Reformationsjubiläum 2017

Jetzt ist sie in aller Munde und in allen Medien präsent: Die Reformation vor 500 Jahren.
Nach nur 100 Jahren nach der Reformation, stellte der niederländische reformierte Theolog
e Jodocus van Lodenstein fest, dass die Kirche sich nicht auf den Lorbeeeren der Reformation ausruhen könne: »ecclesia reformata semper reformanda - die reformierte Kirche muss sich stets reformieren«.
Statt in Nostalgie zu schwelgen, wollen wir uns als Kirche immer neu befragen, ob die Kirche dem Kernauftrag treu sei!
Dabei ist die Erkenntnis hilfreich, was in der erfolgreichsten Reformation der Kirchengeschichte erkannt und neugestaltet wurde.

Die heutige Gesellschaft und Kirche verdanken der Reformation vieles. Dass diese Errungenschaften nicht selbstverständlich sind, zeigt ein Blick in die andern Kulturen auf der Erde. Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Bekämpfung der Einteilung der Menschen in Herrschende und Beherrschte (von der Sklaverei bis hin zum Menschenhandel heutzutage) gehören nicht zu den Zielen einer orientalischen oder fernöstlichen Kultur – sie werden bestenfalls infolge der Globalisierung mehr oder weniger willig übernommen (Beispiel: Frauen und Autofahren in Saudiarabien).

Um die Reformation zu verstehen, müssen wir zu den Anfängen des Christentums zurück gehen: Vor rund 1970 Jahren war es der Zeltmacher und jüdische Schriftgelehrte Paulus von Tarsus, der kühn sagen konnte: »Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau.« (Gal. 3,28) Dieser Gedanke ruhte auf einem klaren Fundament: »Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.« Die Zeit und Kultur der Antike war weder reif noch imstande dazu, diese radikale Idee der Gleichwertigkeit der Geschlechter, der sozialen Stände und der Völker und Rassen überhaupt zu denken. Auch für Paulus war es ein schmerzhaftes Umdenken gewesen. Ursprünglich ein Verfechter der alten Ordnung und der jüdischen Rechtgläubigkeit hatte er die Christus-Anhänger als Sektierer verfolgt. Die Begegnung mit dem Auferstandenen bewirkte eine grundlegende Wende in seinem Leben. In der Folge war es Paulus gelungen, Jesus nicht nur als innerjüdisches Phänomen zu beschreiben, sondern das dramatische Geschehen um Wirken, Tod und Auferstehung Jesu Christi als grenz- und zeitüberschreitende Tat Gottes für alle Welt zu vermitteln. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im ganzen römischen Reich die Botschaft des Paulus von Christus, vom Gott, vor dem die Menschen nicht Angst haben müssen, weil er sie liebt und von sich aus Frieden und Freiheit schenkt.

Die damalige Kirche war für diese Großzügigkeit und Freiheit und diesen Individualismus offensichtlich noch nicht bereit. Sie arrangierte sich mit der Politik und baute ihre Macht auf Prunk und Drohung mit Höllenqualen im Jenseits. Zwar gab es immer wieder Erneuerungsversuche. Die Reformation im 16. Jahrhundert war nicht der erste Versuch einer Rückbesinnung, wohl aber der nachhaltigste in den vergangenen zwei Jahrtausenden. Zuvor war es der Kirchenleitung in Rom immer gelungen, Reformideen in Klöstern zu isolieren. Andere Reformer hatten keine Chance: Katharer, Albigenser, Hussiten etc. wurden als Ketzer verfolgt, ermordet und vernichtet.

Es ist kein Zufall, dass das Feuer der Reformen in der Kirche sich so oft an den Briefen des Paulus entzündete. So war es auch für Martin Luther die Auslegung des Römerbriefes, die ihn zur Quelle des Evangeliums zurück brachte. Ungefähr zeitgleich rangen weitere Menschen, auch unser Huldrich Zwingli in Zürich, um das aktuelle Verständnis der alten Heiligen Schrift. (Bild nebenan August Noack: Luther und Zwingli in Marburg. Sie waren einig in allen theologischen Fragen bis aufs Verständnis des Abendmahls.)
Erst recht konnte dann die zweite Generation der Reformatoren mit Jean Calvin (Genf), Heinrich Bullinger (Zürich) und John Knox (Edinburgh) wirken. Sie mussten sich nicht mehr gegen Rom behaupten, da die Notwendigkeit der Reformation inzwischen in ihren Ländern anerkannt war.
So konnten sie die Reformation vertiefen, weiterentwickeln und verbreiten,
Durch die Reformation hat der Satz von Paulus weitergewirkt in der Aufklärung, wo die Forderungen »Liberté, égalité, fraternité« Allgemeingut wurden. Übrigens war es auch vor 100 Jahren, als die evangelischen Kirchen sich in einer grossen Krise befanden, wieder der Römerbrief von Paulus, der den ehemals liberalen Theologen Karl Barth zur zentralen Erneuerung des Protestantismus im 20. Jahrhundert antrieb.
In diesen Jahren wird bei den Lutheranern und uns Reformierten intensiv und dankbar der Reformation gedacht. Wir werden gewiss noch vieles über Leben und Wirkung von Ulrich Zwingli, Martin Luther und ihren Gefährten erfahren und darüber nachdenken, wie sich die evangelisch-reformierte Kirche immer neu wieder zu hinterfragen hat. Sie kann und soll so viel Gutes tun und sich in verschiedenen Arbeitsfeldern engagieren. Ihr Kernauftrag, das Evangelium zu vermitteln, darf dabei nicht zu kurz kommen. Das lehrt uns die Geschichte: Wie die Reformatoren es wieder bei Paulus lernten, ist Jesus Christus lebensnah, ermutigend und befreiend zu verkünden und glaubwürdig zu leben. Ich meine, unsere Landeskirche und ihre Gemeinden tun gut daran, sich immer wieder klar auf ihr Fundament zu besinnen, sonst machen sie sich nämlich rasch bedeutungslos.

 

Pfr. Mathias Rissi

 

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