Reformationssonntag
4. November 2012, Niederweningen
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Predigt Pfr. Mathias Rissi
Jetzt aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart, die von dem Gesetz und den Propheten bezeugt wird, nämlich die Gerechtigkeit Gottes, die durch den Glauben an Jesus Christus kommt für alle, die glauben. Denn es ist kein Unterschied; alle haben gesündigt und alle ermangeln der Ehre vor Gott und werden gerechtgesprochen ohne Verdienst durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die in Christus Jesus ist. Römerbrief 3,21-24
Liebe Gemeinde
1. Gerechtigkeit
Wir alle haben ein Gespür für Gerechtigkeit. Von klein auf wohnt uns dieses
Gespür inne und meldet sich gerne zu Wort. Aber ist Gerechtigkeit unter Menschen
möglich?
Dazu eine frei erfundene Szene aus dem Leben: Auf dem Zvieritisch liegen fünf
feine Nußschnecken. Vier Personen sind da: Die Eltern und zwei der Kinder. Wer
bekommt die fünfte Schnecke? Es bieten sich verschiedene Lösungen an:
- «Sollen wir sie teilen? Dann bekäme jeder ein Vierteli zu seinem Stück.»
- «Nein, und damit es keinen Streit gibt, esse ich die Fünfte», meint der Vater.
- Protest des Jüngsten: «Ich muß aber noch wachsen! Darum muß ich sie haben»
- Der größere Bruder ist nicht einverstanden: «Du hast beim Zmittag viel mehr
Spaghetti bekommen, darum bekomme ich jetzt den zusätzlichen Zvieri»
- Schließlich meint die Mutter: «Wir könnten sie für eure Schwester übrig
lassen.» (Obwohl die ja nicht wüßte, was sie verpaßt hat, wenn das Corpus
delicti schon in einem andern Mund verschwunden wäre).
Alle diese Lösungen haben etwas für sich. Welche ist gerecht? - Jede, aber auch
keine!
Eine mir bekannte Familie hat eine glückliche Lösung für solche Situationen
gefunden. Mit nur zwei Kindern ist es wohl etwas einfacher. Um dem Futterneid
ein Ende zu bereiten wurde beschlossen, daß jeweils der eine Sohn das Reststück
teilen, und der andere dafür zuerst das Stück auswählen dürfe. Von da an achtete
der Schneidende peinlichst darauf, zwei exakt gleich große Stücke zustande zu
bringen, bis die Buben eine noch bessere Aufteilung entdeckten: «Ein wie großes
Stück soll ich dir heute schneiden?»
Wir verbinden Gerechtigkeit ganz
direkt mit Gleichbehandlung und Fairneß. Im Zentrum steht das Ich, welches zu
seinem Recht kommen möchte. Da ist seit den Tagen der Bibel allerdings eine
Bedeutungsverschiebung eingetreten. Bei Paulus meint Gerechtigkeit: Wie werde
ich dem andern gerecht?
Nehmen Sie die Menschen, denen Sie gestern und heute begegnet sind: Ehepartner,
Kinder, Nachbar, die Menschen, welche Sie heute in der Kirche angetroffen haben
und fragen Sie: «Bin ich ihnen gerecht geworden? Habe ich ihnen die Zuwendung
gegeben, die sie brauchen?» - Wahrscheinlich werde ich den Mitmenschen viel
öfter nicht gerecht, als daß ich ihnen gerecht werde.
Gerechtigkeit unter Menschen ist, wie wir oben gesehen haben ein Glücksfall. Sie
ist Gnade und Geschenk! – Sie ist unter Menschen leider Ausnahme. Und erst recht
gegenüber Gott. Oder können Sie von sich sagen, daß Sie in ihrem Leben bisher
Gott gerecht geworden, wirklich gerecht geworden sind?
Paulus nähme uns das nicht ab. Er zitiert die Psalmen, wenn er sagt: Da ist
keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. (Römer 3,10)
Aber ohne Gerechtigkeit gibt es keine Gemeinschaft! So ist es unter den Menschen und so ist es mit Gott. Darum führt uns die Frage «Wie wird man Gott gerecht?» zum Gesetz.
2. Gesetz
Der Gedanke an das Gesetz im AT liegt nahe: die Zehn Gebote. Aber der
Begriff Gesetz beinhaltet mehr. Er steht letztlich für alle Bemühungen des
Menschen, vor Gott dadurch gerecht zu werden, daß man bestimmte Regeln einhält.
Hier sehe ich den größten Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und den
andern Religionen. Alle Religionen betonen das eine: «Du wirst Gott gerecht,
wenn du die Regeln einhältst.» Natürlich unterscheiden sie sich äußerlich sehr:
der «achtfache Weg des Buddhismus», die «Fünf Säulen des Islam» oder die «Zehn
Gebote». Eines ist ihnen gemeinsam: sie sind alle Regeln. Viele meinen, das
Christentum sei auch so. Davon will aber Paulus nichts wissen: So halten wir
nun dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerecht gesprochen werde ohne Werke
des Gesetzes (Röm. 3,28) – also nicht das Einhalten von Regeln oder äußeren
Pflichten machen den Menschen Gott gerecht.
Erfinden wir einmal die 10 Gebote der
Partnerschaft z.B. für den Ehemann: 1. Ich bringe einmal wöchentlich einen
Strauß Blumen nach Hause. 2. Ich mache die Küche nach dem Essen. 3. Ich putze
wöchentlich WC und Bad ... Manche möchten da jubeln: «Herrlich! Wunderbar!» (und
hoffentlich geben wir Männer auch Anlaß dazu!) Aber ich bin sicher: Sie können
alle diese Regeln einhalten und die Pflichten erfüllen und es klingt alles ganz
nett, aber ihrem Partner wird das Entscheidende fehlen, wenn er eins nicht hat:
das Herz!
Genau gleich gilt es für unsere Beziehung zu Gott. Denn dadurch wird ein Mensch
Gott gerecht, daß er sein Herz Gott schenkt! So nur wird der Mensch Gott
gerecht, daß er ihm sein Herz gibt, seine Liebe, sein Vertrauen. Sein Christsein
definiert sich nicht von seinem Lebensstil oder von Regeln her. Er ist auch
Christ, wenn er die Regeln nicht einhält. Er wird auch dann Gott gerecht
allein durch Glauben.
3. Glauben
Gerade in christlichen Kreisen kann man auf die Ansicht treffen: Glaube ja,
aber auch Regeln! Paulus hatte wohl seine liebe Mühe mit ihnen, sonst hätte er
dieses dritte Kapitel nicht geschrieben.
Glaube ja, aber auch Regeln! Vor Jesus, zur Zeit des AT, – einverstanden! Da
mühten sich die Menschen, den Willen Gottes zu erfüllen, indem sie sich ganz dem
Gesetz verpflichteten. Noch heute spricht man im Judentum anerkennend von einem
«Gerechten», wenn jemand mit heiligem Ernst dem Gebote Gottes nachlebt. Dabei
war es klar, daß Gott auch einem Gerechten viel zu vergeben hat.
Diese Sicht hat sich bei sehr viel freier denkenden Menschen auch sehr viel
seichter festgesetzt. Goethes Faust etwa strengt sich auch an. Allerdings gäbe
es da für den Goethe-kritischen Zeitgenossen noch einiges anzumerken: Der
bejahrte Faust hat bekanntlich einiges auf dem Kerbholz an Mord, Betrug und
Teufelei, nicht zu vergessen der schäbige Umgang mit Gretchen. Und Goethe läßt
den Faust in den Himmel kommen. Warum? Originalton Goethe: «Wer immer strebend
sich bemüht, den können wir erlösen.» So sprechen Religionen.
Nein, der christliche Glaube sieht
das völlig anders! Das lösende Wort Gottes kommt nicht am Ende eines langen
Weges, sondern Gott spricht es am Anfang, bevor du aufbrichst: «Du bist gerecht,
du bist mir recht! »
Wir möchten einwenden: «Womit habe ich das verdient? » – «Gar nicht verdient
hast du es! Nur weil du bittest! Deine leeren Hände machen dich mir genehm und
gerecht! Nicht dein Geben, sondern das Empfangen, nicht dein Tun, sondern dein
Glauben. »
Darin liegt der Schlüssel. Allein durch Glauben! Ist das nicht ungerecht?
Stimmt – die Gerechtigkeit aus Glauben ist nach menschlichen Maßstäben
ungerecht! Gott ist nicht fair, sondern gnädig. Der Schächer am Kreuz kommt in
den gleichen Himmel wie ein Paulus, der sein ganzes Leben für Christus gegeben
hat. Einfach, weil er Jesus Christus glaubt. Das ist nicht fair, das ist Gnade.
4. Gnade
Gnade ist die ganz andere Lebenshaltung als das, was Paulus mit Gesetz
bezeichnet hat. Wie am Anfang des Johannesevangeliums steht (Joh 1,17): Das
Gesetz ist durch Mose gegeben worden, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus
Christus gekommen.
Auch hier stehen sich Gesetz und Gnade gegenüber:
- das Gesetz als Inbegriff des «Ich bemühe mich. »
- und die Gnade als Inbegriff des «Vergiß es! Du kannst es gar nicht» – das ist
die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht der Gnade lautet: «Du brauchst es
nicht! Gott hat ein anderes Konzept: nicht das des Gesetzes, sondern das Konzept
der Gnade!» Das Konzept, daß er sich in Jesus Christus uns Menschen schenkt.
Jetzt liegt es an uns zu entscheiden:
Was willst du von Gott? Willst du, was du verdienst – oder willst du Gnade?
Sei weise in deiner Entscheidung. Gott wird dir geben, was du willst. Es gibt
Leute genug, die bestimmt und deutlich sagen: "Ich lasse mir nichts schenken –
auch von Gott nicht. Ich will nur mein gutes Recht!" – Sie werden es
bekommen... Gewiß ist Gnade nach unseren menschlichen Maßstäben ungerecht, aber
sie ist vielleicht das beste, was uns passieren kann. Mit dieser Ungerechtigkeit
wird Gott uns Menschen gerecht.
Also, was wollen wir: Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen, oder wie Gott sie
versteht: Gerechtigkeit aus dem Gesetz oder Gerechtigkeit aus Glauben und Gnade.
Mich müssen Sie nicht zweimal fragen.
Wenn wir uns aber für die Gnade entscheiden, dann bleiben wir bitte konsequent dabei. Denn wir können sie nicht für uns in Anspruch nehmen und andere Christen dann doch wieder nach den Maßstäben des Gesetzes beurteilen. Dann müssen wir selbst den größten Sünder in unserer Mitte als für Gott gerecht geworden ansehen, allein auf Grund der Tatsache, daß er glaubt. Die Gerechtigkeit, die wir für uns in Anspruch nehmen, müssen wir auch anderen gewähren. Oder andersherum formuliert: Die Gerechtigkeit, mit der wir andere messen, wird auch an uns herangetragen werden (Matthäus 7,2).
Amen
Pfr. Mathias Rissi
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