Predigt vor Pfr. Mathias Rissi zum Ewigkeitssonntag, 24. November 2002

 

Das Gleichnis von der Scheidung der Guten und Bösen im Jüngsten Gericht

Matthäus 25, 31-46

 

Liebe Gemeinde

«Prestige» hieß der Tanker – ist das nicht zynisch! Sechsundzwanzig Jahre ist er mit seinem stolzen Namen durch die Meere gefahren, war aber wohl schon lange ein Risiko für die Umwelt – jetzt ist er zerbrochen und untergegangen – die Stunde der Wahrheit!

Manchmal werde ich den Eindruck nicht los unsere Zivilisation kokettiere mit Untergang und Gericht:

Wer vor Jahrhunderten den Gottesdienst in den Kirchen von Reichenau oder Amsoldingen (um zwei besonders anschauliche Beispiele zu nennen) besuchte, sah beim Verlassen der Kirche ein großes Gemälde des Jüngsten Gerichtes über dem Portal - eine Warnung: Wenn du jetzt hinausgehst in den Alltag, vergiß nicht, du wirst einmal gerichtet werden. Dein Leben und dein Handeln entscheiden über ewiges Leben oder ewigen Tod! Jahrhunderte später ist es immer noch ein Thema: Am »Pfauen« in Zürich steht die Skulptur von Auguste Rodin: »Der Denker« blickt hinab auf die Szenerie des Jüngsten Gerichtes. Selbst Hollywood nimmt sich gerne des Themas Weltuntergang an (das läßt die Kassen klingeln), um die Streifen freilich immer happy enden zu lassen. Der Gedanke an den Weltuntergang ist eben spannend wie das Spiel mit dem Feuer: Es geht um die Stunde der Wahrheit!

Vor Jahren ist mir im Konfirmandenlager an der Saône ein Bekannter begegnet, der mir erschüttert berichtete, wie er am Vortag fünf Meter tief in eine Schleuse gefallen sei, just als das schwere Schleusentor sich öffnete und ihn an der Schleusenwand zu erdrücken drohte. Er habe innert weniger Sekunden sein ganzes Leben ablaufen sehen, wie einen Film, und es sei ihm vieles bewußt geworden – die Stunde der Wahrheit. Er hat glücklich überlebt. Eigentlich brauchen wir keinen Sturz in die Todesgefahr. Es ist eine Gelegenheit, am heutigen Ewigkeitssonntag der Wahrheit ins Auge zu schauen.

Was wir um und vor uns sehen, ist das alles? Oder ist da ein ewiger Richter, vor dem es bestehen muß. In einem aktualisierten, alten Witz zitiert Gott George Bush, Hu Jintao und Schröder zu sich, um ihnen zu eröffnen, daß die Welt in zehn Tagen untergehe. Bush sagt darauf in einer Rede an die Nation: Ich habe euch eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Es gibt Gott (was wir Amerikaner schon immer wußten) und die schlechte: Die Welt geht in zehn Tagen unter. Der mächtige Sekretär der kommunistischen Partei Chinas erklärt: Ich habe für euch, Genossen, zwei schlechte Nachrichten. Die erste: Es gibt Gott (was wir im Geheimen schon immer fürchteten) und die zweite: Die Welt geht in zehn Tagen unter. Schröder hat zwei gute Nachrichten für die Deutschen: Es gibt Gott und bis ans Ende der Welt bleibe ich euer Kanzler…

Jesus erzählt das Gleichnis vom Weltgericht – ist das eine gute Nachricht oder ein schlechter Bericht?

Von einer großen Freude berichtet Jesus im Gleichnis – aber wir bleiben beim andern hängen. Aus der Frohbotschaft wird eine Drohbotschaft. Diese Vorstellung vom jüngsten Gericht kann einem schrecklich Angst machen aus verschiedenen Gründen:

-    Wir erschrecken ob der Ahnungslosigkeit der Leute im Gleichnis. Die gibt es ja auch bei uns: wir gebrauchen unsere Umwelt, die Dritte Welt, die Energien in einer Selbstverständlichkeit – und wenn man uns aufdeckt, wie wir von ungerechten Verhältnissen und Raubbau profitieren, werden wir völlig überrascht.

-    Wo sollen wir denn anfangen, die Probleme sind viel zu komplex?

-    Das Gute, welches wir tun, wird nie reichen, um gut dazustehen.

Dann befremdet es im ersten Moment, wer der Richter ist: der Menschensohn, Jesus, ausgerechnet. Das blieb er für viele Jahrhunderte. Dann aber vor rund 200 Jahren begann man daran zu zweifeln. Wäre es nicht passender, die Vernunft säße anstelle Gottes auf dem Richterstuhl? Heute wissen wir, die Vernunft hat's nun wirklich nicht gebracht, es sieht auf der Welt heute eher schlimmer aus. Die Vernunft ist nicht mehr die höchste der Instanzen: der Richterstuhl steht leer. Aber nicht lange. Es kommen Menschen und spielen sich als Richter auf – und alles wird größer, schneller, billiger – eben «Prestige» und globalisierte Profitgier…

Schon Jean-Paul Sartre, ein erklärter Gottloser, hat darunter gelitten. In seinem «Der Teufel und der liebe Gott» läßt er den Heinrich beten: «Vater unser im Himmel, ich möchte lieber gerichtet werden von einem unendlichen Wesen, als von denen, die meinesgleichen sind.»

Es hat also sein ganz Gutes, daß der Menschensohn dieser Richter ist. Das sollte uns an etwas erinnern. Wie im Gleichnis: auch wir wissen nicht, was wir Gutes getan haben, wir wissen nicht, wo überall wir versagt haben. Hat nicht der Menschensohn dann in seinen letzten Stunden am Kreuz diesen Gedanken aufgenommen? Vater vergib ihnen! Denn sie wissen nicht was sie tun! (Luk 23,34) - Sie können ja gar nicht anders bestehen, als nur durch Gnade.

Wenn also wir heute das Gleichnis vom jüngsten Gericht hören, dann ist es anders als für die ersten Hörer. Und wenn wir nicht Angst haben müssen, der Richter spreche ein vernichtendes Urteil, dann ist dies ein besonderes Geschenk Gottes: Christus ist gekommen und hat sich an unserer Stelle dem Gericht gestellt.

Darum müssen wir nicht wie mittelalterliche Menschen hektisch auf gute Werke achten, fromme Rhetorik üben und peinlichst unsere Sünden beichten. Das Gleichnis will uns in seinem ersten Teil zu einer gelassenen Heiterkeit führen. Wir dürfen uns des Glaubens, der Erwählung freuen. Ganz selbstverständlich und aus Dankbarkeit, werden wir im Leben den Glauben bewähren wollen. Wir wissen: nicht die Strafpredigten, sondern die Liebe bringt zurecht, was falsch war. Die Liebe heilt! So wie Jesu Christi Liebe es bei uns tut. Natürlich werden wir auch Schwerpunkte nennen können: eben die unscheinbaren Dinge und Menschen, die schon Jesus wichtig waren. Das Leben und der Glaube bewähren sich beim Einkaufen und am Telefon, bei Abstimmungen und an der Arbeit.

Gewiß, da könnte man eins einwenden, wie ich es anläßlich eines Vortrag meines Onkels, der Theologieprofessor für Neues Testament ist, erlebte. Es ging in seinem Vortrag über den Kolosserbrief um die überwältigende Größe der Güte und Vergebung Gottes. Anschließend kam ein Mann ganz aufgebracht zum Referenten und sagte mit hochrotem Kopf: «Also, wenn das wahr wäre und es keine Rolle spielte, daß ich mich da hineinknie und zu Gott stehe, dann könnte ich ja herumsaufen und -fressen, betrügen, auf meinen Vorteil aus sein und ein sexuell ausschweifendes, treuloses Leben führen - mein ganzer Glaube wäre für die Katz!»  Darauf meinte der Referent, dieser Glaube sei tatsächlich für die Katz, wenn er nur dazu diene, sich auf  einen Logenplatz im Jenseits freuen, um zuzuschauen, wie die Bösen in die ewige Verdammnis geworfen würden! –  Unsern Glauben haben wir doch für das Leben. Er gibt uns Zuversicht, Trost, Mut und Orientierung für jeden Tag!»
Ist es wirklich ein so großer Verzicht auf Betrug, ausschweifendes Leben etc.? Im Gegenteil: Aus Liebe und Dankbarkeit achten unsere Augen, wie Jesus Christus es tat, auch auf die kleinen Dinge
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Ist es wirklich ein so großer Verzicht auf Betrug, ausschweifendes Leben etc.? Im Gegenteil: Aus Liebe und Dankbarkeit achten unsere Augen, wie Jesus Christus es tat, auch auf die kleinen Dinge: denn auch vom ominösen Tropfen auf den heißen Stein gilt: Was ihr getan habt einem von diesen meinen Geringsten, das habt ihr mir getan.

Amen

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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