Wer gewinnt!

 

Konfirmationspredigt, 27. Juni 2010 in der Evang.-ref. Kirche Meilen
Pfr. Mathias Rissi, Meilen   Philipper 3,12-14

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern und Großeltern, Paten, Geschwister, liebe Gemeinde

Manchmal kommt es anders, als man meint. So geht es auch mir heute mit der Predigt. Die Konfirmandenklasse hat sich vor ein paar Wochen Gedanken über das Symbol der Türe gemacht. Ein sehr treffliches Bild für die Situation, in welcher Ihr und Sie, liebe Eltern stehen.
Nun haben sie das aber so anschaulich und vielseitig getan, daß mir dazu kaum mehr etwas zu predigen übrig bleibt. Ich hatte an das Jesuswort gedacht: Ich bin die Tür! – daran, daß Jesus Christus uns Menschen die Tür zum Leben und zur Freiheit öffnet. Daß er uns Menschen befähigt, Türen zu öffnen, und, wenn Türen verschlossen bleiben, daß er uns doch Zukunft gibt.
Aber da ist mir die andere Idee aufgegangen. Von der Tür zum Tor ist der Weg nicht weit. Und wenn die Schweizer Nati bis zum Ausscheiden auch nur ein einziges zustande gebracht hat, so ist doch dieser sportliche Einsatz geeignet als Bild für das, was auf Euch hinter der offenen Tür wartet: Ein Leben voller Einsatz.
Der Apostel Paulus, von dem die allerersten Schriften des Neuen Testaments stammen, hat nämlich erlebt, daß Christus ihm ein völlig ungeahntes Leben eröffnete: Und da hat er sich dann kompromißlos eingesetzt.

Er schreibt im Philipperbrief 3,12-14 Nicht daß ich es schon erlangt hätte oder schon vollkommen wäre! Ich jage ihm aber nach, und vielleicht ergreife ich es, da auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin. Liebe Brüder und Schwestern, ich bilde mir nicht ein, daß ich selbst es ergriffen hätte, eins aber tue ich: Was zurückliegt, vergesse ich und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt. Ich richte meinen Lauf auf das Ziel aus, um den Siegespreis zu erringen, der unserer himmlischen Berufung durch Gott in Christus Jesus verheißen ist.

Das paßt gut zur Fußball-WM. Man braucht kein Fußball-Fan zu sein – aber  wer kann sich dem ganz entziehen. Da war der phantastische Auftakt der Schweizer Nati gegen Spanien. Gut, daß wir so typische Schweizer wie Gelson Fernandes haben. Aber dann kam die traurige Fortsetzung. Aber, wie sagt man so schön: nach der WM ist vor der EM…
Nicht nachlassen! Das kennen einige von Euch schon sehr gut z.B. von der Suche nach einer Lehrstelle, wenn ein Bewerbungsgespräch erfolglos war, die Tür verschlossen! oder in der Schule mit den Prüfungen, eine 2½ in Mathe oder Franz. Da gibt es nur eins: Sich nach vorn ausstrecken! Keine Schonung! Das Unmögliche möglich machen! Wir Menschen sind Macher.

Ohne das geht es gar nicht. An anderer Stelle vergleicht Paulus das Leben mit einem Wettkampf. (1. Kor 9, 24-27). Alle möchten Gewinner sein. Im Sport kann meist nur einer gewinnen. In Südafrika. Wenn dann im Finalspiel beide Mannschaften gleichauf wären, gibt’s Strafe: Penalty-Schießen bis einer verliert.

Und im Leben? Du möchtest auch gewinnen. Aber dann kommen die Zweifel: Das schaffst Du sowieso nie! Forget it!
Das ist jedoch nicht Paulus’ Meinung. Er spricht aus Erfahrung. Er war nämlich auch einmal so eingestellt gewesen, aber mit falschen Prämissen: Er war sich damals sicher gewesen, es mit allen aufnehmen zu können. Und er hatte sich darauf etwas eingebildet, frömmer, gebildeter und perfekter zu sein als alle andern. Da muß er ein ziemlich ungenießbarer Typ gewesen sein.

Nun – wir haben vielleicht genau die umgekehrten Probleme: »Ich hab’s nicht geschafft – ich bin unbedeutend.« Ich denke an eine Mutter, die sagte. »Ich bin immer nur für andere da, bin der Steigbügelhalter für den Mann und die Kinder!« – »Ich komme mir ausgenützt vor.«  – »Ich kann mich nicht wehren.« – »Andere sind immer schneller als ich.«

Paulus sagt, er vergesse das. – Schön wär’s! Vergessen – Das geht gar nicht! Im Gegenteil: Wir vergessen doch genau die falschen Sachen. Wir vergessen, was wir nicht vergessen sollten: die Aufgaben, einen Besuch, einen Geburtstag, die Rechnungen, und dann kommen die Mahnungen.
Was wir aber vergessen wollen, das werden wir nicht los. – Hinter euch liegt jetzt die Kindheit mit vielen schönen Erinnerungen, die Ihr beide: Eltern und Jugendliche behalten wollt und sollt. Daran denken wir voller Freude und Dankbarkeit. Überhaupt, daß Ihr es bis hierher geschafft habt und so vieles gut herausgekommen ist. Aber ich bin sicher, daß es auch Momente und Erfahrungen gab, die Ihr vergessen möchtet, Erinnerungen, die einen lähmen.

Paulus kann sich ausstrecken, weil er vergessen kann, weil er die Niederlagen und Fehlschläge wegstecken kann. Aber was will er denn erreichen, was vollenden? Will er einen Heiligenschein erringen oder superfromm werden? Das glaube ich kaum. Da wäre er schon wieder weltfremd und ungenießbar.
Ich denke, es gehe ihm vielmehr um den Alltag: um die Arbeit, die Schule, das Zusammenleben in der Familie und mit Freunden. Und dieses Zusammenleben soll verschiedenen Kriterien genügen. Auch Jesus zitierte das alte sogenannte Doppelgebot der Liebe: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten, wie dich selbst!
[1] Das heißt ganz einfach: …deinen Alltag, dein Leben so gestalten, daß Gott seine Freude daran hat und deine Mitmenschen auch und nicht zu vergessen: daß es für dich selber auch stimmt. Es ist darum eigentlich ein Dreifachgebot: Mein Leben und Handeln soll stimmen für Gott, für meine Mitmenschen und mich. Oft ist es schon genug schwierig, zwei Dinge abzugleichen, damals im Militär beim Schießen etwa: Kimme und Korn auch der Zielscheibe zur Deckung zu bringen. Wobei ich nicht ohne Stolz sagen kann, ich habe jeweils nicht schlecht getroffen.
Das Dreifachgebot der Liebe ist jedoch noch viel anspruchsvoller. Laßt es mich mit einem alten Spielzeug vergleichen, das Ihr Konfirmanden vielleicht kennt, Eure Eltern und Großeltern aber sicher kennen. Als Kind hatte ich früher eine kleine, flache, runde Dose mit einem Glas darüber. Am Kartonboden des Döschens war ein Clowngesicht aufgemalt. Bei den beiden Augen und beim Mund war je eine kleine Vertiefung im Karton. Außerdem waren drei kleine Stahlkügelchen im Spiel. Nun ging es darum, so zu balancieren, daß die drei Kügelchen eins ums andere in ein Loch gebracht wurden, und nicht mehr heraus rollten. Beim ersten war’s einfach, beim zweiten schon schwieriger. Und meist, wenn das dritte endlich seinen Platz fand, da war eins der andern schon wieder davon gerollt. Ich kann Paulus verstehen, wenn er sagt: Ich habe es noch nicht geschafft. Diesen drei Ansprüchen zu genügen, das schafft kein Mensch.
Aber ihn belastet das nicht und er jagt munter weiter danach. Er  kann vergessen, weil er weiß: »Einer hat schon gesiegt: Jesus Christus. Und dieser Christus hat mich eingeholt und mich ergriffen. Nicht zur gnadenlosen Abrechnung, sondern zur gnädigen Vergebung. Wir sind jetzt ein Team, sein Sieg ist mein Sieg.« Darum kann er sich jetzt ausstrecken. Der Neuanfang ist immer möglich. So können wir das Alte hinter uns lassen. Paulus kann sogar die Niederlagen einstecken. Kann aushalten, wenn Türen nicht aufgehen. Er vertraut darauf, daß Jesus Christus dies für ihn bereits erlitten hat. Paulus kann sogar sagen: Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn.
[2]  Er sieht sich immer auf der Gewinnerseite, weil er darauf vertraut, das Christus, Gott selber, an seiner Seite ist und ihm die Tür zum Leben geöffnet hat. Darum kann er sein Leben so aktiv gestalten und dabei verändert er die Welt.
Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll war aus der katholischen Kirche ausgetreten und besuchte dennoch regelmäßig den Gottesdienst. Auf den Widerspruch hingewiesen meinte er, er sei ausgetreten, weil er das Unrecht, das die machtbesessene Kirche in 2000 Jahren verübt hatte, nicht ertragen könnte. Aber er möchte nicht wissen wie die Welt aussähe, in welcher in den vergangenen 2000 Jahren Christen nicht am Werk gewesen wären. Und Böll fährt wörtlich fort:
»Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. [...] Ich glaube an Christus, und ich glaube, daß [damals in den 50-er Jahren] 800 Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser Erde verändern könnten.«[3]

Ist das nicht erstaunlich? Da sind heute über zwei Milliarden von »Christen«, immer auch fragwürdige, und oft weit von den Idealen des Paulus entfernt – aber erstaunlicherweise hinterlassen sie Spuren. Sogar in unserer verweltlichten Kultur, die den Respekt vor Gott vermissen läßt, wirkt noch etwas von der Begnadigung und Freiheit nach.

Ist das nicht verheißungsvoll? Ich glaube daran, daß Ihr mit Eurem Leben solche Spuren hinterlaßt. Und daß Euer Leben unter dem guten Vorzeichen, unter der Verheißung steht, daß Christus uns Menschen schon ergriffen und in sein Team genommen hat.

Das Wichtigste ist vielleicht – und damit komme ich noch einmal zum Anfang zurück – das Wichtigste ist wie im Fußball wohl das Goal, das Ziel.  Paulus nennt es uns: kein vergänglicher Siegerkranz, keine Medaille, nicht gescheffelte Reichtümer – er nennt sein Ziel: die himmlische Berufung. Er weiß, daß er zu Gott gehört. Und das gibt ihm jetzt schon eine Zuversicht und einen Frieden. Er weiß, daß es gut herauskommt.

[An dieser Stelle folgte die Veranschaulichung mit dem Jojo, das wohl Auf und Ab kennt und am Rotieren ist, wie wir Menschen manchmal auch. Aber es lebt davon, daß über ihm eine Hand ist, die es hält.]

Ein Leben in dieser Zuversicht, die mutig vorangehen läßt, das wünsche ich von Herzen uns allen und ganz besonders Euch Konfirmanden.
Amen


 

[1] Markusevangelium 12,30-31

[2] Philipperbrief 1,21:

[3] Aus: Heinrich Böll, Eine Welt ohne Christus. In: Karlheinz Deschner, Was halten Sie vom Christentum?  München (List) 1957, S. 21 f.

Pfr. Mathias Rissi

 

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