"Wer jedoch keine Leistung vorzuweisen hat,
aber an den glaubt, der den Gottlosen gerecht macht,
dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet." Römer 4,5
Predigt zum Reformationssonntag
von Pfr. Mathias Rissi
über
Römerbrief 4,1-25
in Niederweningen am 1.11.2015
Liebe Gemeinde
Worum geht es in der Reformation?
Damals von rund 500 Jahren waren die
Menschen nicht aufgeklärt. Ebensowenig die Kirche: Die Kirche schürte und die
Menschen hatten Höllenängste. Der Gottesdienst wurde lateinisch gehalten.
Predigt gab's
keine. Das Wort Hokuspokus zeugt noch heute davon, wie den Menschen im
Mittelalter vorkam, was die Kirche zelebrierte: Wenn der Priester in der Messe
nach dem Schellen mit dem Glöcklein die Oblate emporhob und dazu sagte "Dies ist
der Leib (Christi)" aber eben Lateinisch: "Hoc est corpus" so kam das den
Menschen wie ein fauler Zauber vor. Die Kirche bediente sich eines
Werkzeugkastens von Magie und Beschwörung. Freiheit vom Höllenfeuer konnte man
sich mit Ablaßbriefen gegen Geld erwerben. Der Glaube und vor allem die Werke
waren das Eintrittsbillet in den Himmel.
In der Reformation ging es also um die Rückbesinnung auf die Quelle des Lebens:
das Evangelium. Damals gelang die Reformation. – Sie hat die Welt verändert, die
evangelischen Kirchen begründet und so auch der römischen Kirche ermöglichte,
aus dem Mittelalter herauszutreten (sie dürfte aber auch noch ein paar Schritte
mehr tun und z.B. die Frauen den Männern gleichstellen…)
Die Reformation war gelungen. Aber die Reformatoren gingen weiter: ecclesia
reformata, semper reformanda – die erneuerte Kirche muß fortwährend erneuert
werden.
Welche Reformation steht bei der heutigen
Kirche an. Heute, da die Menschen den Glauben nicht mehr als das Eintrittsbillet
in den Himmel erachten, oder gar bezweifeln, daß noch etwas komme. – Also ich
für meinen Teil, ich lasse mir diese Verheißung nicht nehmen. – Aber für die
meisten Menschen im Abendland gibt vor allem das Leben vor dem Tod!
Gewiß sind wie früher auch heute Ängste da: Angst vor dem Verlust des Wohlstands,
vor der Macht der Weltkonzerne, welche das Leben diktieren (die EU scheint mir
verglichen damit ein kleineres Problem für uns in der Schweiz zu sein. Denn auch sie hinkt dem
menschenverachtenden unbändigen Neoliberalismus hoffnungslos hinterher). Und die
Angst vor dem Islam und jeder Art von Fundamentalismus.
Wie muß sich die Kirche da reformieren?
Kann Sie das überhaupt?
Hat sie noch etwas zu sagen?
Eine Aussage in unserem heutigen Bibeltext
war es, die Luther erschütterte und ihm die Augen öffnete.
Damals gab es eine klare Sicht der Dinge. Die wurde von Kirche, Staat und
Gesellschaft vertreten. Es galten klare feste Werte, Maßstäbe und Regeln. Wer
sie verletzte riskierte den Tod.
Heute haben wir ein ganz anderes Problem: Welches sind unsere Werte, die wir
gegenüber Fundamentalisten verteidigen wollen?
Wir haben heute vielleicht mehr Freiheit als je zuvor, stellen aber fest, dass
Gemeinsinn und Solidarität im Alltag weitgehend abhanden gekommen sind. Was weiß
die Jugend noch davon?
Wir können allerdings nicht die Ahnungslosigkeit unserer Jugend beklagen, ohne zugleich unsere
eigenen nebulösen Glaubensvorstellungen zu entlarven.
Die Kirche wird heute zwar für alle möglichen Dinge und Taten kritisiert.
In etlichen Fällen wohl zu Recht. Anderseits kommt vieles, was dem Christentum vorgeworfen wird, gar nicht vom christlichen Glauben her.
Und daß alle Religionen sich für "weltliche" Zwecke mißbrauchen
ließen, ist traurige Realität.
Zudem begegnet mir in Europa zunehmend eine unheimlich Religiosität: ein bißchen Christlichkeit mit einem
Schuß Esoterik, Kraft des positiven Denkens wäre auch noch gut und sowieso Buddhismus light à la Hollywood.
Wenn nun aber schon die Erwachsenen in ihrem Glauben so diffus sind, wie soll da die
Jungend den Durchblick bekommen.
Zu alldem ist der Alltag gekennzeichnet von einem gnadenlosen Leistungsdruck.
Könnte es sein, daß wieder die gleichen
Gedanken, die vor 500 Jahren die gewaltige Erneuerung bewirkten, auch heute
wieder entdeckt werden müßten?
Ein gutes Glaubensvorbild würde sicher bei der
Orientierung helfen.
An wem können wir uns orientieren? Etwa wie jener ältere Mann, der damals aus der
Kirche austrat mit der Bemerkung: Denise Biellmann (damals eine bekannte
Eiskunstläuferin) habe im Fernsehinterview ja auch gesagt, sie sei ausgetreten,
sie glaube nicht an Gott…
Aber vielleicht sind unsere Vorbilder doch etwas weniger willkürlich gewählt: etwa Martin Luther
King, Pfr. Sieber oder Mutter Theresa.
Paulus schlägt den Abraham als Vorbild
für die Glaubenden vor. – Warum?
Er findet bei ihm vier vorbildhafte
Züge
1. Glaube heißt: Nicht von der Leistung
leben – oder: eine realistische Selbsterkenntnis gewinnen
Paulus fragt, ob Abraham besonders gottgefällig gelebt und von Gott für gute
Führung, für gute Taten belohnt worden sei? – Eben genau nicht! Abraham hat des öftern versagt und bei Gott für Ärger gesorgt.
Vielmehr sollen wir Abraham zum Vorbild nehmen, weil er auf Gott vertraute!
Da mag man einwenden: Ist denn Glaube nicht eine Tätigkeit des Menschen?
Diese Frage ist im Römerbrief wichtig. Paulus sagt: Nein! denn zuerst kommt es
im Glauben auf Gottes Tun an.
Der Glaube schaut zunächst nicht auf das, was der Mensch kann, sondern auf Gott
getan hat. Denn der Mensch ist ohne Gott verloren.
Das kleine Wörtchen »gottlos« in unserem Kapitel, das bei Luther den
Gedankenfunken der Reformation gezündet hat, es ist ein hartes Wort. Besonders in
unserer Kultur. Die griechischen Philosophen der Antike hatten den Menschen etwas
eingeredet, was sie nur zu gerne glauben wollten, nämlich, daß jeder Mensch
etwas Göttliches in sich trage, das er nur zu pflegen brauche. Im Unterschied
dazu sind wir mit Paulus der Überzeugung: Wir sind gottlos und haben eine Riesensehnsucht nach
Gott in uns.
Unser Reformator Johannes Calvin drückt es in seiner Auslegung des Römerbriefs
drastisch aus, wenn er sagt, daß keiner zur Gerechtigkeit des Glaubens
gelangen wird, der in sich selber nicht gottlos ist. Nur die, die von sich
selbst bekennen, daß sie gottlos sind, sind auf dem rechten Weg. Nur die, die
sich selber nicht zutrauen, aufgrund ihrer eigenen Qualitäten auf dem rechten
Glaubens- und Lebensweg zu sein, die sind es tatsächlich.
Gottlos: Das ist eine harte Aussage – aber es ist notwendige Erkenntnis, weil
der Mensch sonst kein realistisches Bild von sich hat.
Glaube ist also eine einseitige Sache, die von Gott ausgeht: Glaube ist keine
Leistung, sondern ein Geschenk!
2. Glaube heißt: verheißungsorientiert
zu leben
Im Vers 20 ist die Verheißung ganz zentral angesprochen: An der
Verheissung Gottes liess er sich durch Unglauben nicht irremachen, sondern er
wurde stark im Glauben, gab Gott die Ehre.
Diesen Schritt müssen wir unbedingt gehen. Der realistische Blick ist nötig, um
Gott und mich nicht mißzuverstehen. Es gibt nichts auszuhandeln mit Gott. Denn
der Mensch ist der Beschenkte; aus Gnaden, das heißt lateinisch gratis, umsonst!
Und was habe ich bekommen? Gerechtigkeit! Unter Rechtfertigung verstand man
damals im jüdisch-christlichen Denken, daß der Mensch vor Gott gut dasteht.
Ganz anders heute, wo mancher Rechtfertigung ein sich Herausschwätzen versteht.
Was gibt es nicht alles von früh bis spät, wofür Menschen sich rechtfertigen.
Der Römerbrief erinnert uns daran: es gibt nichts selbst zu rechtfertigen, denn Gott
hat radikal die Schuld vergeben, sie ist abgetan!
Das sind große Worte, für mache wohl zu große Worte. Schwierig sind sie nicht
zuletzt deshalb, weil wir heute Sünde als moralisches Fehlverhalten verstehen.
Buße tun heißt heute nicht mehr, radikal umschwenken von einem falschen
Lebensweg, sondern mit einem Geldbetrag sich Freikaufen von der begangenen
Temposünde.
Es wäre schon etwas gewonnen, wenn die kleinen und großen Sünder wieder
erkennen: Ich bin ein Sünder. – Und dann noch einzweites: Denn wer erkennt, daß er Sünder ist, der
sagt damit: Ich brauche Gott, um leben zu können.
Man könnte also pointiert festhalten: Sündenerkenntnis ist bereits Glaube. Die
Erkenntnis der Gottlosigkeit – das ist schon Glaube
Wie habe ich »Gerechtigkeit« bekommen? Als Verheißung – aber noch nicht vollendeter Wirklichkeit. In der Wirklichkeit sind wir normale, das heißt schwache und fragwürdige Menschen. Wir besitzen die Gerechtigkeit nicht. Wir besitzen sie erst im Glauben und haben noch nichts vorzuweisen. Das ist nicht einfach in einer Welt, da die Kinder schon sich über den Besitz bestimmen: Mein Autöli, meine Puppe ist schneller, grösser, schöner, besser als deine… und wenn sie etwas grösser sind: mein Auto, mein Haus, meine Firma…
Leider gibt es sogar Christen, die den
Glauben als Besitz verstehen. Sie haben sozusagen »den Heiland im Hosesack« und
zeigen allen wo's durchgeht. Sie verstehen sich eben als bessere Christen.
Vorsicht! Paulus sagt: Wir haben's nur auf Verheißung. Wir können's nicht
vorweisen. Wir können unsere Sündlosigkeit nicht sehen, nur glauben.
Diese Spannung erlebten genauso Abraham und Sara: Daß sie noch Nachwuchs
bekommen sollten, widersprach allem biologischen Wissen.
Glauben heißt also: darauf setzen, daß wir Beschenkte sind, Gerechte – auch wenn
wir das im Blick auf uns selbst gar nicht sind.
3. Glauben heißt Christus erkennen.
Kreuz und Auferstehung Christi sind das Zentrum des Glaubens! (Römer 4,24-25).
Kreuz und Auferstehung sind nicht einfach Bestandteile der Lehre. Der
christliche Glaube wird nur da recht verstanden, wo wir Kreuz und Auferstehung
Christi als »für uns« geschehen betrachten.
Lassen sie mich bei dieser Gelegenheit ein fatales Mißverständnis klären: Die
Kreuzigung geschah nicht, um Gott zu besänftigen, wie man das im Mittelalter
fälschlich zu erzählen begann. Eine falsche Aussage wird nicht richtig, wenn sie
immer wiederholt wird. Richtig aber ist: Gott selbst hat hier den Weg in die
Tiefe gewählt, um in seiner großen Liebe ganz bei uns zu sein.
Daß das Kreuz nicht nur Niederlage bedeutet, wird erst aus der Perspektive der
Auferstehung her sagbar.
Christi Auferstehung schenkt uns Zukunft und Leben, weil wir mit ihm gestorben
und auferstanden sind.
Von Abraham heißt es: Abraham wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre. -
Das wurde ihm angerechnet. (Vers 23)
Paulus erinnert uns daran, dass unsere Verheissung von Leben und Gnade auf
Christus beruhen. Da hat sich unser Vertrauen zu bewähren.
4. Glauben heißt: Zeugen der Verheißung
werden
Am Anfang haben wir nach Vorbildern gefragt. Haben wir da nicht genau die
falsch Perspektive gehabt und sind dabei in die alte Falle getappt? Wie ließen
uns leiten von Tugenden, vorbildlichen Werken und edlem Handeln.
Bei Abraham geht es aber gerade nicht um das Handeln, sondern um Glauben, das
Vertrauen! Abraham ist ein Zeuge der Verheißung!
Sollen wir hier einen Gegensatz aufbauen? Nein! Glaube bedeutet ja nicht, die
Hände in den Schoß zu legen. Das ist bei Abraham ja auch gar nicht der Fall. Er
ist unser Vorbild, wir sollen uns in ihm erkennen, weil wir nur als in Christus
Beschenkte die Vorbilder recht verstehen. Auch sie sind als Beschenkte anzusehen -
und nicht einfach als Helden.
Als Beschenkte können sie weitergeben, was sie erfahren haben.
Da können dann Vorbilder von »Heiligen« und Helden des Glaubens schon hilfreich
sein. Daß wir uns orientieren an ihrem Realismus, Uneigennützigkeit, Liebe,
Geduld…
Daß wir selbst auf Verheißung Heilige sind, das bestätigt uns Christus auch heute wieder. Im Wort und im Sakrament des Abendmahls, wo wir nachher seine Gäste sind.
Amen.
Pfr. Mathias Rissi
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