Sendschreiben an die Gemeinde von Ephesus

Gottesdienst am

9. November 2008 in der Kirche Meilen

Pfr. Mathias Rissi Offb 2,1-7 Ofb 2,1-7 apk 2:1-7

 

Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: So spricht, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der einhergeht inmitten der sieben goldenen Leuchter: Ich kenne deine Werke und deinen Einsatz und deine Beharrlichkeit, und ich weiß, daß du die Bösen nicht ertragen kannst, daß du geprüft hast, die da sagen, sie seien Apostel, und es nicht sind, und daß du sie als Lügner entlarvt hast. Ausgeharrt hast du, und um meines Namens willen erträgst du dies alles und bist nicht müde geworden. Ich habe dir aber vorzuwerfen, daß du deine erste Liebe verlassen hast. Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist, kehr um zu den Werken des Anfangs; wenn nicht, werde ich zu dir kommen und deinen Leuchter von seinem Platz stoßen, wenn du nicht umkehrst. Aber dies halte ich dir zugute: Du haßt die Werke der Nikolaïten, die auch ich hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. Wer den Sieg erringt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.       Offenbarung 2,1-7


 

Liebe Gemeinde

 

Vor vierzehn Tagen stand unsere Reisegruppe in den Ruinen von Ephesus. Von der antiken Weltstadt sind nur noch Trümmer übrig geblieben. Wunderschön und beeindruckend zwar, aber eben Trümmer. Griechische Tempel, die zu Kirchen umgebaut worden waren, auch sie sind weg. Die Türkei war seinerzeit das erste Land, in welchem ich ehemalige Kirchen, die nun Moscheen waren, vorgefunden hatte.
Was ist da passiert, daß so etwas geschehen konnte? Die erste Christenheit war in Kleinasien erblüht – und jetzt sind dort von den Kirchen nur noch Ruinen zu sehen. Nicht wenige in der Schweiz fragen sich angstvoll: Könnte das nicht auch bei uns so herauskommen?

Was sagt uns das Gotteswort? So sieht es die Kirche: als sieben goldene Leuchter und in ihrer Mitte Christus. Die sieben kleinasiatischen Gemeinden sind die sieben Leuchter, sie stehen stellvertretend für die gesamte Kirche. So richtet sich dieser Brief an die Gemeinde von Ephesus und genau so an uns, sowohl als Versammlung, wie auch an uns als Einzelne. Es ist doch so, daß die Summe der Einzelnen das Bild der Gemeinde macht.

Da heißt es zuerst, daß Christus sagt: Ich kenne deine Werke…  Er sieht sie. Nichts ist verloren gegangen von allem Guten, das in der und durch sie gewirkt worden ist. Da geschieht doch so vieles »unterirdisch« und unspektakulär an Nachbarschaftshilfe, an Aufmerksamkeit, bis hin zur Blumendekoration in der Kirche – wir haben das oft überhaupt nicht gegenwärtig, aber bei Christus geht nichts verloren!
Ausgeharrt hast du,…  Viel schwieriger als die Auseinandersetzung mit der äußeren Umwelt, waren für die Gemeinde die Angriffe von innen. Falsche Apostel sind genannt und Nikolaïten. Ihre gefährliche Lehre bestand darin, daß sie die christliche Botschaft mit dem Zeitgeist verbanden: Christus ja, aber mit allerlei  heidnischer Lehre und »natürlicher Theologie« verknüpft. Die Nikolaïten sind dem Namen nach rasch verschwunden. Aber ihre Gefahr ist den Kirchen allezeit treu geblieben bis heute.
[1]

Da hält Jesus der Gemeinde zugute, daß sie treu geblieben ist. Sie hat gekämpft. Sie hat widerstanden, weil sie begriff, daß es im Kampf um die Reinigung der Verkündigung in der Kirche nicht um ein Gezänk von Theologen geht, sondern um die Wahrheitsfrage.

Ephesus hat gestritten und ist »rein« geblieben. Und doch hat Jesus etwas gegen sie: Vielleicht sind die Epheser gerade im Kampf um die Reinigung der Verkündigung hart geworden und die Gemeinde die Fähigkeit der Liebe verloren. Sie hat vor lauter Diskutieren und Ringen aus den Augen verloren: Glaube ist keine Lehre, sondern Bewegung, Vertrauen. Darum wirft ihr Christus vor: Ich habe dir aber vorzuwerfen, daß du deine erste Liebe verlassen hast.
Das ist es: nicht am »richtigen Denken«, nicht an den klugen Veranstaltungsreihen, nicht an der richtigen Doktrin, – das alles ist auch richtig und wichtig! – aber nicht daran, sondern an der Liebe sollen die Christen erkannt werden. Nicht eine geschlossene Gesellschaft, sondern eine einladende, das soll die Gemeinde sein. Ephesus hat die richtige Lehre, aber nicht Ephesus leuchtet nicht mehr.

Christus möchte seine Gemeinde in der Liebe wissen, auch dort, wo sie kämpft. Darum ist Umkehr notwendig, damit der Leuchter der Gemeinde nicht umgestoßen wird und ihr Licht auslöscht. Was wäre eine Gemeinde, die sich etwas einbildet auf ihre Rechtgläubigkeit und doch mit der Liebe auch die Gemeinschaft Jesu verloren hätte.
Wir sind heute herausgefordert durch die Begegnung mit dem Islam. Die Angst vor den Minaretten geht um. Wenn Sie mich fragen: Ich sage sofort, daß ich das Evangelium dem Koran vorziehe.
Ob wir allerdings wieder Kreuzzüge für die Wahrheit veranstalten sollen? Ist das nicht genau jene Rechthaberei, welche der Christus in der Offenbarungsvision anprangt? Was haben die Kreuzzüge damals bewirkt? Wie sehr war der Glaube damals das Motiv? Ging es nicht schon damals viel mehr um Macht und Geld, statt um Christus. Und mit jener Gewalt haben sie Christus bei den Orientalen gründlich  in Mißkredit gebracht.
Darum muß Christus uns heute daran erinnern, daß wir allein durch Liebe überzeugen.

Aber vielleicht geht es uns Christen mit der ersten Liebe ein wenig, wie in einer Ehe: Wenn’s halbwegs gut geht: dann ist da nur noch Gewohnheit statt Liebe, und wenn es schlechter kommt, dann ist da nur noch Streiten statt Liebe. Das Bild vom umgestoßenen Leuchter ist unheimlich. Christus jedoch hat die Gemeinde nicht verloren gegeben: kehr um zu den Werken des Anfangs; wenn nicht, werde ich zu dir kommen und deinen Leuchter von seinem Platz stoßen.

Nicht Belehren soll die Gemeinde, sondern hören: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.
In dieser November-Woche besinnen wir uns auf die Dekade der Gewaltlosigkeit. Über die Bildschirme flimmern dieses Wochenende Bilder von der Reichskristallnacht vor 70 Jahren: mit Brennen und Morden gingen die Nazis damals gegen die Juden vor. Aber schon Jahre zuvor hatten wache Christen die Gefahr kommen sehen. Der Schweizer Pfarrer und Theologe Karl Barth
[2] hatte 1934 maßgeblich mitgewirkt und bereits nur ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers dem unsäglich üblen Führerkult ein christliches Bekenntnis entgegengesetzt: Die »Barmer Theologische Erklärung«. Es war Karl Barths Entdeckung am Römerbrief gewesen, die ihn und eine taube Kirche wieder ganz hellhörig für Gottes Wort gemacht hatte. Der erste Artikel des Barmer Bekenntnisses lautet:

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.

Dem Sieger verheißt Jesus, daß er Anteil haben wird an den Früchten vom paradiesischen Lebensbaum. Dieses Bild ist uns dem 2. und 3. Kapitel des ersten Mosebuches bekannt. Dort wird die Gabe des Lebens mit den Früchten des Lebensbaumes versinnbildlicht. Jene einfache Geschichte bringt zum Ausdruck, daß der Mensch nicht in sich selbst das ewige Leben hat, wohl aber von Tag zu Tag neue Lebenskraft erhielte, wenn er nicht von Gott abgefallen und vom Baum des Lebens abgeschlossen wäre.
Jesus Christus aber hat diese Trennung überwunden und durch sein Sterben und Auferstehen das verlorene Leben wieder gebracht.
Daraus wächst die Liebe
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.

Amen


 

[1] Wir nennen diese Gefahr heute Synkretismus: z.B. in der Gestalt der Vermischung von christlichem Glauben mit östlichen Weisheiten und Lehren oder esoterischen Praktiken. Verheerend für die Kirche war die Integration der griechischen Philosophie, weil sie das Verständnis von Gnade im christlichen Sinne völlig untergrub und Fehlentwicklungen wie die Leibfeindlichkeit oder den mittelalterlichen Ablaßhandel förderte.

[2] Damals Theologie-Professor an der Universität Bonn. Er sollte bald darauf Deutschland verlassen und in die Schweiz zurückkehren müssen.

Pfr. Mathias Rissi

 

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