Sie sagen: Der erste! Da sagt Jesus zu ihnen: Amen, ich sage euch: Die Zöllner und Dirnen kommen vor euch ins Reich Gottes. Johannes kam zu euch auf dem Weg der Gerechtigkeit, und ihr habt ihm nicht geglaubt, die Zöllner und Dirnen aber haben ihm geglaubt. Ihr aber, die ihr das gesehen habt, habt euch auch hinterher nicht eines Besseren besonnen und ihm geglaubt.                                                              Matthäus 21,28-32

Liebe Gemeinde

In dieser Geschichte geht es ein bißchen, wie vor einem Monat mit dem Bundesrat: 8. Juni hieß es: Berset tritt im Dezember wieder an
und schon am 21. Juni dann: Berset tritt doch zurück – mal Ja, mal Nein.

Nun ja, von meinen Kindern, sie sind eben längst erwachsen und selber Eltern, kenne ich die Geschichte Jesu: Wenn ich zu Andi sagte: »Du hast spätnachts noch was gekocht, die Spuren in der Küche sind noch sichtbar« – Sagte er:  »O ja, ich mach’s gleich….«    ach, erspart mir die Fortsetzung.

Ich kann solches Verhalten gar nicht leiden. Natürlich weiß ich, daß die Kinder mit mir »kämpfen« mußten und reifen müssen mit ihrem Nein, um zu einem erwachsenen Ja und Nein zu gelangen. Und dennoch kann ich bockigen Gehorsam und geheuchelte Willigkeit bei Jugendlichen nicht leiden. Genau sowenig sagt mir jene moderne dritte Möglichkeit zu: das Jein-Sagen und Jein-Tun.

Worauf zielt Jesus mit dem Gleichnis? Geht es ihm einfach um eine Frage der Ethik, eines konsequenten christlichen Verhaltens? Oder geht es am Ende um das Verhältnis von altem und neuem Gottesvolk, Juden und Christen? Indizien dafür wären die Begriffe: Weinberg, Zöllner und Dirnen. Ich möchte dies der Vollständigkeit halber hier erwähnt haben, bevor wir uns miteinander in ganz direkter Weise vom Gleichnis ansprechen lassen.

Jesus liebt diese Frage: »Was meint ihr?« Er stellt sie des öftern. »Wer von den beiden hat den Willen des Vaters getan?« - Musterknabe ist keiner von den beiden.
Vor allem der erste macht mir zu schaffen. Er sagt Ja, aber geht nicht zur Arbeit. Ist das nicht ein Skandal? Eine glatte Lüge! Oder dann hatte er im guten Vorsatz so geantwortet, der ist dann jedoch im Stadium des Versprechens versandet. Sicher hat Vertrauen und Hoffnung enttäuscht. Dabei hat er sich noch so dienstfertig und unterwürfig geäußert. »Ja, Herr!« Im Griechischen Text ist das noch deutlicher: Ego, Kyrie! – »ICH, Herr« – als wolle er sagen, wer denn sonst! Und dieses »Herr!«   Solche Ehre erboten meine Kinder mir jedenfalls nicht, (hätte ich auch nicht gewollt, das kommt allein dem Herrn zu).
Trotzdem will ich dem ersten Sohn nicht zwingend bösen Willen unterschieben. Er wird wohl kein durchtriebener Heuchler gewesen sein. Nur sind die Folgen seines Tuns fatal.

Machen wir uns nichts vor: Es geht bei der christlichen Nachfolge nicht um einen netten Spaziergang in den Weinberg, um dort ein paar Blätter einzusammeln, sondern es geht um schweißtreibende Arbeit und Einsatz voller Hingebung. Es geht nicht nur um allgemeine Zustimmung zur Nächstenliebe - wer wäre schon dagegen? - Es geht um die liebende Tat. Ja sogar Feindesliebe!
Der eine sagt also JA und tut es nicht. Wen würde solches Verhalten nicht ärgern?
Das begegnet uns auch heute: Wie viele bekunden ihr Mitleid mit den Armen – und wieviel Hilfe fließt ihnen tatsächlich zu?
Wie viele geben sich sensibilisiert für die Umwelt im Wissen um die »Grenzen des Wachstums« – vor 61 Jahren ist das Buch erschienen – zuerst bezweifelt, dann halbherzig umgesetzt. Es ist ein klarer Auftrag den Ressourcen Sorge zu tragen in Produktion, Konsum und Umwelt. Was wurde im Lauf der Zeit nicht alles als dringlich beschlossen. Zum Beispiel in Kopenhagen, Kyoto, Paris – die Länder und Menschen haben JA gesagt, aber nicht gehandelt – in der Hitze dieses Sommers dämmert es immer noch nicht allen…

Lauthals wird protestiert gegen Globalisierung, Ungerechtigkeit und Hunger – aber beim Einkauf wird nicht konsequent auf fair gehandelte Waren geachtet, sondern das „Schäppchen“ gekauft.
So sind viele enttäuscht von Söhnen oder Töchtern, Ehepartnern, Freunden, Mitarbeitern, auch von sogenannten Namen- und Gewohnheitschristen.
Gehören wir vielleicht auch dazu?

Und nun zum zweiten Sohn, der Nein sagt. Er ist sozusagen ein «Spätzünder». Immerhin geht er schließlich dann doch ans Werk geht.
Er hat es nicht eilig: Er schmeichelt keinem »Herrn«. Er sagt schlicht: Ich will nicht. Später wird ihm aufgehen, wie dieses Nein für den Vater schmerzhaft ist. Er bereut es, revidiert seine Ansicht und widerlegt sein Reden durch sein Tun. Halten wir fest: Für die damaligen Zuhörer Jesu ist er zwar der bessere, aber auch er hat versagt, denn er hätte dem Vater den Gehorsam von Anfang an geschuldet.

Wir kennen Beispiele von solchen Nein-Sagern und Ja-Tätern bei andern: Bei Jesus sind es Zöllner und Dirnen oder Samaritaner (Lukas 10,30ff oder Joh 4) und Römer (Matth 8,5).

Wer ist es heute? Daß Menschen erst Nein sagen und dann gescheiter werden, das kommt ja auch in der Schweiz vor.
Diese Woche ist Bundesrat Cassis nach Brüssel zur EU-Zentrale gereist – mit einer leeren Mappe – Keine Ideen von der Schweizer Regierung, wie man aus der Sackgasse der Gespräche mit der EU gelangen könnte. Ein Rahmenabkommen wäre praktischer als tausend Einzelabkommen für alle Detailprobleme… 
Ein zweites Beispiel: Die ersten beiden Juliwochen war ich mit dem Motorrad in Norwegen unterwegs - wunderbar. … Das Volk ist kleiner als die Schweiz und ebenfalls nicht in der Europäischen Union. Die Norweger zahlen mit der eigenen Währung, den Kronen, und benutzen nicht den Euro. Die Studenten dürfen an den Unis in Europa studieren, sie haben Anteil am europäischen Wissenschaftsprogramm Horizon - von dem die Schweiz ausgeschlossen wurde.
Warum macht die EU der Schweiz laufend Schwierigkeiten, während die Norweger offen Türen haben?
Norwegen ist eben im EWR, dem Europäischen Wirtschaftsraum, den eine hauchdünne Mehrheit des Schweizer Stimmvolks im Dezember 1992 abgelehnt hat. Heute wären viele in der Schweiz froh, es wäre damals ein JA gewesen. Hinterher ist man natürlich immer gescheiter.

Spätestens jetzt müssen wir erschrecken: diese zwei Söhne – Dazu gehörst ja auch du! Jesus redet von dir! Wir sind Doppelgänger beider Söhne:
Wir sagen Ja, setzen Prioritäten, doch handeln wir nicht entsprechend. Haben wir Angst, Profil zu zeigen? Lähmt uns die Bequemlichkeit, der Wunsch «den Frieden zu haben», daß wir schließlich Nein-Täter werden, obwohl wir Ja gesagt haben?
Oder im umgekehrten Fall: Wir sagen Nein! und möchten dabei bleiben, z.B. im Umgang mit Jugendlichen. Dabei wäre das klare erste Nein oft die barmherzigste Antwort. Aber wir geben nach. Ist es mangelnder Mut, falsch verstandene Liebe?
Dabei möchten wir doch, daß unsere Ideale, unseren Glauben und unsere Taten übereinstimmen. Euer Ja sei ein Ja, und euer Nein sei ein Nein.

Gibt es einen Ausweg? Was geschieht mit unserem Traum vom ganzheitlichen Leben, von der Einheit von lebenswürdigem Glauben und glaubwürdigem Leben?
Gibt es eine Hoffnung für uns?
– Gott sei Dank, ist da im Gleichnis noch ein »Sohn des Vaters«. Er ist etwas verborgen, dieser dritte Sohn: Es ist der Erzähler, Jesus: Wenn Jesus JA sagt, tut er es auch. Er sagt NEIN und handelt so: Jesus Christus – er ist der glaubwürdige Zeuge für die Liebe und Hingabe Gottes. Bei ihm stimmen Ja-Sagen und -Tun und Nein-Sagen und -Tun so radikal überein, daß sich an ihm die Geister scheiden, daß am Verhältnis zu ihm über Heil und Unheil entschieden wird.

Er hilft dir und mir, die Spannung zwischen Ja und Nein, die Spannung zwischen meinem Wollen und Gottes Willen auszuhalten. Er sagt konsequent Nein zu allen meinen Versuchen, mich herauszuwinden. Er kennt mich und weiß, daß ich ohne seine Vergebung verloren wäre. Drum muß ich mich nicht herausreden bei ihm. Er sagt JA zu mir ohne Vorbedingungen.
Schon bevor unsere Eltern wußten, daß wir unterwegs sind, hat Gott sein JA zu uns gesagt, das jeden Tag volle und ganze Gültigkeit hat. Das hilft mir, meine Verhärtungen, Rechtfertigungen und Dogmen loszulassen. Sein JA bringt uns auf den Weg zu eindeutigerer Klarheit, zu stärkerer Entschiedenheit, zu einem Ja-Sagen oder Nein-Sagen, dem unser Leben auch entspricht.
Sein Ja macht mir neuen Mut und weckt Freude neu ans Werk zu gehen.

AMEN

 

Pfr. Mathias Rissi

 

Zum Predigtverzeichnis            Zur Hauptseite