Was wird durch den Glauben wirklich neu im Leben?
Predigt
im Neuen Abendgottesdienst in Niederweningen am 26. August 2017

Pfr. Mathias Rissi 

 

Was sollen wir nun dazu sagen? Etwa: Laßt uns der Sünde treu bleiben, damit die Gnade um so größer werde? Gewiß nicht! Wir, die wir für die Sünde tot sind, wie sollten wir noch in ihr leben können? Wißt ihr denn nicht, daß wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen. Wenn wir nämlich mit dem Abbild seines Todes aufs Engste verbunden sind, dann werden wir es gewiß auch mit dem seiner Auferstehung sein. Das gilt es zu erkennen: Unser alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht mehr Sklaven der Sünde seien. Denn wer gestorben ist, ist von allen Ansprüchen der Sünde befreit. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir fest, daß wir mit ihm auch leben werden. Denn wir wissen, daß Christus, einmal von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Sofern er starb, starb er der Sünde ein für alle Mal; sofern er aber lebt, lebt er für Gott. Das gilt auch für euch: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus.                        Römerbrief 6,1-11

 

Liebe Gemeinde

Was sollen wir nun dazu sagen? So beginnt Paulus den neuen Abschnitt.
Wozu soll er etwas sagen? – Nun, zum wichtigsten Thema, das es für uns gibt: zur Frage nach unserm Leben!
Es ist doch so und die Bibel berichtet davon, daß Menschen immer wieder feststellen mußten: Gott ist anders, als wir ihn uns vorgestellt haben. So erging es Abraham und Sara, Mose, Jesaja, oder im Neuen Testament der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen, Petrus, Maria Magdalena – sie mußten lernen: Gott ist ganz anders, als wir dachten.
Genau so könnten wir jetzt umgekehrt sagen: Paulus mußte lernen, daß der Mensch anders ist, als er meinte. Und das war für ihn eine wunderbare Entdeckung. Und das ist sie natürlich auch für uns.

Zur Anschauung eine kurze Begebenheit, die sich vor Jahrzehnten zugetragen hat: der neue Pfarrer besuchte eine alte Frau in einem abgelegenen Bergheimetli. Er war erschüttert über die Armut in jenem Haus. Im kurzen Gespräch mit der Frau hatte er bereits erfahren, daß sie einen einzigen Sohn  hatte. Aber der war vor vielen Jahren schon nach Amerika ausgewandert. Nun hatte sie eben niemand mehr. Und sie war mausarm. Der Pfarrer hakte nach und fragte, ob sie denn mit ihrem Sohn gar keine Verbindung mehr habe und ob der Sohn auch so arm sei. Es sind ja damals auch manche Auswanderer drüben nicht reich geworden. Sie antwortete, der Sohn sei gewiß nicht reich, aber er sei ein äußerst lieber Sohn. Fast jede Woche habe er ihr einen lieben Brief geschickt. Und er lege dem Brief immer ein Bildchen bei. Diese Bildchen hatte sie sorgfältig in ihrer Kommode bündelweise aufbewahrt. Der Pfarrer ließ sich die Bildchen zeigen.  von der Frau mit dem Sohn in Amerika und den Bildchen – Es waren Portraits verschiedener amerikanischer Präsidenten – auf großen Dollar-Scheinen. Ohne es zu ahnen, war sie reich geworden! Sie war reich und wußte es nicht! Der bekannte religiös-soziale Pfarrer und Dichter Adolf Maurer sagte es einmal so: Gott hat uns einen Palast gebaut und wir Dummköpfe leben immer noch in unserer armseligen Hütte.

Paulus sagt es so: Laßt uns der Sünde treu bleiben, damit die Gnade um so größer werde? Gewiß nicht! Wir, die wir für die Sünde tot sind, wie sollten wir noch in ihr leben können? Paulus nennt unsere Armut: das Leben in der Sünde – das heißt: das Leben abgesondert, getrennt von Gott[1]. Wir meinen, alles selber vollbringen zu müssen, und mühen uns ab, wie die Frau mit den »Bildli« in der Schublade, dabei steht Christus voll und ganz für uns ein.

Vor etlichen Jahren konnte ich meinen Schwager in Thailand besuchen – in jenem Land habe ich eine Religion angetroffen, wo die Menschen denken, daß ein Leben nicht ausreiche, um Frieden zu finden. Die Buddhisten hängen dort der Lehre von der Reinkarnation an. Und wir sahen, was das ganz praktisch heißt: Es ist eine Apathie gegenüber dem Leben, gegenüber dem Leid, gegenüber der Freude. Die Menschen können am himmelschreiendsten Elend ungerührt vorübergehen. – Beim Schreiben der Predigt ist mir wieder einmal ein Tippfehler passiert. Statt »Lehre« schrieb ich »Leere« der Reinkarnation. Nun, das ist vielleicht sogar sehr treffend. Wir Westler finden die Idee vielleicht ganz spaßig, nochmals ein Leben zu bekommen (natürlich wieder im reichen Europa, mit Arbeitsplatz, Gesundheit und Nahrung!) Aber wenn du schon 600x gelebt hast und genau weißt, wie weit weg du von der Perfektion bist – da weicht jede Begeisterung für die Reinkarnation einer großen Leere.
Dagegen ermahnt Paulus im 3. Vers: Wißt ihr denn nicht, daß wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind?
Da gerate ich ins Stocken: Kann man das so einfach sagen und glauben? Hatte Luther nicht recht, wenn er sagte: der alte Mensch sei zwar ersäuft, aber der Kerl könne schwimmen? Oder ganz ehrlich gefragt, fühlen wir uns so als ganz neue Menschen? Gerade solche Fragen haben die Christen in den jungen Gemeinden damals beschäftigt und in Paulus’ Römerbrief finden wir Antwort darauf. Und weiter: ist diese Lehre von der geschenkten Liebe und Gnade Gottes nicht geradezu gefährlich?  Psychologie: was nichts kostet, ist nichts wert? Und hier verkündet der Apostel eine atemberaubende, göttliche Großzügigkeit. Gott gibt sogar den Himmel gratis. Es ist doch eine alte Tatsache, daß Kinder, die alles bekommen, eben immer anspruchsvoller, oder sogar frecher, werden. Paulus weiß das auch: Laßt uns der Sünde treu bleiben, damit die Gnade um so größer werde?  Gewiß nicht! – solch eine dumme Idee!

Natürlich wäre es fantastisch, wenn wir vom Moment an, wo Jesus unser Herr ist, einfach nicht mehr sündigen, keine Fehler mehr machen könnten. So ließ der römische Kaiser Konstantin sich erst auf dem Totenbett taufen, damit die Sünde zwischen Taufe und Tod keinen Türspalt breit Platz finde. Wenn die Eltern für ihr Kind einen ganzen Haufen Schulden bezahlt haben, und wenn das Kind dann hingeht und einfach wieder neue Schulden macht, dann ist das doch verlogen. Und wir wollen doch keine Charakterlumpen sein.

Wir wissen, daß es Gemeinschaften gibt, die tatsächlich lehren, daß wirklich Gläubige sündlos seien. Aber solcher Perfektionismus ist nicht wahr. Beide Bilder sind falsch, weder können wir weiter sündigen, noch sind wir sündlos. Wie ist es denn wirklich? Schauen Sie in den Spiegel. Was sehen Sie? Kein geringerer als Prof. Karl Barth hat einmal gesagt, das Rasieren mache ihm manchmal Mühe, weil er dann immer in den Spiegel schauen müsse und dort schaue ihn dann immer auch der alte Mensch wieder an. Aber er wußte, daß das eben nur die halbe Wahrheit ist. Wenn wir in den Spiegel schauen, dann schaut uns im Glauben immer auch unser Herr und Heiland Jesus Christus an, der neue Mensch: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus.

Früher haben Maler, wenn sie ihr Selbstbildnis malten, manchmal neben ihrem Bildnis auf dem Tisch im Hintergrund einen Totenschädel gemalt, als Symbol dafür, dass unser Leben endlich ist. Wir dürfen, wenn wir in den Spiegel schauen, neben unserm Bild Christus sehen. Wir müssen nie mehr allein sein, Christus ist immer hinter uns: Gott selber steht für uns gerade. Paulus sagt das mit dem Ausdruck »en Christo« in Christus leben.

Paulus nennt auch den Zeitpunkt, an dem dieses neue Leben begonnen hat: Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? In den Kirchen der ersten Jahrhunderte können wir noch sehen, wie damals getauft wurde. Die Taufbecken sind in der Form des Kreuzes gemacht worden und die Täuflinge, das waren damals natürlich meist Erwachsene, wurden in dieses kreuzförmige Wasserbecken hineingelegt und untergetaucht. Das war das Zeichen dafür, daß der von Gott getrennte Mensch definitiv gestorben ist mit Christus. Dann wurden sie wieder heraus gehoben, als Zeichen dafür, dass sie mit dem Auferstandenen nun als neue Menschen leben dürfen. Wir zitieren wieder Paulus: Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen.

Haben wir das wirklich gehört: Wir leben, und das neue, das ewige  Leben hat schon begonnen. Paulus stellt das einfach fest. Er gibt dazu keine Befehle. Wir sollen und dürfen es einfach gelten lassen. Erst anschließend, nachdem das neue Leben klar gemacht ist, gibt der Apostel dann auch Anweisungen für dieses neue Leben.
Mein Vater war lange Jahre Briefkastenonkel der Zeitschrift »Leben und Glauben«. Er erzählte von einer Anfrage: Eine Diakonisse schrieb, sie schäme sich mit ihrer Frage zu jemand zu gehen, der sie kenne, und wende sich darum an den Briefkasten in der Schweiz. Sie stehe seit früher Jugend im Glauben. Aber seit langem plagten sie sexuelle Phantasien.
[2] Aber je mehr sie dagegen kämpfe, desto heftiger und bedrängender seien sie. Er habe ihr damals mit Paulus geantwortet: sie stehe doch im Glauben an Jesus Christus, dem ihr Leben gehöre. Sie solle doch jetzt einmal einfach dafür danken, daß Jesus sie liebhabe mit allen ihren Fehlern. Nach einigen Wochen kam ihre Antwort, die von der wunderbaren Befreiung berichtete.
Ehrlich gesagt, es ist doch schon unter uns Menschen so: nicht die Standpauken der Eltern haben aus uns etwas Rechtes werden lassen, sondern vielmehr, daß sie zu uns standen, auch wenn wir einen Fehler gemacht hatten oder im Unrecht waren.

Wie hat der Apostel das gesagt? – Liebe Gemeinde, nehmen wir uns das als tägliche Übung vor von der Morgentoilette bis zum Zähneputzen: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus. Nicht unsere Fehlbarkeit, sondern die Fülle des Lebens, die er schenkt, wird uns leiten! Ist das nicht wunderbar? Wir dürfen gelten lassen, was einst Christoph Blumhart gesagt hat: Christus ist Sieger! auch in deinem und meinem Leben.
Amen

 

 


[1] Mit Paulus  ist festzuhalten, daß der moralische Sündenbegriff menschlich und nicht göttlich ist. Nicht einzelne Taten oder Unterlassungen sind Sünden, sondern in der Trennung von Gott erfahren Menschen auch einzelne Handlungen als Ausdruck dieser Trennung. »Sünde« ist also eine grundsätzliche Befindlichkeit der Menschen und nicht eine Angelegenheit der Moral. Immer wenn die Kirche sich nicht mehr als Gemeinschaft verstand, sondern als Obrigkeit über das Volk herrschen wollte, bedient sie sich der Moral und wirft den Menschen ihre »Sünden« vor. Dies hat aber mit dem Evangelium der Gnade nichts zu tun.

 

[2] Dabei: Sexualität ist nichts Sündiges in unserm reformierten Verständnis. Ich halte es jedoch für bezeichnend, daß die mittelalterliche Kirche den Begriff der Sünde mißbraucht und besonders gerne mit der Sexualität in Zusammenhang gebracht hat. Dabei hält die Bibel immer wieder fest, daß die Geschlechtlichkeit des Menschen eine Schöpfungsgabe und wunderbar sei. – Es gibt kaum eine menschliche Erfahrung, welche die Hingabe so überwältigend erleben läßt.  Aber dadurch sind wir Menschen auch sehr verletzlich, es spielen Ängste und Hoffnungen mit. Da läßt sich besonders schön ein schlechtes Gewissen erzeugen und damit hat man die Leute dann in der Schuld und Abhängigkeit. Davon distanzieren wir uns aber entschieden.

Pfr. Mathias Rissi

 

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